Kommentar

kontertext: Die Marktlüge

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsGuy Krneta, geboren in Bern, lebt als freier Autor in Basel. Er schreibt Theaterstücke und Spoken-Word-Texte. ©

Guy Krneta /  Die Basler «TagesWoche» feiert ihren fünften Geburtstag. Die Freude darüber hält sich allerdings in Grenzen.

Red. kontertext greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Ob Analyse, Sprachkritik oder Statement – kontertexte sind undogmatische Einwürfe, die Publiziertes ernst nehmen, ohne selber dem Ernst ganz zu verfallen.

Am 28. Oktober 2011 erschien in Basel die erste «TagesWoche». Eingeläutet wurde die Sache mit einem Stehempfang im Unternehmen Mitte, wo die Zeitung damals ihren Redaktionssitz hatte. Doch wer meinte, die Dissidenz feiere hier die Geburtsstunde ihres unabhängigen Mediums, sah sich getäuscht. Gut gelaunt stand Moritz Suter, damaliger Scheinbesitzer der «Basler Zeitung», in der Menge, schüttelte Hände und freute sich öffentlich über die neue Konkurrenz.

Noch nie ist eine Zeitung mit so hohen Erwartungen gestartet. Ehe eine einzige Zeile geschrieben war, hatten bereits zehntausend Leute ein Abo gelöst. Und noch nie gab es für ein journalistisches Vorhaben eine so berechenbare, stabile wirtschaftliche Grundlage. Bis heute ist die «TagesWoche» zu achtzig bis fünfundachtzig Prozent stiftungsfinanziert. Und gleicht darin mehr einer öffentlich subventionierten Kulturinstitution in der Grössenordnung des Zürcher Theaters Neumarkt als einem Medienunternehmen.

Während Printmedien um ihre unmittelbare Zukunft bangen – Roger de Weck gibt ihnen noch drei bis fünf Jahre – und es für journalistische Online-Plattformen kaum wirtschaftliche Finanzierungsmodelle gibt, könnte die «TagesWoche» modellhaft vorführen, wie unerlässlich leidenschaftlicher Journalismus für eine demokratische und kulturelle Öffentlichkeit nach wie vor ist. Zumal die geldgebende «Stiftung für Medienvielfalt» 2014 mit einer einmaligen Summe alimentiert wurde, die einen mittelfristigen Betrieb garantieren kann.

Tatsächlich löst die «TagesWoche» diesen Anspruch gelegentlich auch ein. In den fünf Jahren ihres Bestehens gab es immer wieder bemerkenswerte Stimmen, die durch stilsichere Themensetzung und gründliche Recherche auffielen. Und Woche für Woche zeigt Georg Kreis, was kenntnisreiche und umfassend interessierte Intellektuelle schreiberisch vermögen, wenn man sie nicht auf zeichenknappe monatliche Kolumnen eindampft.

Im Gesamtbild aber vermittelt die «TagesWoche» seit fünf Jahren ungebrochen den Eindruck des Zufälligen, der Liebhaberei, der Gärtchenpflege. Kündigt jener Redaktor, der mit Verve das Baselbiet beackert hatte, wird das Baselbiet gestrichen. Hört der Kollege auf, der sich für Literatur interessiert hatte, verschwindet die Literatur vom Radar. Und was sollen wir davon halten, dass die beiden Ex-Co-Chefredaktoren heute auf ihren Facebook-Profilen und in ihren privaten Blogs so gewitzt und angriffig schreiben, wie man es ihnen zu «TagesWoche»-Zeiten nie zugetraut hätte?

Neben der bequemen Weigerung der Redaktion, sich in einer politisierten Situation politisch zu verhalten («Wir sind keine Anti-BaZ!»), gehört die leidenschaftslose und beliebige Kulturberichterstattung zu den grössten Enttäuschungen, die sich mit dem Projekt «TagesWoche» verbinden. Umso mehr als der Protest gegen die Blocher-BaZ seinerzeit von etlichen Kulturschaffenden getragen und verbreitet wurde.

Blenden wir noch mal zurück. Im Februar 2010 kaufte Christoph Blocher als heimlicher Financier die «Basler Zeitung». Ende August installierte er coup-artig seinen Statthalter Markus Somm als Chefredaktor. Im November machte die «NZZ am Sonntag» Blochers Rolle bei der BaZ publik. Der daraufhin lancierte Aufruf von «RettetBasel!» wurde innerhalb weniger Tage von mehr als achtzehntausend Leuten unterschrieben. Der Aufruf hatte zwei Stossrichtungen, einerseits wollte er Blocher, Somm und Tettamanti stoppen, anderseits forderte er auf, sich für eine Alternative stark zu machen. Hier schloss die Idee zur «TagesWoche» an, die «RettetBasel!» dann wiederum publizieren und bekannt machen konnte, was der Zeitung noch vor ihrem Start diesen fulminanten Aufschwung gab.

Die Geschichte scheint der «TagesWoche» bis heute unangenehm zu sein. Früh distanzierte sie sich von «RettetBasel!», statt selbstbewusst auf die entstandene Community zu bauen. Im historischen Rückblick anlässlich des fünften Jubiläums wird die Gründungsgeschichte im Print denn auch gänzlich unterschlagen. In der Online-Version schreibt die «TagesWoche» ihre eigene Geschichte fakten-ungenau bei Wikipedia ab.

Der Blick zurück interessiert nicht. «Wir erfinden uns neu», verkündet Chefredaktor Christian Degen stattdessen, ohne fassbare Hinweise zu geben, worin die Neuerfindung bestehen könnte: «…voraussichtlich Ende März… in Print und Online in einem neuen Layout präsentieren…». Wieder ein Relaunch. Wann war der letzte? «…künftig digital innovativer sein und neue Formen des Storytellings fördern…». Spricht er von bezahlten Inhalten? «…inhaltlich öffnen…». Er habe den Auftrag, «das Unternehmen von einem Start-up zu einem funktionierenden KMU zu entwickeln», schreibt Christian Degen. Doch von wem hat er diesen Auftrag? Und warum? – «Es war und ist eine herausfordernde Aufgabe, die TagesWoche mittelfristig aus ihren stiftungsfinanzierten Anfängen in eine weitgehende Eigenwirtschaftlichkeit zu überführen», doppelt Verwaltungsratspräsident Oscar Olano nach.

Von Anfang an hat sich die «TagesWoche» ein widersinniges Abo-System gegeben. Obwohl der Schwerpunkt bei Online liegt, zahlen Abonnierende für die Printausgabe. Diese wiederum enthält aktuell nur Texte, die bereits online publiziert wurden. Der frühere Plan, Solidaritäts-Abos zu verkaufen, bei denen die Printausgabe durch einen geringen Aufpreis zusätzlich abonniert werden könnte, wurde nie umgesetzt. Vielleicht weil es Folgen gehabt hätte auf die Werbe-Einnahmen beim Print-Produkt. Doch so erhalten nun weiterhin viele Abonnierende eine Printausgabe, die sie nicht wollen, da sie online lesen und fürs Abo lediglich aus Solidarität zahlen.

Briefe, die derzeit verschickt werden, geben Anlass zur Vermutung, die «TagesWoche» plane eine Paywall. Das bedeutete wohl das Aus für das Projekt (und würde auch der Grundidee der Stiftungsfinanzierung fundamental widersprechen). Die Abo-Zahlen sind seit den Anfängen stark gesunken, die Zeitungsmacher freuen sich über die steigende Reichweite online, die ihnen wiederum kaum Geld bringt und mit Bezahlschranke einbrechen würde.

Wie neben der wenig einträglichen Banner-Werbung mit einer elektronischen Zeitung Geld verdient werden kann, zeigt das Portal «Watson», das nach knapp drei Jahren allerdings auch noch keine schwarzen Zahlen schreibt. Rund ein Drittel des Umsatzes wird hier mit «Native Advertising» – von Firmen bezahlten journalistischen Inhalten – erwirtschaftet. Ob Christian Degen davon spricht, wenn er die «neuen Formen des Storytellings» ins Feld führt? Leider liessen sich weder Olano noch Degen mündlich vernehmen und beantworteten auch schriftlich formulierte Fragen nicht.

Die «TagesWoche» hat ihren Sitz im Unternehmen Mitte verlassen und – wie Degen schreibt – als «sichtbarsten Schritt auf dem Weg vom Start-up zu einem ‚erwachsenen’ Medienunternehmen» bestens ausgerüstete Büros an der Spitalstrasse bezogen. Zum Jubiläum wurden Quotes eingeholt beim Direktor der Handelskammer, beim Direktor des Gewerbeverbands, beim Geschäftsführer von «Pro Innerstadt» usw. Doch Kulturschaffende und politisch Aktive, die damals den Medienplatz Basel verteidigten, kommen nicht zu Wort.

Ob sich die Verantwortlichen um die Geschichte foutieren, weil sie keine Idee für die Zukunft haben? Nachdem sich die Journalisten zwischen Print und Online die Köpfe eingeschlagen haben, bleiben die Händeschüttler. Vielleicht ist es einfacher, in zwei-drei Jahren sagen zu können, man sei Opfer eines Marktes geworden, der im Umbruch sei, als sich eingestehen zu müssen, dass eigentlich alles da war: Dringlichkeit, eine aufmerksame LeserInnenschaft und viel Geld.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Guy Krneta, geboren in Bern, lebt als freier Autor in Basel. Er schreibt Theaterstücke und Spoken-Word-Texte. Im Herbst erscheinen die Bücher "Filetschtück" (Verlag der gesunde Menschenversand, Luzern) und "Stottern und Poltern" (Verlag der Autoren, Frankfurt M.). Ausserdem hat im Dezember sein Theatertext "In Formation" am Schauspielhaus Zürich (Schiffbau Box) Premiere, in dem es auch um medienpolitische Fragen geht. Mitglied der Gruppe "RettetBasel!", die sich bei der Übernahme der Basler Zeitung durch Christoph Blocher gebildet hat und medienpolitische Aktionen lanciert.

Zum Infosperber-Dossier:

GegenStrom_2_ProDirectFinance_XX_heller

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