Kommentar

kontertext: Medien mit der Aussagekraft von Bahnhofdurchsagen

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsMatthias Zehnder ist freier Publizist, Medienwissenschaftler und Berater (Medienkonzeption) in Basel. Er ist Vorstandsmitglied der SRG ©

Matthias Zehnder /  Statt Informationen vermitteln Push-Meldungen allgemeine Aufgeregtheit.

Nach­richt, die – Substantiv, feminin. Mitteilung, die jemandem in Bezug auf jemanden oder etwas [für ihn persönlich] Wichtiges die Kenntnis des neuesten Sachverhalts vermittelt.

So steht es im Duden – und so haben wir es über Jahrzehnte gelernt und gelehrt. Als ich vor über 30 Jahren neben dem Studium auf der Redaktion des Winterthurer «Landboten» in den Journalismus einstieg, hatte ich diesbezüglich strenge Lehrmeister. Koni Wepfer zum Beispiel. Er strich in meinen Texten jedes Adjektiv an und fragte mich, woher die Wertung kommt. Die kürzesten Texte zu schreiben war das Schwierigste: Die sieben «W»-Fragen, in ein, zwei Sätzen beantwortet. Und immer wieder die Fragen von Koni: Was genau ist wichtig? Warum ist das wichtig? Und: Für wen ist es wichtig?
Wir feilten manchmal eine halbe Stunde an vier Zeilen. Das Resultat der Plackerei war nicht Dichtung, aber immerhin Verdichtung – und es waren Nachrichten, die zwar über einen höchst aktuellen Sachverhalt informierten, das aber so, dass die Nachricht selbst fast zeitlos wurde. Als ein solch zeitloses Beispiel könnte man die Titelseite der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) nehmen, wie sie nach der Mondlandung 1969 publiziert wurde: «Die ersten Menschen auf dem Mond», titelte die NZZ am Montag, 21. Juli auf der Frontseite (der zweiten von drei Ausgaben an jenem Tag). Und weiter: «Das Zeitalter der menschlichen Reisen nach fremden Himmelskörpern hat am Sonntag, dem 20. Juli, begonnen.» Eine Nachricht, die bis heute Bestand hat.
Wie anders präsentieren sich dagegen heute die «Nachrichten». Es sind gehetzt geschriebene Kurzmeldungen, die mit Dringlichkeit des Tons zu überdecken versuchen, was sie an inhaltlicher Nichtigkeit transportieren. Bestes Beispiel für die Hetze dieser Form von News liefern die Push-Meldungen, wie sie die Medien in der Schweiz zu Beginn des World Economic Forums in Davos verschickt haben.
«Tages-Anzeiger» (und alle anderen Tamedia-Marken): «Donald Trump im Anflug auf Zürich: Der US-Präsident kommt mit zwei grossen Boeing-Maschinen – Ankunft nach 8 Uhr erwartet.»
«bzBasel» (und alle anderen CH-Media-Marken): «Trumps Flugzeuge sind in der Luft: Landung um 8.25 Uhr in Zürich – alles zum WEF im Liveticker.»
«20Minuten»: «Air Force One landet in Kürze: Die Ankunft der beiden US-Präsidentenjets im Livestream.»
«20Minuten»: «Air Force One in Sicht: Jetzt landet die erste US-Präsidentenmaschine in Zürich.»
«bzBasel»: Jetzt im Live-Stream: Verfolgen Sie die Landung von Donald Trump in Zürich»
SRF: «Donald Trump ist in Zürich-Kloten mit der «Air Force One» gelandet. Der US-Präsident reist nun mit dem eigenem (sic!) Helikopter «Marine One» nach Davos weiter.»
«20Minuten»: «Jetzt live vom Flughafen: Die zweite US-Präsidentenmaschine landet in Zürich»
NZZ: «Der amerikanische Präsident Donald Trump ist in Zürich gelandet. Verfolgen Sie unsere Berichterstattung zum WEF in Davos im Blog.»
«Watson»: «Trump ist in der Schweiz: Die zweite «Air Force One» ist in Zürich gelandet.
«Blick»: «Trump ist in der Schweiz: Zweiter Jumbo in Zürich gelandet – jetzt geht’s mit dem Heli nach Davos»
«bzBasel»: «Trump ist in Zürich angekommen – auch die zweite «Air Force One» ist gelandet.»
«20Minuten»: «Touchdown in Zürich: Die beiden Landungen der US-Präsidentenjets jetzt im Video»
«20Minuten»: «Wieder gesund? Jetzt hat Greta Thunberg ihren ersten WEF-Auftritt»
«20Minuten»: «Donald Trump steigt um: Jetzt geht’s per Heli nach Davos ans WEF»
So ging das über Stunden – Medien mit der Aussagekraft von Bahnhofdurchsagen. Darüber kann man die Schultern zucken: Ist doch spannend, dass der Donald in die Schweiz kommt. Und: Die wollen halt alle möglichst viele Benutzer auf ihren Onlineangeboten, deshalb verschicken sie diese Push-Nachrichten. Wenn es nicht wirken würde, würden sie es nicht tun – und wenn es wirkt, dann ist es auch ein Bedürfnis. Alles in Butter also?
Mitnichten. Nachrichten in Bahnhofdurchsage-Qualität haben auf die Länge eine fatale Wirkung. Und dies aus drei Gründen.
1. Provinzialität: Zunächst ist die grosse Aufregung um den Besuch des amerikanischen Präsidenten schlicht provinziell. Indem wir uns dem Big-Boss im Weissen Haus dermassen an die Brust werfen (bis zum Flehen um ein Interview durch den «Blick»-Chefredaktor auf der Titelseite seines Blattes), erniedrigen wir uns selbst. Es gibt ja immer wieder den Reflex von Medien, sich mit wichtigen Namen wichtig machen zu wollen – der Effekt ist aber das genaue Gegenteil: es ist eine besondere Form der Selbstverzwergung. Die Botschaft an die Leserinnen und Leser: Die Schweiz ist klein, unwichtig und letztlich Opfer des Weltenlaufs. Wir sind so megahappy über den Besuch des megawichtigen Mannes, dass wir jeden seiner Schritte melden. Der Effekt dieser Art von Berichterstattung auf die Leserinnen und Leser ist Verunsicherung durch Selbstdiminuierung.
2. Hektik: Solche Push-Gewitter strahlen immer Atemlosigkeit aus. Ziel der Berichterstattung ist es, eine hohe Dringlichkeit zu erzeugen und damit die Benutzerinnen und Benutzer dazu zu bringen, auf die Meldung zu klicken (oder zu tippen). Um diese Dringlichkeit zu erzeugen, verbreiten Push-Meldungen Hektik. Sie mögen damit ihr Ziel, den Klick, erreichen, die damit verbundene Message ist aber verheerend. Die unterschwellige Botschaft der hektischen Tickerei ist nämlich: Wir wissen auch nicht, was als nächstes passiert, bleib online dabei, damit du es erfährst. Mit anderen Worten: Du, Leser, und wir, Medienmacher, wir sind bloss Zuschauer oder gar Opfer eines übermächtigen, schnell ablaufenden Geschehens. Auf diese Weise verbreiten Medien durch die Hektik der Berichterstattung letztlich Unsicherheit.
3. Oberflächlichkeit: Inhaltlich ist die Berichterstattung von dürftiger Oberflächlichkeit. Ob der Trump mit fünf oder sieben Helikoptern von Zürich-Kloten nach Davos fliegt, ist doch völlig egal. Wichtig wäre es, sich darüber Gedanken zu machen, warum genau er kommt, was er in Davos erreichen will und was das für Auswirkungen auf uns hat. Ich habe in meinem Bekanntenkreis (unter Nichtjournalisten) herumgefragt, was denn von Trumps Besuch in Davos im Gedächtnis geblieben ist. Die Antwort: Zwei Jumbos, eine Handvoll Helikopter – und zurück nach Kloten musste er wegen Nebel das Auto nehmen. Warum er da war und was er gesagt hat, wusste niemand. Die dürftige Oberflächlichkeit der Push-Nachrichten-Berichterstattung führt zu Scheininformationen. Die Medien erklären die Welt nicht mehr und ordnen das Geschehen nicht mehr ein, sie beschreiben nur noch das hektische Hin und Her. Müssen wir uns da wundern, wenn sich die Menschen von den Medien abwenden und ihnen nicht mehr vertrauen?

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    Matthias Zehnder ist freier Publizist, Medienwissenschaftler und Berater (Medienkonzeption) in Basel. Er ist Vorstandsmitglied der SRG Region Basel und betreibt unter www.matthiaszehnder.ch einen Medienblog.

      Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.

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    4 Meinungen

    • am 30.01.2020 um 11:32 Uhr
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      Verzwergung: Damit haben Sie einen Volltreffer gelandet. Und sie, die Medienhäuser, merken es nicht einmal. Ich empfinde, die Schweizer Medienlandschaft hat mit der Zusammenlegung vieler Titel Scheinriesen erschaffen: Gross im Auftritt, klein in der Substanz. Ab und zu flackert noch durch, was möglich wäre und erinnert umso mehr daran, was immer mehr fehlt: guter, recherchierender Journalismus. Sieht man auch daran, dass immer mehr Kommentare platziert werden. Meinungs- und Thesen-"Journalismus» setzt sich durch.

    • am 30.01.2020 um 15:22 Uhr
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      Ja: Die Zeiten eines Karl Valentin, Heinz Erhardt oder meinetwegen Willy Millowitsch sind eher vorbei. Das Jonglieren mit Sprache und Worten ist zu einer Mangelware geworden. Ganze Sätze bestehen heute aus einem Smiley-Icon. Für die verdichtete tägliche Kommunikation, die immer in einem Kontext stattfindet, mag das mitunter genügen. Die heutige klick-gerichtete Berichterstattung in vielen Online-Medien aber grenzt unmittelbar an Volksverhetzung oder –verdummung – meist eine herbe Zumutung für den Intellekt. Dies wird vom Autor wunderbar skizziert. BR Cassis weinte fast mega in die Kamera, als Trump mit dessen Diensten 100% zufrieden war. Manche Schweizer Dienste können auch im -> Schattenfinanzindex ausgedrückt werden, das aber nur am Rande. Wer Kinder hat, weiss: Die mediale überhöhte Aufgeregtheit über jedes noch so winzige Pups-Ereignis malträtiert und verängstigt Jugendliche und führt zu Angststörungen. „Mami/Papi/Erziehungsberechtigter 1 oder 2, wänn chunnt jetzt de Wältundergang???“ Abgesehen von der mitunter katastrophalen Interpunktion und dem „Emil-Hochdeutsch“ verschenken solche Medien auch das Potential, dass sich jemand bildungsmässig an deren Texten emporranken könnte. Freunde der geistigen Typographie haben in Zeiten wie den heutigen schwer zu leiden. Obwohl: Für einen Flugzeug-Fan ist die AirForce One schon eine kleine Augenweide 🙂 Da bin ich auch immer ein wenig aufgeregt…

    • am 31.01.2020 um 01:10 Uhr
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      Welch exzellente Analyse! Es ist ein reines Trauerspiel wie über Politik berichtet wird. Im Grunde müsste man fast sagen, es wird kaum noch über Politik geschrieben, denn die meisten Artikel erschöpfen sich darin, aus der Debatte um Ideen, Interessen, und Lösungskonzepte eine Heldenstreit zwischen Persönlichkeiten zu machen. Und immer wenn sich eine Idee durchgesetzt hat, wird über “Gewinner und Verlierer“ geschrieben, statt über Bedeutung, Folgen und Implikationen. Rücktritte werden als “Verantwortung übernehmen“ bezeichnet, dabei sind sie doch eigentlich die ultimative Form, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
      Das Niveau ist bedenklich tief.

    • am 31.01.2020 um 10:50 Uhr
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      Die Schlagzeile dieses Artikels ist eine Beleidigung der Bahnhof-Durchsagen.

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