Meinungsmacher treiben Schindluder mit der Inflation
«Was ist mit der Wirtschaft los? Die schlechte Stimmung liegt an Euch, nicht an den Daten» – so beschimpft das renommierte Wall Street Journal in diesen Tagen die Konsumenten. Das Blatt wirft ihnen vor, im Gegensatz zu den überaus optimistischen Investoren an der Wallstreet oder zu «meist keynesianisch geprägten» Meinungsmachern wie Paul Krugman, Joseph Stiglitz oder verschiedenen Journalisten, nicht an die «positive Entwicklung» der Konjunkturdaten glauben zu wollen.
Die Inflation mag zurückgehen, aber die Preise bleiben sehr hoch
Die Zuversichtlichen feiern den jüngsten Rückgang der Inflationsraten in den USA, in Europa und vor allem auch in der Schweiz, als Erfolg und glauben, die Welt sei wieder in Ordnung. Sie denken, einfach wieder zur Tagesordnung übergehen zu können. Dabei zeigt die Inflationsrate nur, wie sich die Preise im Vergleich mit dem Vorjahr entwickelt haben. Ein Rückgang bedeutet allenfalls, dass sie heute etwas weniger stark steigen als in den vergangenen Monaten.
Dabei kann von einer Entspannung keine Rede sein. Schliesslich ist das Preisniveau in den USA und in Europa seit Anfang der Pandemie um 20 bis 30 Prozent gestiegen. In der Schweiz hat der Landesindex der Konsumentenpreise auf dem Papier zwar seit Anfang der Pandemie gemäss Statistik «nur» um sechseinhalb Prozent zugelegt, dafür sind die Immobilienpreise und die Krankenversicherungsprämien nur so durch die Decke gegangen. In einzelnen Gemeinden sind letztere allein für dieses Jahr um mehr als 20 Prozent gestiegen. Und der Witz ist: Bei der Messung der Inflation werden die Prämien für die Krankenkassen weitgehend ausgeklammert.
Preisindizes messen die Entwicklung der Kaufkraft der privaten Haushalte nur bedingt
Wie stark die Ausgaben für die Krankenkassen steigen, hat nur einen bedingten Einfluss auf den Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), den wichtigsten Indikator für die Teuerung in der Schweiz. Bei Gesundheitsleistungen misst der LIK nur die Preisveränderungen. Der Mengeneffekt, also die Häufigkeit, mit der Leistungen in Anspruch genommen werden, bleibt unberücksichtigt. Diese Entkoppelung von Prämien- und Inflationsentwicklung führt immer wieder zu erregten politischen Diskussionen, bisher aber ohne Folgen.
Tatsächlich zeigt sie nur, dass fallende Inflationsindizes bei zuversichtlichen Anlegern, Politikern, Ökonomen und manchen Journalisten Begeisterungsstürme auslösen mögen. Dabei messen sie alles Mögliche, nur nicht die wahre Entwicklung der Kaufkraft der privaten Haushalte. Der LIK ist kein Lebenshaltungskostenindex. Er zeigt nicht, wie stark das Budget privater Haushalte im Jahresverlauf gesunken sein mag. Wollte man das ermitteln, müsste man neben dem Privatkonsum alle budgetrelevanten Ausgaben wie eben die Krankenversicherungsprämien, direkte Steuern, Beiträge an die AHV oder auch die Arbeitslosenversicherung mitberücksichtigen.
In den USA läuft das ähnlich. Wen wird es da überraschen, dass die Leser auf Berichte wie den des Wall Street Journal überaus gereizt reagieren. «Der Artikel ist so verdorben, dass ich mich frage, ob ich die Zeitung überhaupt noch lesen sollte», lästert ein Leser auf Twitter. «Wenn ich eine Note für die allgemeine Qualität unserer heutigen Wirtschaftsdaten geben könnte, würde ich eine Vier vergeben», schliesst sich ein anderer an. Viele der Daten beruhten auf fragwürdigen Methoden bei der Ermittlung und spiegelten die wirtschaftliche Realität nicht genau wider, so der weit verbreitete Tenor. Der Verbraucherpreisindex sei ein perfektes Beispiel dafür: «Müll rein, Müll raus».
Die Einkäufe der normalen Bürger sind deutlich teurer geworden
Manche Kritiker verweisen auf die Lebenserfahrung des amerikanischen Durchschnittsbürgers. Die Menschen spürten in ihren Portemonnaies, dass die normalen Einkäufe in einem Einzelhandels- beziehungsweise Lebensmittelgeschäft in den vergangenen fünf Jahren um knapp 40 Prozent teurer geworden seien. Viele würden von finanziellen Sorgen geplagt, weil ihre Lohnabrechnungen nicht mit dem allgemeinen Preisauftrieb mitgehalten hätten – und sie fühlten sich wirtschaftlich im Stich gelassen. Der amerikanische Durchschnittsbürger habe kein Vermögen und könne sich daher nicht vor den schädlichen Auswirkungen der Inflation schützen.
Es sei ihnen egal, dass sich die Börsenindizes in der Nähe ihrer Allzeithochs befinden, denn 166 Millionen Amerikaner besässen keine Aktien. Es sei ihnen egal, dass die Immobilienpreise in die Höhe geschossen seien, denn 116 Millionen Amerikaner hätten kein Eigenheim. Sie sorgten sich über die hohen Preise im Lebensmittelgeschäft, an der Zapfsäule und sie sorgten sich über steigende Mieten. In Realität hätten viele amerikanische Privathaushalte mit dem jüngsten Anstieg der Lebenshaltungskosten zu kämpfen. Politiker, Ökonomen und vor allem auch besserwisserische Journalisten sollten die Nöte der Konsumenten begreifen, statt gezielt bestimmte Datenpunkte absichtlich einseitig zu interpretieren und ihnen Miesepeterei vorzuwerfen, so der Tenor.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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