Kommentar
kontertext: Der Männerbund
Selbstdarsteller Donald Trump agiert weltweit. Fast 24 Stunden von Kameras beäugt. Vor unser aller Augen. Auf der kolossalen Online-Bühne. Jeden eigenen Schritt – und wohl jeden Gedanken – protokolliert er auf Twitter und Facebook. So erschliesst er sich ein weltumspannendes, interaktives Lesepublikum und so entsteht sein kolossaler Roman des Dramas des mächtigsten taktlosen Mannes der Welt. Mit Millionen Followern. Wie geht doch die Rede: Nichts ist fiktiver als die Realität. Dies ist Schnee von gestern. Heute übertüncht Post Truth, zu deutsch das Postfaktische, die Fakten. So wird die Realität neu fortwährend fiktionalisiert. Auch die Dialektik verändert momentan ihre Bedeutung. Wenn sowohl Putin wie Trump das russische Hacking und die Anti-Trump-Spionage als Fake News bezeichnen, dann heisst dies: Es gibt keinen Widerspruch nirgends. Dies kann nur der besonderen Freundschaft dieser Männer geschuldet sein, die vorgeben sich nicht anzulügen. Falls es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dann hat ihn der Immobilienmogul von Manhattan geliefert. Irgendwann im vergangenen Jahr dürften sich die beiden Bösewichte nämlich ihre Treue geschworen haben. Komm schon, Vladimir. Verdirb mir meinen Wahlkampf nicht. Es wird auch für Dich etwas rausspringen… So ungefähr könnte sich Trump angedient haben.
Weil wir zwei gleich böse Bösewichte in dieser Medieninszenierung haben, kann auch ihr Drama noch nicht so schnell zu seinem Umschwung kommen. Wir brauchen wohl erst einen gesalzenen, neuen Verrat von einer Seite. Damit wieder mehr Bewegung in dieses Stück kommt. Putin müsste beispielsweise vom CIA in Washington mit versteckter Kamera beim Frühstück mit einer amerikanischen Prostituierten gefilmt werden. Je chaotischer Trump als Politiker agiert, desto interessanter wird er als Held auf Youtube, wo wir ihn ungläubig als hochnotpeinlichen Faxenmacher betrachten. Wie dies doch uns normalen Menschen hilft, uns moralisch immer wieder neu und gut auszurichten. Man fragt sich schon, wie lange es gut gehen kann, wenn zwei solche identische Finsterlinge sich die gleiche Rolle im medialen Scheinwerferlicht teilen. Vielleicht kriegt ja nächstens der untergetauchte britische Ex-Spion einen Auftritt und verrät uns, wie es wirklich war mit den Prostituierten in Moskau. Dies dürfte dann die Dynamik in dieser Soap Opera mit Thrillereffekt definitiv ankurbeln. Allein schon wegen der neuen Wahrheiten, die ins Spiel kämen und die sogleich zu Fake News würden. Wir sind jedenfalls schon mal dankbar dafür, wie viel neue Stoffe von Fiktionen aus den Arsenalen der Herren Putin und Trump plötzlich auf dem Tisch liegen. Es könnte aber auch der Nachzünder losgehen. Das muss doch die Phantasie befeuern. Was für Perspektiven und Möglichkeiten für das junge postfaktische Fach. Noch ist ein Zwischenakt im Gang. Noch scheint die Freundschaft der beiden Gernegrosse in Eisen gegossen. Es herrscht jedoch, so scheint es, Ruhe vor dem nächsten Sturm. Der Männerbund wird sich noch bewähren müssen.
Der Schluss dieses Melodrams ist natürlich nicht abzusehen. Man darf aber spekulieren, was an Fake News-Material von dem Duo der Stunde noch anfallen könnte. Vladimir wird Donald zuerst zur Jagd im sibirischen Urwald einladen. Zu zweit werden die beiden Brüder im Geiste, mit blossen Oberkörpern auf Putins Weissrussischem Kaltblut sitzend, durchs Unterholz sprengen. Putin wird zwei Bären mit einem Schuss erlegen, damit sein amerikanischer Berufskollege auch auf seine Rechnung kommt. Falls Trump seinerseits Ladehemmungen zeigte, dürfte ihm sein russischer Gastgeber gewiss nachhelfen können.
Trump wird sich mit einer Gegeneinladung revanchieren. Putin wird zu einem hitzigen Rodeo in New Mexico reisen. Ob bei den Cowboys auch nochmals ein Schuss fallen wird? Oder werden sich die zwei Freunde schon wegen neuer, akuter Frauengeschichten schwer in den Haaren liegen? Aber halt: Bitte nicht zu viele Fake News auf’s Mal.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Heinrich Vogler. Geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist / Redaktor bei Radio DRS und SRF 2 Kultur. Arbeitete als Kultur- sowie jahrelang als Literaturredaktor. Bis zur Pensionierung Ende 2015. War freier Literaturkritiker für Berner Zeitung, Tages-Anzeiger und NZZ.
- Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.