Kommentar
kontertext: Skandal! Skandal?
Kein Skandal ohne Medien. Keine Medien ohne Skandale. Der massive Regelbruch in Politik, Wirtschaft und Kultur schlägt hohe Wellen, wenn Mächtige oder VIP’s dabei überführt werden, eine tabuisierte Grenze überschritten zu haben. Man kann den Tabubruch durch Adam und Eva als ersten Skandal des Zivilisationsprozesses bezeichnen. Unter der Voraussetzung, dass man den alttestamentarischen Gott als Urheber der Versuchung und als Aufdecker des Skandals in einer Person betrachtet. Insofern ist der Demiurg der erste Skandalisierer unserer Kulturgeschichte. Adam und Eva waren die ersten Skandalisierten.
In der Belletristik kann der Skandal für das Salz in der Suppe der Leserschaft sorgen. Und er treibt garantiert Auflagen von Skandalbüchern in die Höhe. Dies gilt auch für die digitalisierten Medien. Der Skandal hat es in sich, mehr Nutzerklicks zu provozieren.
Wir digital verführten Mediennutzerinnen leben längst mit einer Inflation des Skandals. Von der Raiffeisenbank und ihrem Ex-CEO über die Schweizer Hochseeflotte bis zu Facebook und der Postauto AG. Diese und weitere Skandale griffen Schweizer Medien allein im noch jungen Jahr 2018 dankbar auf. Was früher ein Alleinstellungsmerkmal des Boulevards war, trifft man heute auf allen Kanälen an. Die schleichende Skandalisierung der Themen, die Tendenz vieles aufzublasen, was kaum der Rede wert ist. Dieses Marktschreierische ist Teil der allumfassenden Ökonomisierung. Oft fordert der Skandal Opfer, die, selten genug, Abbitte leisten. So können die Medienkonsumenten dank des Schicksals der Skandalopfer ihren Gefühlshaushalt wie Richter mit den eigenen moralischen Massstäben bewirtschaften. Auf diese Weise kann man den Skandalisierten symbolisch ihre Taten heimzahlen.
Die Medien haben heute kaum mehr die Mittel, um vertiefte und zeitintensivere Recherchen zu finanzieren. Investigativer Journalismus ist hierzulande ein Luxus. Mit den Mitteln der Skandalisierung gegen diesen Sachzwang anzugehen, kann allerdings zum Rohrkrepierer werden. Die Basler Zeitung versuchte einige Exponenten der Basler Regierung zu skandalisieren. Dabei bediente sich das Blatt aus der untersten Schublade der Trickkiste. Regierungsrätin Eva Herzog dichtete es einen «sündige(n) Hüftschwung mit einem Kollegen» an. Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann überzieht die Zeitung in einer dümmlichen Soapserie regelmässig mit lauwarmer sexistischer Häme. Baudirektor Hans-Peter Wessels warf die Zeitung vor, sein Fahrrad im Parkverbot abgestellt zu haben. So verpuffen vermeintliche Skandälchen umgehend in unfreiwilliger Komik.
Der Skandal hat in der Regel eine sehr kurze mediale Halbwertszeit. Auch wenn ihn viele Konkurrenzmedien sofort aufnehmen und nachthematisieren. Das spricht dafür, dass es sich eine Redaktion zwei Mal überlegen sollte, bevor sie das nächste Mal die Skandalglocke läutet. Und noch etwas ist zu bedenken: Wie können Journalistinnen aus der Empörung über einen Skandal publizistischen Mehrwert schöpfen, wenn jene schmilzt wie Schnee? Da ist guter Rat teuer. Wortwörtlich.
Angesichts der inflationären Skandalisierung in den Medien unter dem Druck der Digitalisierung muss man über die Bücher gehen. Mit dem Empörungspotenzial lässt sich auf Dauer nur bedingt Kasse machen. Auch wenn es sich um einen fetten Primeur handelt. Denn wir haben heute auf den weltweit vernetzten Nachrichtenportalen das kostenlose Skandalangebot von der Stange im Minutentakt. Wenn es aber sein soll, dann muss die publizistische Ausschlachtung eines ausgewachsenen Skandals in den Medien kosten dürfen und sollen – und zwar viel. Im Interesse der Leser.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Heinrich Vogler, geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist / Redaktor bei Radio DRS und SRF 2 Kultur. Arbeitete als Kultur- sowie jahrelang als Literaturredaktor. Bis zur Pensionierung Ende 2015. War freier Literaturkritiker für Berner Zeitung, Tages-Anzeiger und NZZ.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.
Was für ein toller Artikel. Einfach nur gut, vielen Dank dafür.
Dass sich mit dem Empörungspotenzial auf Dauer nur sehr bedingt (oder gar keine) Kasse machen lässt, hat die Basler Zeitung drastisch erfahren müssen. Die von der BaZ lancierten, vermeintlich fetten Primeurs haben sich bekanntlich in der Folge durchwegs als matte Frauenfürze erwiesen und das Blatt landesweit dem Gespött preisgegeben. Wenn die Skandalisierungsstrategie dann aber auch noch durch drittklassige, dem Sauglattismus und der Diffamierung verpflichteten Journalisten vom Schlage Michael Bahnerths geprägt wird, ist das Fiasko vorprogrammiert. Markus Somms Blocher-Postille, mit welcher er die Stadt Basel im Sinne seines Mentors aufmischen wollte, hat dann jüngst auch folgerichtig, nach wenigen Jahren qualvollen Siechtums, still und leise das Zeitliche gesegnet. Es war ein Zeichen politischer Reife, dass Gossenjournalismus Marke BaZ, geprägt von «goldenem Wehrmachtshumor» bei einem weltoffenen urbanen Publikum gnadenlos durchfällt. Das Publikum auf der Chübelisalp am SVP-Puurezmorge (mit Gratis-Getränk) und der «Basler Daig» sind nun einmal zwei verschiedene Schuhe.
Das Ganze hat Methode.
Es werden viele Skandale veröffentlicht.
Wir empören uns bis zur Erschöpfung.
Damit ist das Ziel der neoliberalen Propaganda erreicht !
Siehe dazu das Interview mit Professor Mausfeld, Spezialist für Wahrnehmungspsycholgie.
https://www.youtube.com/watch?v=OwRNpeWj5Cs