Kommentar

kontertext: Zurückhaltung

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Die neue SRF-Direktorin Wappler will keinen «Meinungsjournalismus». Wird SRF mit politischer Enthaltsamkeit die Zukunft meistern?

Markus Somm und Nathalie Wappler ergänzen sich prima, als harmonisches Paar tanzen sie den Walzer rechtsrum. Somm hat in den acht Jahren seiner Basler Chefredaktorentätigkeit immer wieder deutlich gemacht, dass er Journalisten besonders schätzt, wenn sie – so nennt er das – «meinungsstark» sind, und seine eigene journalistische Tätigkeit bestand vor allem darin, seine Meinungen allwöchentlich im Blatt auszubreiten. Nathalie Wappler, die frisch gewählte Direktorin von Schweizer Radio und Fernsehen, verkündete nach ihrer Wahl: «Wir müssen ein Programm machen, das informiert, aber nicht polarisiert. Wir müssen keinen Meinungsjournalismus machen (…) Wenn wir in einem Beitrag einen Politiker zu Wort kommen lassen und wenn der Journalist dann den Eindruck erweckt, er wisse es besser, provoziert das einen Vertrauensverlust.» So jedenfalls wird sie in den Medien zitiert, und so dürfen wir uns auf eine Medienzukunft freuen, in der SRF Fakten liefert und die SVP Stimmung macht.

«Schmäh»lich versagen?

Eine erste Antwort bekam Wappler am 23.11.2018 vom österreichischen Journalisten Armin Wolf im «Echo der Zeit», und heutzutage gehört ja bei SRF schon Mut dazu, ein solches Interview zu führen. Hier ein Auszug:
Nicoletta Cimmino: «Wir bekommen beim Schweizer Radio und Fernsehen bald eine neue Direktorin, Nathalie Wappler. Sie hat in ihrem ersten grossen Interview nach ihrer Wahl gesagt, sie möchte nicht, dass ein Journalist in einem Interview mit einem Politiker impliziere, dass er mehr wisse als der Politiker. Was sagen sie zu dieser Aussage?»
Armin Wolf: «Ich hab diesen Satz gelesen und ich hab mich ehrlich gewundert darüber, weil – jetzt ganz ehrlich, ich weiss tatsächlich manchmal mehr als Politiker, die ich interviewe. Ich glaube, ich bereit mich auf die Interviews besser vor und ausführlicher vor, und wenn ein Politiker etwas Falsches sagt, entweder unwissentlich, versehentlich oder auch mit Absicht, dann halte ich es geradezu für die Aufgabe von Journalisten, das richtigzustellen und darauf hinzuweisen. Dafür werd ich eigentlich bezahlt. Ich halte das eigentlich für den wichtigsten Teil meines Jobs, dass ich so gut vorbereitet bin, dass ich merke, wenn den Zusehern hier ein, wie man in Österreich sagt, ein Schmäh erzählt wird. Sonst bräuchte man mich ja gar nicht, sonst könnte man ja einfach elektronisch Fragen einblenden und der Politiker antwortet darauf was immer er möchte»

Meinungen und Urteile

Armin Wolfs Antwort macht deutlich, dass Frau Wappler zwischen Meinung und Urteil nicht unterscheidet. Auf beliebige Meinungen – wenn also ein subjektives, in seinem Wahrheitsgehalt beschränktes Bewusstsein als gültig gesetzt wird – darauf verzichten wir gerne. Triftige, begründete Urteile und Einsichten, die in der Auseinandersetzung mit der Sache entstehen, braucht eine humane Gesellschaft dagegen so dringend wie Menschen die Luft zum Atmen.

Wie erstickend Wapplers kleinmütige Angst vor «Polarisierung» ist, hat wohl auch der Medienwissenschaftler und SRF-Ombudsmann Roger Blum gespürt. Er liess jedenfalls umgehend verlauten, der gebührenfinanzierte öffentliche Rundfunk müsse keineswegs strikt neutral sein, Ansichten und Kommentare sollten allerdings als solche erkennbar sein, dann aber seien sie erwünscht, v.a. wenn es um wichtige Werte wie Menschenrechte, Demokratie und Gewaltverzicht gehe.

Geschichtsverleugnung

Wenn Blum das ernst meint, muss er für einen grundlegenden Bewusstseinswandel bei SRF plädieren. Die publizistischen Leitlinien, Bibel und Knigge eines jeden SRF-Journalisten, bringen es fertig, das Wort «Aufklärung» und deren Tradition nicht ein einziges Mal zu erwähnen. Das erste Kapitel, das dem Selbstverständnis des Medienunternehmens gewidmet ist, verzichtet auf jeden Bezug zur Geschichte. Weder wird die mächtige Rolle des gleichgeschalteten Reichsrundfunks im Nazideutschland erwähnt, noch die Propagandafunktion des Radios in der UdSSR oder bei den anderen Alliierten, noch die Indienstnahme unserer unmittelbaren Vorfahren für die geistige Landesverteidigung und die Regierungspolitik der 30er und frühen 40er Jahre.

Politisch Lied, garstig Lied

Die SRF-Richtlinien, das muss auch gesagt sein, vermitteln eine gute Schulung in umfassender Fairness, in Anstand, Vorsicht und Zurückhaltung. Dieser Konservativismus ist angesichts der marktschreierischen Skandalsucht mancher Medien wohltuend. Was dagegen ganz und gar fehlt, ist die Lust an der notwendigen politischen Auseinandersetzung. Sogar die seltsame Tatsache, dass Radio SRF weltweit so ziemlich der einzige öffentliche Rundfunk sein dürfte, der kein eigenes Gefäss für Kommentare hat, wird befestigt: «Der in den Printmedien verbreitete Meinungskommentar ist bei SRF selten und den Chefredaktoren, den Fachredaktionsleiterinnen und Mitarbeitern mit besonderen Fachkenntnissen vorbehalten.» Politische Beteiligung steht auch ausserhalb der beruflichen Tätigkeit unter Generalverdacht: «SRF-Mitarbeitende stellen sich nicht in den Dienst von öffentlichen Aktionen mit politischen Zielen. Sie vermeiden politische Äusserungen in der Öffentlichkeit, auch in Weblogs, sozialen Netzwerken etc.» Und die Liste der explizit erwähnten «politische(n) Aktivitäten», die «mit unserer Tätigkeit grundsätzlich nicht vereinbar» sind, ist lang.
Natürlich wird «anwaltlicher Journalismus» «nicht gepflegt». Obwohl: im Bereich Konsumentenschutz sei er zulässig, heisst es da. Im Bereich Grund- und Menschenrechte offenbar nicht.
Und ebenso natürlich fehlt in den SRF-Richtlinien auch nicht der Satz: «Wir machen uns mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten». Ach Heribert Prantl, steh uns bei und lass uns einmal mehr die Wut hören, die dich regelmässig befällt, wenn du diesen Satz hörst: Der Satz, auf den die SRF-Richtlinien ohne Quellenangabe anspielen, stammt von dem deutschen Journalisten Hans-Joachim Friedrichs (1927 – 1995), der als Moderator und Nachrichtensprecher bekannt wurde. Und Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, ein grossartiger politischer Kommentator, erklärt den Satz schlicht für «falsch»: „Die Sache des Journalismus ist die Demokratie (…) die Grundrechte und Grundwerte der Verfassung“. Prantl leitet aus der Pressefreiheit die Pflicht zu Aufklärung ab. Er verlangt Haltung. Kernkompetenz sei, „sich nicht einschüchtern lassen; nicht von der Politik, nicht von der Wirtschaft, nicht von sogenannten Sach- und Sparzwängen, auch nicht – ja, das gibt es auch – von Kolleginnen und Kollegen“ (Heribert Prantl: Die Welt als Leitartikel. Zur Zukunft des Journalismus. Picus Wien 2012, p.26ff).
Die SRF-Richtlinien vertreten eine andere Haltung, die in einem Gedicht von Eugen Gomringer erfasst ist:

Nöd rede
Sicher sii
Nu luege
Nöd znäch
Nu vu wiitem
Ruig bliibe
Schwiizer sii

Glaubwürdigkeit?

Das Hauptargument der SRF-Vorgesetzten gegen politische Einmischung heisst: Glaubwürdigkeit. Und dieses Argument ist ernst zu nehmen. Wenn heute Lüge und Wahrheit im Munde z.B. des amerikanischen Präsidenten gleichberechtigt nebeneinander stehen, wenn Fakten im Netz zu Glaubensfragen erklärt und mit Fiktion vermischt werden, wenn seriöse, überprüfte Information immer weniger gilt – dann ist der Aufbau einer glaubwürdigen Medien-Marke, die auch generationenübergreifend akzeptiert wird, ein vordringliches Gebot.
Das Problem liegt in der Auffassung, dass politische Einmischung zugunsten der Grund- und Menschenrechte, des Umweltschutzes und der Aufklärung die Glaubwürdigkeit beschädige. Heribert Prantl ist ein Gegenbeispiel. Seine kämpferischen Interventionen haben ihm hohe Glaubwürdigkeit verschafft. Allerdings nicht bei allen. Bei der extremen Rechten z.B. grad gar nicht. Ja, er polarisiert. Und diese erhellende Polarisierung, die Wappler verhindern will, ist dringend notwendig. Gebraucht würde, auch und gerade SRF-intern, eine Diskussion, wie ein offensives, glaubwürdiges Engagement der Journalisten für Grundwerte auszusehen hätte. Mit Bravsein wird ein Medienunternehmen den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen sein, denn auch in westlichen Staaten gibt es keinen Konsens mehr über die Unantastbarkeit der Grundrechte, den Wert der Demokratie und die Notwendigkeit unabhängiger Medien.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Felix Schneider, geboren 1948 in Basel. Studium Deutsch, Französisch, Geschichte. Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber «Schwob».

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

Zum Infosperber-Dossier:

GegenStrom_2_ProDirectFinance_XX_heller

kontertext: Alle Beiträge

kontertext widerspricht Beiträgen anderer Medien aus politischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.