Kommentar
kontertext: «Männer geben den Ton an»?
«Männer geben den Ton an» SRF 3, 17. Mai 2018: Noch nie habe ich mich gewundert, dass im Rock special auf SRF 3 nur Männerstimmen zu hören sind. Rockmusik und Männlichkeit – das passt seit jeher wie Fisch und Wasser zusammen. Deshalb wunderte ich mich an jenem Tag, als der Ansager auf SRF 3 leicht triumphal verkündete, dass der Tag ganz den Männern gehöre. Es gab keinen besonderen Grund: «Wir brauchen keinen Grund, um Männlichkeit zu feiern», konnte ich auf der Webseite lesen. Doch ist der Grund – oder Hintergrund – eigentlich ganz einfach: Weil am 9. Mai dasselbe für Frauen galt («Frauen geben den Ton an»), wollte man nachziehen. Wie oft im Feld der Geschlechterpolitik fällt erst bei solchen Bemühungen um Symmetrie auf, wie asymmetrisch die Geschlechterverhältnisse tatsächlich sind. Das ist aber kein Grund zum Ärger, sondern regt das Denken ungemein an.
«Männer geben den Ton an»
Zufällig hörte ich an diesem «Männertag» einen Bericht über die bevorstehende Hochzeit der Royals, zu welcher Englandkorrespondent Martin Alioth, am Telefon befragt, mehrfach beteuerte, dass er das Spektakel nicht zur Kenntnis nehmen werde, dass er Prinz Harry für einen unbedeutenden jungen Mann halte und dass er Besseres zu tun habe als vor dem Fernseher «Trauzeuge» zu sein.
Sein Desinteresse galt zwar den Royals und ihren Megainszenierungen insgesamt, doch hat mich seine Weigerung, Prinz Harry als – irgendwie – interessantes männliches Rollenmodell zu betrachten, stutzig gemacht. Steht sie doch in einem starken Kontrast zum Interesse weiblicher Journalistinnen für die Braut Meghan Markle. Marion Löhndorf etwa attestiert der Schauspielerin am gleichen Tag in einem klugen Artikel in der NZZ einen ‘eigenen Text’, ‘ein eigenes Profil’ und alle Voraussetzungen, zu einem zeitgenössischen Vorbild für die ethnisch gemischte britische Gesellschaft zu werden. Der Moderator auf SRF 3 hingegen griff mit seinen Fragen zu Prinz Harry ins Leere: Dem Journalisten Alioth wollte nichts Interessantes einfallen.
Ein merkwürdiges Bild der Geschlechterverhältnisse zeichnete sich somit ab an diesem Männertag: Die Männer am Radio wollten endlich mal wieder etwas für sich machen, sie brauchen echte Männlichkeit ohne Kompromisse, sie suchten ein positives, zumindest ein interessantes und zeitgemässes männliches Wir-Gefühl. Damit zeigten sie freiwillig oder unfreiwillig auf eine grosse Lücke in der Geschlechterpolitik, die den Mann mehrheitlich als Problemfall adressiert. Da Geschlechterpolitik nach wie vor überwiegend Frauenpolitik ist, haben demzufolge primär Frauen ein Geschlecht. Das männliche Geschlecht tritt nur in Erscheinung in Form von Gewalttaten mit entsprechenden Massnahmen. Die lange #metoo-Klage spricht davon Bände. Dass die Boulevardpresse am Tag der Hochzeit die peinlichen Exzesse und Fehltritte von Harry wiederholen und fotografisch unterlegen muss (z. B. auch die BZ vom 19. Mai 2018, Printausgabe) untersteht dieser «Logik».
Doch von solchen Exzessen (Nacktparties und Naziuniformen) können Männer zumindest offiziell nicht träumen. So greifen sie zurück in die Bastionen, die ihnen sicher sind und sicher bleiben sollen: Zum Beispiel Rockmusik. Ich würde dem männlichen Team von SRF 3 nicht unterstellen, dass sie den einen Tag Frauenmusik mit ihrem Konzept gleich wieder ausgleichen wollten im Sinne von Terrainsicherung. Aber im Ernst: «Männer geben den Ton an» ist kein innovatives Konzept; es ist in Politik, Wirtschaft, am Arbeitsplatz, im Sport, in Gesprächsrunden und auch in den Medien noch immer schlicht courant normal. 50 Jahre nach Mai 68 bringen die Erinnerungen und Jubiläen deshalb nochmals in erstaunlicher Deutlichkeit zu Tage, wie sehr die Bewegung um Männer formiert war, die den Ton angaben – und dies bis heute tun (vgl. etwa den Hörpunkt «1968 love love love vom 2. Mai bei Radio SRF 2) – bei welchem die Frauen hauptsächlich für Sex, Körper und das Private befragt wurden und die Männer für Gesellschaftsentwürfe. Insofern kann man auch heute relativ einfach konstatieren, dass das alte Geschlechtermodell noch immer unmittelbar hierarchisierend funktioniert. Das Männliche schwingt oben auf. Woher dann aber die Ratlosigkeit, wenn es um männliche Vorbilder geht?
Männerträume und Ratlosigkeit
Manchmal dürfen Künstler in den Medien öffentlich träumen – und sie äussern dann auch etwas ungeschützt Konzepte, die wissenschaftlich nicht vorgefiltert sind. So etwa der Regisseur Oskar Roesler, der in der ZEIT vom 10. Mai von einer globalen Machtübernahme des Feminismus träumte.
Männer hätten «es» genügend verbockt: «Ich bin mir nicht sicher, ob das ein angenehmer Traum ist», räumt er ein, «aber er ist notwendig, um die Welt zu retten. Alle Gesellschaftsentwürfe der letzten Jahrhunderte sind gescheitert, männliche Eigenschaften und Strukturen haben dazu geführt, dass sich zerstörerische Systeme wie der Spätkapitalismus etabliert haben.» Roesler hat wütende Kommentare geerntet von der männlichen Leserschaft, die ihm auch den Vorwurf einer «gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit» eintrugen. Der Traum von Oskar Roesler ist aber nicht deshalb merkwürdig, weil er den Frauen mehr Begabung zu Empathie und Verantwortung zutraut. Sondern weil er mit einem Plädoyer für eine «Diktatur der Harmonie» endet, in welcher das Männliche aus der Kunst eliminiert wird und keine gewalttätigen Auseinandersetzungen mehr stattfinden. Lieber langweilige als sexistische Filme. Das Schweigen der Waffen, der ewige Frieden wird bei ihm also eigentlich mit dem Abschaffen der Geschlechterdifferenz verbunden. Und das ist interessant. Denn es ist etwas, was auf vielen Ebenen, wenn auch nicht in dieser radikalen Form, tatsächlich vonstattengeht. Zum einen durch neue Geschlechterrollen, die eine leise Umverteilung von geschlechtsspezifischen Eigenschaften vornehmen. Eine ganze Reihe von Studien aus der Sozialforschung des letzten Jahrzehnts haben belegt, dass junge Männer dreimal mehr selbstmordgefährdet sind als Frauen, sie sind deutlich häufiger Schulversager und schaffen die Anpassung an die Leistungsgesellschaft weniger als die jungen Frauen. Sie gefährden sich selber weit häufiger als Frauen, hängen mit ihrem Glück und ihrer emotionalen Stabilität mehr an den Frauen als umgekehrt und sind in der westlichen Sphäre, davon zeugen alle Forschungen, das verletzlichere Geschlecht. Neben dieser Verunsicherung gibt es eine neue Sichtbarkeit von Geschlechtsidentitäten, die das polare Muster der Differenz sprengen: ‘Transgender’ fasst diese neue Herausforderung zusammen. Vielleicht sind so kleine Programmsprünge wie der «Männertag» bei SRF 3 diesen leisen Erschütterungen der Geschlechterlogik geschuldet? Und vielleicht haben die Macher von SRF 3 ja recht: Es braucht Differenz. Doch welche?
Lob der Differenz
Roeslers Traum würde alle männlichen Eigenschaften bereinigen und allen Geschlechterkonflikt beseitigen. Doch das geht nicht. Denn wir brauchen Differenz. Wir brauchen Differenz, weil wir keine Designprogramme sind, die sich harmonisieren und symmetrisch ausrichten lassen. Wir brauchen Differenz, weil wir sonst mit unserem eigenen Spiegelbild zusammenfallen und sterben. Insofern arbeitet ein neuer Technonarzissmus wohl eher an Roeslers Traum als es die männlichen Künstler tun. Vor dem Hintergrund dieser grossen Verunsicherung der Geschlechterrollen blüht die alte männliche Hegemonie schamloser und verantwortungsloser denn je: Trump und Konsorten werden ja auch für ihre unvergleichliche Männlichkeit, die sich über alles politisch Korrekte hinwegsetzt, geliebt. Doch Trump ist kein normaler Mann: Er ist die Ausnahme, der die alte hegemoniale Männlichkeit zu retten verspricht: weiss, erfolgreich, reich und heterosexuell. Dass er damit dem archaischen Muster des Urvaters einer vorzivilisatorischen Horde entspricht, hat der deutsche Jesuitenpater Dominik Finkelde in der NZZ vom 23. April sehr schön dargelegt. Es ist auch diese Emanenz von Männlichkeit bar jeder Vernunft, die Männer wie Roesler von einer weiblichen Zukunft träumen lässt. Aber: Sie rechnen nicht mit der Kraft der Differenz.
Damit nochmals ein Blick nach Windsor, wo gerade die grösste Bühne errichtet wurde für eine Inszenierung von Geschlechterrollen, in welcher die Braut nicht unverdient noch mehr im Fokus der Aufmerksamkeit stand als bei jeder Hochzeit: Sie änderte das Protokoll, ging den Weg zum Altar ein Stück allein und strich die Zusage von «ehelichem Gehorsam». Vor allem aber: Sie veranlasste den Wechsel von einer traditionellen steifen Windsor-Zeremonie zu einer leidenschaftlichen, schwarzen und politischen Gospelmesse. Während sich auf den Gesichtern von Prinz Harry und seiner Familie Verdutztheit und Verlegenheit abwechselten, folgten die Braut und ihre Mutter dem radikalen Plädoyer für die Kraft der Liebe des afroamerikanischen Pastors Michael Bruce Curry. Sie folgten ihm mit wissenden und leuchtenden Augen – dies war der eigentliche emotionale und politische Höhepunkt dieser Feier. Die Kameras konnten denn auch nicht anders, als immer und immer wieder auf ihren Gesichtern zu verweilen. Ging nun Prinz Harry in diesem Erstrahlen einer weiblichen Zukunft unter?
Glaubt man an die Kraft eines Denkens und einer Praxis der Differenz, dann muss man auch Harry beachten. Nicht seiner Uniform wegen, sondern als weiteres Exemplar eines ‘neuen’ Mannes, der verlegen und selbstvergessen mit den Fingern seiner Braut spielt und schon während der Zeremonie überrascht scheint von all dem Neuen, das seine Frau mitbringt. Ein wenig wirkte er auch überrascht von sich selber. Das hat ihm Martin Alioth nicht zugetraut, aber ich würde sagen: Die Welt wohnte am Samstag auch der Verwandlung eines jungen Mannes zu einem ‘neuen’ Mann bei – während die Braut als Frau kam und als Frau ging.
Vive la différence.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Silvia Henke ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie unterrichtet an der Hochschule Luzern Design & Kunst u.a. Kunst und Politik und visuelle Kultur. Forschungsschwerpunkte sind Kunst & Religion, künstlerisches Denken, transkulturelle Kunstpädagogik. Sie interessiert sich grundsätzlich für die Widersprüche der Gegenwart, wie sie auch in der Medienlandschaft auftauchen, und veröffentlicht regelmässig Texte und Kolumnen in Magazinen und Anthologien.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.
Aus meiner Sicht ist das ganze Geschlechter-Doktrin, rein ideologischer Natur und entbehrt jeglicher Vernunft.
Der Reggiseur heisst aber Oskar Roehler 😉