Kommentar

kontertext: In Grossbritannien – BBC bi de Lüüt

Mathias Knauer* ©

Mathias Knauer /  Die Rettung des Service-public-Rundfunks kann nur mit nachhaltigen Kulturleistungen gelingen, nicht mit Anbiedern ans Zappertum.

Vor bald drei Wochen hat die BBC, die weltweit wirkende, älteste und immer wieder tonangebende öffentliche Rundfunkanstalt der Welt, die nächstes Jahr ihr Zentenarium feiert, «die grösste Reform ihrer Programme, Dienste und Abläufe seit den 1990er Jahren» angekündigt: der Sender werde nämlich «sein kreatives und journalistisches Zentrum weg von London in alle Teile des Landes verlagern».

Die Nachricht wurde auch hierzulande verbreitet; ich hörte sie frühmorgens auf RTS La1ère und beschaffte mir noch gleichentags das Konzeptpapier «The BBC across the UK» (eine Übersetzung und alle Nachweise sind hier zu finden). Bald erschien auch ein Bericht im Echo der Zeit, der freilich am Kern der Sache vorbeiging und eher die Aufregungen im Hause SRG denn das Wesen der britischen Reform widerspiegelte. Die Rede war von Hörerschwund beim «alten Tanti» oder vom Abdriften junger Leute aufs Internet, ja der Bericht gab Akteuren das Wort, die auch auf den Inseln am Ast der Gebührenfinanzierung sägen; und auf der «News»-Website wurde der ziemlich leichtfüssige Sechsminuten-Bericht eines Allrounders aus dem Radioprogramm noch weiter banalisiert.

Keine Zusatzleistung der Online-Redaktion

Statt in der Online-Version Links zu den Quelldokumenten anzubieten, die englischen Zitate im Original wiederzugeben oder weiterführende Hinweise auf den Hintergrund zu bieten – etwa auf den regulatorischen Kontext oder die auch im Königreich virulenten Attacken auf die Gebührenfinanzierung der öffentlichen Medien –, statt also das Potential dieses von unserer SRG-Strategentruppe so genannten «digitalen Vektors» kreativ zu nutzen, um die unvermeidliche Knappheit eines «Echo»-Beitrags wettzumachen, wurden bei der Umsetzung fürs Web zusätzliche Simplifizierungen vorgenommen, welche dazu noch Vorurteile der «No-Billag»-Verfechter alimentieren. Nicht zu reden von der läppischen Umrankung mit leidigen «Symbolbildern» ausländischer Agenturen.

Dabei wäre das Studium der Strategien der BBC für die Jahre 2022 bis 2027 auch für die medienpolitische Debatte in der Schweiz von höchstem Interesse. Der jetzt publizierte BBC-Plan für die Auslagerung der Produktion aus dem Grossraum London betrifft allerdings nur die erste der fünf Handlungsachsen:

  1. Näher an das Publikum in ganz Grossbritannien, seine Nationen, Regionen und Gemeinschaften zu kommen; 

Auf die Darlegung der anderen Ziele darf man gespannt sein:

  • Schutz und Förderung von Demokratie und ziviler Debatte durch unparteiische Nachrichten und Infor­mationen; 
  • Stimulierung des britischen Kreativsektors durch Produktion unverwechsel­barer, gewichtiger Inhalte; 
  • Lernen, Bildung und Kompetenz für alle; 
  • Weltweite Ausstrahlung, Bekämpfen von Propaganda und Fehlinformation, Widerspiegeln der Kultur und Werte Grossbritanniens.

Interessant sein wird auch der angekündigte externe Bericht zum volkswirtschaftlichen Nutzen des Service public der BBC, dessen Resultate in der Pressemitteilung schon angedeutet sind.

Kultur, Demokratie, Kreativwirtschaft

Schon auf den ersten Zeilen des Arbeitspapiers tritt uns ein ganz anderer Geist entgegen als in vergleichbaren Dokumenten unserer eifernden Service-public-Reformer oder gar in einem Brechmittel voller Anglizismen, Mode- und Marketing-Sprech wie dem kürzlich geleakten Strategiker-Erguss aus dem ORF.

«Die BBC ist ein Eckpfeiler der Kultur, der Demokratie und der Kreativ­wirtschaft Grossbritanniens. Wir feiern Grossbritanniens kreative Stärke und erzählen Geschichten aus allen Teilen des Landes. Wir haben die Aufgabe, die Demokratie Grossbritanniens zu fördern, und wir versuchen, dies mit einem vertrauenswürdigen, genauen und unparteiischen Programm zu tun. Wir sind eine wichtige Basis für die Kreativindustrie, eine der weltweit ausstrahlenden Erfolgsgeschichten dieses Landes. (…) 
Als grösster Medienan­biet­er Grossbritan­niens spielen wir eine zentrale Rolle dabei, Menschen zusam­men­zubringen, um zu lachen, zu gedenken und zu feiern, aber auch um unsere Unterschiede zu verstehen und wertschätzen zu lernen. Das hat sich im letzten Jahr gezeigt, in dem wir eine wichtige Rolle in der Covid-19-Pandemie gespielt und dafür gesorgt haben, dass das Vereinigte Königreich informiert, aufgeklärt und unterhalten wurde. Trotz grosser operativer Schwierigkeiten haben wir das Spektrum unserer Dienste beibehalten und das grösste Bildungsprogramm in unserer Geschichte realisiert.» 

Auffallend ist der überall im Plan konkretisierte Auftrag des Service-public-Rundfunks, die Kreativwirtschaft und das Kulturschaffen zu stimulieren. Bis 2028 wird die BBC «mindestens 700 Millionen Pfund zusätzlich in ganz Grossbritannien investieren und damit einen Nutzen von über 800 Millionen Pfund generieren. Dies wird nicht nur Arbeitsplätze schaffen und entscheidend die Ausbildung fördern, sondern auch die Repräsentation des ganzen Landes vor und hinter der Kamera verbessern.»

Es geht dabei nicht einfach darum, dass «400 Journalistinnen und Journalisten ihre Umzugskisten packen» und «die urbane Blase verlassen» müssen, wie dies flapsig der «Echo der Zeit»-Beitrag des Londoner Korrespondenten resümiert. Es sollen nicht nur Produktionsbudgets und ‑standorte in die Regionen ausgelagert, sondern vor allem auch wichtige Entscheidkompetenzen dezentralisiert werden. Indem die Radio- und Fernsehproduktion in der Nähe, aus der politischen und kulturellen Perspektive der Region konzipiert und gestaltet wird, nicht von Happy-Hour-Seilschaften in der Kapitale, soll sie sowohl kulturell wie wirtschaftlich näher zum Publikum rücken und damit das Schaffen der BBC besser in der Bevölkerung verankert werden. So wie nach einem vertrauten Label im Lebensmittelgestell: «Aus der Region – für die Region».

Zu solcher Regionalisierung gehört auch der Umzug des seit bald 70 Jahren bestehenden Concert Orchestra – eines der sechs Orchester und Chöre der BBC – an einen noch zu bestimmenden Ort ausserhalb der Hauptstadtregion. Für drei dieser Klangkörper gilt das längst: in Manchester wirkt das BBC Philharmonic, das BBC Scottish Symphony Orchestra ist in Glasgow und das BBC National Orchestra of Wales in Cardiff domiziliert; nur die BBC Singers und das BBC Symphony Orchestra sind und bleiben in London basiert und konzertieren von dort aus im ganzen Land.

Keine Marketing-Aktion, vielmehr Effekt einer Regulierung

Diese Dezentralisierungspläne sind nicht allein im Broadcasting House auf dem eigenen Mist gewachsen. Sie gehorchen namentlich, dank einer gesetzlichen Vorgabe, den Regeln der vom Ofcom (dem britischen Pendant zu unserem Bakom) ausgedeutschten Politik. Seit 2003 verpflichtet das Kommunikationsgesetz alle lizenzierten Sender zur Regionalisierung ihrer Betriebe und Aktivitäten. Nachdem schon seit zehn Jahren Quoten zur Auftragsvergabe in die Regionen und für die Beschäftigung der Hälfte der Programmschaffenden («not-on-screen production talent») ausserhalb des Londoner Raums gelten, wurde dieses Regelwerk jetzt wesentlich konziser formuliert und zwingt nun auch die BBC ab 2021 zu einer resoluten Politik der Verlagerung ihrer kulturellen und demokratiestiftenden Aktivitäten in alle Landesgegenden.

Das mindert nicht die Qualität dieses Strategiepapiers, in dem das Wort YouTube nirgends vorkommt, derweil rund um unser Land die Demontage der Radio- und Fernsehkultur voranschreitet. Die aktuellen Debatten rund um das WDR 3-Programm und das erwähnte Papier «Strategie ORF 2025» haben uns gezeigt, welche Brut in den Service-public-Sendern in den vergangenen Jahren herangewachsen ist. Man lese nur die Begründungen des langjährigen WDR 3-Musikmoderators Michael Stegemann für seinen Abschied vom Sender: man blickt in einen Abgrund

Kulturinstitute sollten lebendige Zentren sein

Es bedarf kaum eines Hinweises, um zu sehen, wie sehr auch bei uns sich das Verständnis von Service public von jenem der BBC (im Heimatland des öffentlichen Rundfunks) entfernt hat. Der aktuelle Trend zur Kasernierung aller Kräfte in Komplexen am Leutschenbach und bald auch im EPFL-Campus von Ecublens, zur Intensivhaltung in Grossraumbüros und «Newsrooms» usw. sind nur oberflächliche Indikatoren des Wandels. 

SRG Pforte
Unattraktiv am Stadtrand: die Publikumspforte des Zürcher SRF-Komplexes Leutschenbach.

In Bern fanden im Radiostudio für den Kanton wichtige Konzerte statt, die ich von Biel aus schon als Gymnasiast besuchte, wie obligatorisch mit der Schulklasse die Berner Kunsthalle und das Atelier-Theater. Der Studiosaal am Zürcher Brunnenhof, vormals Heimstatt nicht nur für die Zürcher Musik-Avantgarde und des längst liquidierten eigenen Radioorchesters, dessen öffentliche Sonntagskonzerte Schweizer Musikgeschichte schrieben, siecht heute vor sich hin. Als ich letztmals dort einem Konzert beiwohnte, musste die Tontechnik ambulant eingerichtet und nach dem letzten Ton, noch während wir uns mit der Komponistin und den Interpreten unterhielten, rücksichtslos eilig wieder in klappernde Kisten eingepackt werden – offensichtlich weil die Zürcher Genossenschaft die Installationen des Studios hat verlottern lassen. Und kein Mensch des Radiobetriebs im Hause hat an jenem Abend teilgenommen – sei’s weil er sich als Gastgeber verpflichtet gefühlt hätte, sei’s er wäre selber als Kulturmensch am Ereignis interessiert gewesen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschaftler, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l’audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u.a. das Dossier Medienpolitik betreut.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.

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3 Meinungen

  • am 6.04.2021 um 12:54 Uhr
    Permalink

    Gut gebrüllt lieber Mathias Knauer, wobei sich die Diskussion auf das gesamte Musikspektrum beziehen sollte, nicht «nur» auf die Klassik, sowie auf das ganze Spektrum journalistischer Arbeit…

  • am 6.04.2021 um 14:51 Uhr
    Permalink

    Ein früherer Radio-Direktor hat den Trend, dem SRF seit Jahren folgt, mal treffend etikettiert: „Sauglattismus“. – Es darf nichts mehr tief und ernsthaft schürfen (vielleicht das „Echo der Zeit“ und „International“ ausgenommen).

  • am 7.04.2021 um 21:18 Uhr
    Permalink

    Regional unterschiedliche Teigtaschen
    Der Schweizer Radiosender (1. Programm) sendet am 30. März 2021,
    am Vormittag allen Ernstes eine Endlosdiskussion mit authentischer
    Hörbeteiligung über die «regionalen Unterschiede der italienischen Teigtaschen».
    Als ginge es um des Esels Schatten oder die
    öffentlich-rechtliche Volksverdummung. Trotzdem müssen wir diesen
    Sender gegen die No-Billag-Kräfte verteidigen, um die Qualität
    zu sichern. Das sind Widersprüche, die wir einerseits aushalten
    müssen und auf die wir andererseits gerne verzichten würden.

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