Kommentar

kontertext: Die Reinkarnation der Frau Dr. Wipf

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsBernhard Bonjour war 1979 - 81 Mitglied des Redaktionskollektivs der Basler AZ, 1982 - 2015 Geschichtslehrer ©

Bernhard Bonjour /  Die Karikatur der Frauenstimmrechts-Gegnerin aus Petra Volpes «Die göttliche Ordnung» ist in die NZZ hinübergestolpert.

«Die göttliche Ordnung», der Film von Petra Volpe zum Frauenstimmrecht in der Schweiz, feierte an den Solothurner Filmtagen Triumphe und ist gleich siebenfach für den Schweizer Filmpreis nominiert worden. Er wird zum Tag der Frau in den Kinos lanciert und deshalb überall besprochen und gerühmt.
Man kann bedauern, dass es kaum kritische Analysen gibt. Der Entscheid, das Thema als Dialekt-Komödie zu gestalten, wird gelobt. Fragen müssten trotzdem gestellt werden: Ist es nicht eine Verharmlosung, wenn man die Geschichte zur Zeit der erfolgreichen Abstimmung von 1971 spielen lässt, als die Frage des Frauenstimmrechts eigentlich längst entschieden war (in zahlreichen Kantonen war es eingeführt, über den Ausgang der Abstimmung gab es keine Zweifel mehr)? Wegen dieser zeitlichen Platzierung lässt man die Geschichte im rückständigen Appenzell spielen (was leider dazu führt, dass die Hauptdarstellerin Appenzellisch rezitieren muss, was reichlich papieren tönt).
Wenn die Geschichte zur Zeit der verlorenen Abstimmung von 1959 spielen würde oder früher, als die Kämpferinnen für das Frauenstimmrecht wirklich allein und dem Spott der Allgemeinheit, der staatlichen und wirtschaftlichen Repression ausgesetzt waren, wäre die tragische Dimension, welche Petra Volpe für ihren Film auch reklamiert, wohl eher zum Ausdruck gekommen. Man vergleiche das mit «Souffragette» der englischen Filmautorin Sarah Gavron, der vor kurzem im Kino zu sehen war, ohne Aufsehen und ohne grossen Erfolg – das Leid, das mit dem Kampf fürs Frauenstimmrecht verbunden war, sieht man offenbar weniger gern als den in eine Komödie verpackten Sieg der guten Sache, über die sich heute alle einig sind.
Grautöne interessierten sie mehr als Schwarz-Weiss-Malerei, sagt Petra Volpe in der NZZ. Das ist wirklich eine der Stärken des Films, etwa wenn die Hauptfigur ihre Emanzipation mit einer neuen Kleidung und einer neuen Frisur ausdrückt, die heute ganz anders wirken, unbeholfen und nicht sehr ansprechend und gerade deswegen echt und anrührend.
Aber man kann dem Film auch vorwerfen, dass er das Schwarz-Weiss halt doch noch – der Komödie verpflichtet – allzu häufig einsetzt. Vor allem die Gegenfigur der Unternehmer-Witwe Frau Dr. Wipf, welche die «göttliche Ordnung» vertritt und die Dorffrauen ganz selbstverständlich für die Gegnerschaft zum Frauenstimmrecht vereinnahmt (so etwas brauchen wir nicht) – diese Figur erscheint dem kritischen Zuschauer als eine doch etwas billige Karikatur.
Und dann schlägt man die NZZ auf und findet einen Kommentar zu den Empfehlungen der UNO zu den Frauenrechten in der Schweiz («Kopierte rot-grüne Wunschliste», NZZ 7.3.2017), geschrieben von Katharina Fontana, der umstrittenen NZZ-Korrespondentin am Bundesgericht – und staunt: Die Karikatur aus dem Film findet sich in der Wirklichkeit wieder, heute!
Der Artikel ist auf der Homepage der NZZ leider nicht veröffentlicht (hat da jemand doch noch ein bisschen Schamgefühl?), deshalb seien hier Auszüge wiedergegeben.
Zuerst geht es um die Feier des Tags der Frau. «Es ist eigenartig: Je weniger Grund es gibt, sich über Probleme bei der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu beklagen, desto lauter wird das Lamento. Besonders laut dürfte es diesen Mittwoch werden, wenn der Internationale Tag der Frau begangen wird – eine aus dem Sozialismus importierte Festivität, die hierzulande jeweils mit viel Tamtam, Trillerpfeifen und Luftballons gefeiert wird, wobei dieses Jahr neu noch gemeinsame Strickkränzchen hinzukommen sollen.» Lächerlich, diese Frauen, unreif, wie Kinder halt: «Nicht jede erwachsene Frau dürfte sich mit solchen Auftritten identifizieren können.»
Und weiter geht’s mit der klassischen Argumentation, es gäbe schon berechtigte Anliegen, aber: «Es geht auch nicht mehr darum, gegen Gewalt an Frauen oder für die komplette Verwirklichung der Lohngleichheit einzustehen, was immerhin verständlich wäre.»
Immerhin verständlich! Aber: «Nein, heute wird gegen ’strukturelle Diskriminierungen› und ’stereotype Rollenbilder› protestiert, es wird nach einer umfassenden Gender-Perspektive gerufen und nach Förderung in allen Lebensbereichen.» Schön, dass auch wieder die Tradition der NZZ aufersteht, wonach das, was nicht existieren darf, aber halt trotzdem existiert, in Anführungszeichen gesetzt wird (wir erinnern uns an die «DDR»). Dass möglicherweise die inkriminierten Begriffe dazu dienen, die Gewalt gegen Frauen oder die noch nicht «komplette» Lohngleichheit zu bekämpfen, darüber will sich die Kommentatorin aus der NZZ nicht den Kopf zerbrechen, sie ist ja schliesslich erwachsen.
Dass der eigentliche Hauptteil des Kommentars dann ebenso unlogisch ist, sei ihr geschenkt. Fontana kann sich die Tatsache, dass sich die Empfehlungen des UNO-Frauenaussschusses an die Schweiz mit dem decken, was die hiesigen Fachleute der Gleichstellungspolitik auch fordern, nur damit erklären, dass die UNO-Leute einfach die «rot-grüne Wunschliste kopiert» hätten. Dass Fachleute, weil sie eben Fachleute sind, innerhalb und ausserhalb der Schweiz möglicherweise zu den gleichen Schlüssen kommen – auf diese Idee kommt die Autorin nicht, sie hätte sonst nichts zu kommentieren und keinen Vorwand, gegen den Tag der Frau zu polemisieren.
Von bleibendem Wert ist: Diese NZZ-Redaktorin hat es fertiggebracht zu beweisen, dass die leise Kritik an der grobschlächtigen Karikierung im Film von Petra Volpe unberechtigt war. Die Wirklichkeit erweist sich wieder einmal als genauso witzig wie die Karikatur.

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Anm. der Redaktion Infosperber: Am 9.3.2017 meldete die Branchen-Info-Plattform persoenlich.com, dass Katharina Fontana von der NZZ zur Weltwoche wechselt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Bernhard Bonjour war 1979 - 81 Mitglied des Redaktionskollektivs der Basler AZ, 1982 - 2015 Geschichtslehrer des Gymnasiums Muttenz, heute Stiftungsrat und Lehrer der Alternativschule SOL-Schule für Offenes Lernen in Liestal, Einwohnerrat in Liestal, Delegierter bei der SP Baselland, Gewerkschafter (VPOD), im Team von RettetBasel!

  • Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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