Kommentar
kontertext: Der latente Leninismus der Rechtskonservativen
Wir kennen sie alle, unsere letzten Alt-68er Geister, die als Medienaktivisten im Modus der Dauerempörung durch die mediale Schweizerlandschaft rasen und sich letztlich erfolgreiche politische Bewegungen immer nur als leninistische Eliteprojekte vorstellen können, obwohl sie sich als stramme Antikommunisten verstehen: Roger Köppel und Markus Somm. Nun, es ist um sie in letzter Zeit etwas ruhiger geworden. Köppel verirrt sich im schwedischen Pandemiedesaster und Somm schreibt vielleicht wieder mal eine Biographie über einen mächtigen Mann der Vergangenheit. Aber aus ihrer journalistischen Kaderschmiede sind etliche Nachwuchskräfte munter am Publizieren, was das Zeug hält. So etwa Dominik Feusi, Wirtschaftsredaktor bei Tamedia.
Der hat am 22. Juni auf Seite 3 des Tages-Anzeigers einen ganzseitigen Blick hinter die Kulissen der Konzernverantwortungs-Initiative geworfen. Dabei hat er sein leninistisches Politikverständnis wieder einmal so richtig fett unter Beweis gestellt: «Alles auf Sieg». So lautet der Titel seiner sensationellen Enthüllungen. Feusi hat sich Zutritt zum engsten Kreis dieses «professionellsten Politcampaigning» verschafft und er klärt nach der akribischen Sichtung von geheimen Konzeptpapieren, Protokollen und Abrechnungen die naiven ZeitungsleserInnen darüber auf, «nach welchem Drehbuch die Kampagne funktioniert». Aus der Vielfalt einer breiten politischen Bewegung macht er ein einziges «perfektes Manöver» einer im Verdeckten agierenden Kaderorganisation, was dann etwa so aussieht: Bettelbriefe zur rechten Zeit, die einem ans Herz gehen sollen, mit Erzählungen «von vergifteten Landarbeitern, verseuchten Dörfern, armen Kindern». 45’000 Fahnen im öffentlichen Raum. Und immer wieder mediale «Schauergeschichten». Dazu Rechtsprofessoren, die an Fachtagungen Stimmung machen, und vertrauliche Gespräche mit der Verwaltung und dem Bundesrat. Das Ganze im richtigen Augenblick garniert mit eigenen Umfragen, gepusht von hoch bezahlten Lobbyisten. Natürlich dürfen da auch instrumentalisierte naive Bischöfe nicht fehlen. Und vier parallel agierende Abstimmungs-Komitees (das haben die sicher bei Putin abgekuckt!), die stramm ausgerichtet sind auf ein Ziel, nämlich: «Sieg».
Das ist schon beeindruckend, wie scharfsinnig und mutig Feusi dieses monströse Politprojekt analysiert und demaskiert. Aber leider hat er nicht herausgefunden, auf welch schändliche Weise es den InitiantInnen gelungen ist, sogar die rechtsbürgerliche NZZ als fünfte Kolonne gezielt und hinterhältig einzusetzen. Sie glauben mir nicht, lieber Leser, liebe Leserin? Hier der Beweis:
«Gute Chancen für Konzerninitiative», so lautet die Schlagzeile auf der Titelseite der NZZ vom 9. Juni 2020. Man erfährt darin, dass es nun klar sei, dass im November über diese Initiative abgestimmt werde. Es stünden sich dabei Befürworter, «die vor allem mit dem Moralfinger hantieren», einer bürgerlichen Gegnerschaft gegenüber, die «vor wirtschaftlichen Schäden» warne. Die Gegner würden dabei «wohl deutlich mehr Geld» in den Abstimmungskampf stecken, aber die Befürworter würden von einer «erheblichen Grundsympathie traditioneller Populärmedien» profitieren, «die gerne den Moralfinger heben und Emotionen ansprechen, statt das Publikum mit juristischen Feinheiten zu langweilen». Und links neben diesem nüchternen Artikel weist ein grosses, farbiges Portrait-Bild des Kakao-Bauern Touboni Kahon Henri in der Nähe des Dorfes Zorofla auf eine zweiseitige Reportage im Innern der Zeitung hin. Einer Reportage aus dem Land, aus dem 40 Prozent der globalen Produktion von Schokolade stammen: aus der Côte d’Ivoire. Sie trägt den Titel: «Schokolade aus dem rechtsfreien Raum».
Tja, mein lieber Dominik Feusi, das hätten Sie wohl nicht gedacht, dass die Leute von der Konzernverantwortungs-Initiative mit Fabian Urech einen NZZ-Journalisten für ihre Herzschmerzstrategie gewinnen oder wohl eher kaufen konnten! Aber hören wir uns doch etwas genauer an, wie hier «von vergifteten Landarbeitern, verseuchten Dörfern, armen Kindern» (Originalton Feusi!) berichtet wird:
Jede sechste Tafel Schokolade hat ihren Ursprung in den Naturschutzgebieten von Côte d’Ivoire.
800’000 Bauern, «die hier auf kleinen Plantagen jeweils einige hundert Bäume bewirtschaften, sind das Rückgrat der globalen Schokoladeindustrie. Etwa 100 Milliarden Dollar setzt diese jährlich um.» Mehr als eine Million Kinder arbeiten auf den Kakaoplantagen. «In den bitterarmen Nachbarländern locken mafiöse Netzwerke Kinder von ihren Familien weg auf die Plantagen, meist mit falschen Versprechen. In Côte d’Ivoire sind es bis heute mehrere tausend. Viele von ihnen arbeiten in Naturschutzgebieten. Sie führen gefährliche Arbeiten durch und spritzen giftige Pestizide.»
Na, was sagen Sie zu so viel Moralin, Herr Feusi? Und das alles gratis und franko in der rechtsbürgerlichen NZZ? Sapperlot! Aber es geht noch weiter in diesem Tonfall: «Es ist eine Geschichte über einen Ort, an dem Gesetze nichts gelten. Und es ist eine Geschichte darüber, wo die Schokolade herkommt.» Ein Ort, wo alle irgendwie Täter und Opfer sind: «Opfer eines korrupten Systems und Täter gegenüber den Kindern, deren Zukunft sie aufs Spiel setzen. Sie sind Opfer auch der Not – viele hat der Bürgerkrieg in die geschützten Gebiete getrieben. Und Täter gegenüber der Natur.» In den letzten 50 Jahren sind in Côte d’Ivoire rund 90 Prozent der gesamten Waldfläche verschwunden. In 9 von 10 Fällen wird auf den gerodeten Parzellen Kakao angebaut.
Wer wissen will, wieso sich an diesen Ausbeutungsverhältnissen nichts ändert, muss gemäss Fabian Urech die Frage stellen: «Wer profitiert von diesem System?» (Unerhört, das klingt ja beinah marxistisch!) Die korrupten Kontrolleure des Waldministeriums profitieren davon, die Steuereintreiber bei Marktständen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Der ivorische Staat, der an jedem exportierten Kilogramm Kakao mitverdient. Und dann am Schluss der Lieferkette die globale Schokoladenindustrie und die KonsumentInnen. «Die Zürcher Firma Barry Callebaut etwa, der weltgrösste Schokoladenproduzent, kennt nur bei 40 Prozent der Kakaobohnen, die sie in Côte d’Ivoire kauft, die genaue Herkunft.» Hersteller und Handelsfirmen versprechen seit Jahren Besserung. «Einer umfassenden Lösung des Problems kommt die Branche aber kaum näher.»
Verschiedene Initiativen sind ins Leben gerufen worden. Aber das Abholzen geht trotzdem weiter: «Gemäss einer Studie der NGO Global Forest Watch hat die Abholzung in den geschützten Gebieten in den letzten Jahren sogar zugenommen. Und in den vergangenen 10 Jahren ist die Zahl der Kinder, die auf den Plantagen die schweren und gefährlichen Arbeiten erledigen», gar um 10 Prozent angestiegen. Die grossen Schokoladenhersteller hatten bereits 2001 versprochen, die Kinderarbeit in ihren Lieferketten zu beseitigen. Und auch 20 Jahre später versprechen Branchengrössen wie Olam, Cargill oder Nestlé, dass in 5 Jahren keine Kinder mehr arbeiten müssen.
Und mit dieser herzzerreissenden und melodramatisch bebilderten Reportage hat es aber die NZZ-Redaktion in ihrer Printausgabe vom 9. Juni nicht belassen. Im Wirtschaftsteil kann man nämlich noch unter dem Titel «Nachhaltige Anlagen profitieren» in Erfahrung bringen, dass zu den Profiteuren in der Virus-Krise nachhaltige Anlagen zählen und dass «nachhaltiges Investieren immer mehr zur Normalität wird.»
Und jetzt: was sagen Sie dazu, lieber Dominik Feusi? Hätten Sie es für möglich gehalten, dass es die geheimen Lobby-Kräfte der Konzernverantwortungs-Initiative schaffen, die Ausgabe der NZZ vom 9. Juni quasi als Ganzes zu kaufen und für ihre Manöver so perfekt einzusetzen?
PS: Hand aufs Herz und ganz ohne Ironie und Satire: Das Problem des rechtsfreien Schokoladenraumes ist komplex. Allein mit der Annahme der Initiative ist die Sache nicht gelöst. Aber wenigstens hätten wir als reiche, weisse SchokoladenproduzentInnen und KonsumentInnen einen minimalen Beitrag zur Behebung dieser himmelschreienden Ausbeutungsverhältnisse geleistet.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Georg Geiger, geb.1957, lebt im Oberbaselbiet und arbeitet als Gymlehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Leonhard in Basel. Er ist promovierter Germanist, Historiker und ausgebildeter Gestalttherapeut, Mitglied der Bildungsgruppe vom Denknetz und Mitautor beim Bildungsblog Condorcet.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.
Na also von wegen schwedischen Pandemiedesaster, da ist das letzte Wort nicht gesprochen. Momentan sehen wir, dass dort wo am restriktivsten der Lockdown verordnet wurde nun eine umso intensivere zweite Welle aufblüht. Israel hat inzwischen wieder über 1000 Neuinfektionen pro Tag trotz Einsatz von Geheimdienst für Mobile/Tracing wider aller Persönlichkeitsrechte gleich vom ersten Tag des Lockdowns an.
Dass es Probleme im internationalen Handel gibt, bestreitet niemand. Die Frage ist einfach, ob die Schweiz die Aufgabe hat, an der Côte d’Ivoire und in tropischen Regenwäldern Polizei zu spielen. Man stelle sich bitte den umgekehrten Fall vor, die Regierung von Côte d’Ivoire stellt in der Schweiz eine Polizei-Truppe auf, die überwacht, dass ihr Kakao ordentlich verarbeitet wird.
Es ist einfach aus bequemen Sesseln in der reichen Schweiz aus, die Welt «da draussen» zu begutachten und dann die Unternehmen, die «da draussen» Arbeitsstellen schaffen zu verurteilen. Ich habe über 30 Jahre meines Lebens in sog. unterentwickelten Ländern gewohnt und gearbeitet. Kann mit gutem Gewissen sagen, dass die Schweizer Unternehmen, mit wenigen Ausnahmen, zu den beliebtesten und begehrtesten Arbeitgebern in diesen Länder gehören. Zu meinen, Schweizer Politiker, Medien und Gerichte seien dazu geeignet, Situationen in diesen Ländern zu verstehen, zu beurteilen und zu verurteilen, ist illusorisch und vermessen.
Herr Geiger mag also Herr Feusi nicht. Soweit habe ich den Artikel verstanden. Aber bezeichnet er den rechtsextremen Roger Köppel als alt 68er, waren die 68er damals nicht eher links? Ich meine es gab unter ihnen neben den Hippie Anarchisten auch nicht wenige Maoisten, also klar in der Tradition des Leninismus. Womit wir beim zweiten Wirrwarr wären: der Autor scheint jede autoritäre, zentralistische Organisationsform als “Leninismus“ zu bezeichnen – womit ja von Cäsar über Louis XIV bis Napoleon alle Monarchen plötzlich zu Lenin gehörten, ebenfalls Hitler und Mussolini. Die Welt auf eine Dualität von laissez-faire Liberal und autorität “Leninistisch“ zu reduzieren dünkt mich schon arg verkürzt. Aber vielleicht gingen die Inhalte ja in der komplexen Ironieverschachtelung irgendwo unter für nicht-Insider.
Danke Pedro Reiser. Ich nehme zehnmal leninistischer Sozialismus vor ich linken Neokolonialismus (Wertekolonialismus) akzeptiere.
Bei der Konzernverantwortungsinitiative geht es darum, dass Unternehmen, welche Umweltrechte oder Rechte der Mitarbeitenden verletzen, in der Schweiz vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden können. Unternehmen, die zu den beliebtesten Arbeitgebern gehören, müssen wohl nicht fürchten, von ihren MitarbeiterInnen angeklagt zu werden. Es ist überhaupt nicht die Rede von einer Polizei-Truppe im Ausland. Damit wird die Konzernverantwortungsinitiative verleumdet. Und es geht auch nicht um Wertekolonialismus. Es geht darum, dass Unternehmen, die in der Schweiz ihren Sitz haben und ihre Gewinne versteuern, unsere Werte respektieren.
Was ist von Feusi anderes zu erwarten? Feusi und Somm waren im Inventar der BAZ und mussten vom TA übernommen werden, mit dem Recht auch zu publizieren. Hat sich Blocher wahrscheinlich ausbedungen als Dank dass die beiden immer in seinem Geiste geschrieben haben. Feusi im TA zu verscheidenen Themen, wobei er nicht alle versteht, die Konzernverantwortungsinitiative hat er nicht begriffen. Somm darf wöchentlich eine Spalte in der SZ füllen und meckern.