Kommentar
kontertext: Sensationsgeile Bildwahl
Gleich zweimal innert weniger Tage konnte man in der Zeitung die weissen Unterhosen eines Teeniegirls sehen, das mit geschlossenen Augen und gespreizten Beinen auf einem Stuhl sitzt. Es ist das achtzig Jahre alte Gemälde «Träumende Thérèse» des Malers Balthus. «Darf man das noch zeigen?», lautete der Untertitel in der ZEIT, und jener in der NZZ am Sonntag hiess: «Umstritten». Mit dem Gemälde illustrierten die Zeitungen die erstaunlich ähnlichen Texte von Hanno Rauterberg und Gerhard Mack, die sich auf eine Online-Petition bezogen. Diese Petition fordert die Entfernung des Gemäldes von Balthus aus dem Metropolitan Museum in New York (MET).
Wettern über Puritanismus und #MeToo
Beide Herren wettern über diesen «neuen Puritanismus» und «puritanischen Furor». Sie kommen zum Ergebnis, dass Bilder wegen der #MeToo-Bewegung anders betrachtet werden. Mack meint, #MeToo postuliere ein Menschenbild, das so glatt und clean sei wie die gläsernen Smartphone-Oberflächen, auf denen die Bewegung ihre Likes poste. Man glaube, indem man Bilder vermeide, würde auch die Realität, die diese einmal bezeichnet haben, verschwinden. Rauterberg konstatiert Indifferenz und Selbstbezogenheit: Die Unterscheidung von Fiktion und Wirklichkeit gehe verloren. Die Kunst werde der Kultur von Instagram, Facebook und Co unterworfen, wo das Bild und das Abgebildete oft gleichgesetzt werden und man alles auf sich selbst beziehe. Goutiert werde, was ins eigene Welt- und Wohlfühlbild passe. Vergessen scheine, dass Verstörung lange zur Berufsbeschreibung moderner Künstler gehörte.
Kunstfreiheit bedroht?
Man müsse um die Kunstfreiheit fürchten, wenn nun nicht mehr nur evangelikale Christen und dumpf-rechte Politiker, sondern auch das «Milieu der Kulturlinken», wie sich Rauterberg ausdrückt, Zensur «von unten» verlange. Man könnte sich jetzt fragen, was dieser Seitenhieb gegen links und unten in der ZEIT soll. Klar ist jedoch, dass die ZEIT und die NZZ am Sonntag, indem sie die «Träumende Thérèse» grossformatig abdrucken und mit flapsigen Untertiteln versehen, genau das reproduzieren, was die Online-Petition kritisiert: einen unreflektierten und sensationsgeilen Umgang mit historischen Bildern.
Die Initiantinnen der Petition fordern kein Abhängen des Bildes um jeden Preis. Sie differenzieren: Das MET unterstütze, vermutlich ohne es zu beabsichtigen, Voyeurismus und dass Kinder zu Objekten gemacht werden. Die Antwort müsse nicht Zensur, Zerstörung oder ein Verschwinden des Bildes auf Nimmerwiedersehen sein. Das Bildsujet sollte aber vom MET für die Museumsbesucher/innen kontextualisiert werden und Kommentare müssen zugelassen werden.
Geschichte als Denkanstoss
Reihenweise Bilder abzuhängen, die gegenwärtig als sexistisch und diskriminierend angesehen werden, wäre auch eine sehr hilflose Forderung im Umgang mit den Museumssammlungen. Und die Kunstschaffenden selbst zeigen seit Jahrzehnten, dass es kreative und tiefgehende Auseinandersetzungen mit dem Kunstkanon und den Geschlechterrollen gibt, wie sie beispielsweise die feminist art betreibt.
Was wäre nun aber die Rolle der Zeitungen und Kunstkritiker/innen? Wie könnte ein gehaltvollerer Beitrag der Zeitungen zu dieser Kunstdebatte aussehen? Dem kulturpessimistischen Katzenjammer zu frönen, wie Rauterberg es tut, wenn er schreibt, geschichtliches Bewusstsein könnte in der Sache helfen, sei aber nicht gefragt, nützt nichts. Stattdessen hätte er eben dieses Balthus-Bild gebührend kontextualisieren und sich seiner Rezeptionsgeschichte widmen können. Damit wäre die «Träumende Thérèse» von der billigen Illustration zum Denkanstoss geworden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Anna Joss ist Historikerin mit den Schwerpunkten Sammlungs- und Museumsgeschichte sowie Raum-, Wohn- und Baugeschichte. Beim Hier und Jetzt Verlag für Kultur und Geschichte in Baden erschien 2016 ihre Dissertation "Anhäufen, forschen, erhalten. Die Sammlungsgeschichte des Schweizerischen Nationalmuseum 1899 bis 2007". Heute arbeitet sie bei der Denkmalpflege der Stadt Zürich als stellvertretende Leiterin.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.
Was ein Gemälde wie das von Beschriebene mit MeToo zu tun haben soll, erschliesst sich mir nicht. Wird hier eine leben Frau sexuell belästigt? Viel eher habe ich den Eindruck, dass dies ein Versuch ist, diese Bewegung ins Lächerliche zu ziehen. Und wie immer, wenn etwas in den USA startet, wird übertrieben bis zum Gehtnichtmehr. Warum ist ein Typ wie Trump heute Präsident der USA? Weil er sich einen Deut um all die Eiertänze mit der Political Correctness kümmert. Das ist zwar ein Jammer, stellt aber die wahre Gegenbewegung dar. Und es müsste ein Denkanstoss sein, sich weniger darum zu kümmern, ob ich einen schwarzhäutigen Menschen Neger nenne als ihm vielmehr mit dem gleichen Respekt zu begegnen wie jedem andern Menschen.
@Ueli: ich denke nicht, dass man den Erfolg Trumps nur über PoCo verstehen kann. Dazu ist vielmehr notwendig, sich bewusst zu machen, wie verschieden die Lebensumstände zum einen an der Ost- und Westküste der USA, zum anderen im Landesinneren und im Süden der USA sind. Dieses Land ist tief gespalten.
@Volker: Einverstanden, aber es hat, sicher mit vielen andern Gründen auch zu dieser unverständlichen Wahl eines Narzissten erster Güte geführt. Jetzt hoffe ich, dass das Pendel in 3 Jahren so ausschlägt, dass Michelle Obama ihn ablösen kann. Eine entsprechende Kandidatur soll in Planung sein. Dies Information beruht aber nur auf einem Facebook-Post der immerhin schon 2,5 Mio. Mal geteilt wurde.
@Ueli: ich kann nicht erkennen, inwiefern eine Regierung Michelle Obamas besser wäre als eine Trumps.
Nein, das ist nicht als Scherz gemeint. Aus meiner Sicht ist das US-Imperium so verkommen, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist, wenn man es mit Präsident Trump als auch so hässlich erkennen kann, wie es tatsächlich auch geworden ist.
Schrecklich wäre es, wenn Drohnenmorde, völkerrechtswidrige Angriffskriege und die Verbreitung von Mord und Totschlag wieder durch eine perfekte Schauspielerin übertüncht werden würden, wie es auch bei Barak Obama als bestem Präsidentendarsteller der Geschichte der Fall war.
Die USA sind das Hauptproblem für den Weltfrieden. Das muss endlich offen ausgesprochen werden. Ist eine solche Kritik möglich, so besteht wenigstens die Chance, dass dieses Problem thematisiert werden kann. Und somit besteht wenigstens die Grundlage dafür, dass man mit US-Amerikanern zusammen arbeiten kann, die das Problem auch erkannt haben und ändern wollen.
Es ist ja keinesfalls so, dass es in den USA etwa keine Friedensbewegung gäbe, oder gar keine Intellektuellen. Glücklicherweise ist immer noch das Gegenteil der Fall.