Kommentar

kontertext: An Pudels Kern vorbei

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsMathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er ©

Mathias Knauer /  Die aktuelle Aufregung übers Datenleck in Deutschland lenkt ab von den substantiellen Fragen des täglichen Datenschutzes.

Man las dieser Tage viel darüber, wie ein nordhessischer Schüler Politiker und andere Respektsfiguren mit der Publikation von Daten in Aufregung versetzt hat, die er mit Fleiss und offenbar auf der Strasse herumliegenden Methoden gesammelt hatte. Nach einigen Tagen Werweissen – bei dem der Chef der deutschen Bild-Zeitung mit Orakeln über staatlich gestützte Angriffe sich lächerlich gemacht hat – stellte sich das Ganze als ziemlich banal heraus.
Unter deutschen Politikern war ein merkwürdiges Geschrei losgegangen – eine Ministerin der SPD beklagte pathetisch «einen schwerwiegenden Angriff auf das Recht auf Privatsphäre und damit einen Grundpfeiler unserer Demokratie»; der Fraktionschef der Linken sprach von «einem schweren Anschlag auf die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land», meinte damit aber nicht das soeben von der rot-roten Brandenburger Regierung ausgeheckte Polizeigesetz, das schwerwiegende Datenschutzbedenken laut werden liess.
Da durften auch die Grünen nicht hintanstehen und monierten den «sehr ernstzunehmenden Versuch, unsere Demokratie zu destabilisieren» (alle Zitate nach dem zusammenfassenden Bericht bei heise.de)
Die Aufregung solcher Politiker steht in bizarrem Gegensatz zu deren regelmässiger Passivität – um nicht zu sagen: Komplizität –, wenn immer es um die schleichende Aufweichung des Datenschutzes geht, wie ihn die Behörden seit Jahren betreiben.
Wenige reden dazu Klartext, erst recht selten auch die dazu angestellten Datenschützer: Sie geben heute dem Bürger wohlfeile Empfehlungen ab, wie er sich mit sicheren Passwörtern oder mit Vorsicht beim E-Mail-Öffen wappnen könne, sagen uns aber selten, wie wir uns gegen die behördliche wie kommerzielle Datensammlung zur Wehr setzen müssen.
Angesichts der sich verschärfenden Defizite beim Datenschutz muss man dem deutschen Blogger Felix von Leitner beipflichten, wenn er sagt: «Aus meiner Sicht ist die Politik nicht Opfer, sondern Täter». «Wir haben das falsche Ziel vorgegeben, wir erheben sinnlos Daten, wir speichern sie unsicher in der Cloud, und unsere Software ist auch unsicher. Es sind nicht Fehler in der Umsetzung, es sind Fehler in der Zielsetzung!»
Die Politik zeigt sich heute widersprüchlich: zum einen reagieren, wie Figura zeigt, Politiker mimosenhaft auf Datenleaks, sobald sie selber betroffen sind; wenns aber ans Stopfen der Lücken und um die eigene Datenhygiene geht, stecken sie den Kopf in den Sand. Notorisch sind die Fälle, wo Behörden, statt Sicherheitslücken sofort bekannt und damit unschädlich zu machen, diese erst mal fürs eigene Spitzelwesen benutzen wollten – Daseinsvorsorge nicht für die Bevölkerung, sondern für den staatlichen Überwachungsapparat.
Selbst Akteure, die sich als Datenpolitiker profilieren, sündigen im Codegestrüpp ihrer Webseiten ungeniert. Wer sich ungeschützt auf die Website des Fraktionschefs der Schweizer Grünen Balthasar Glättli begibt, wird unverlangt mit Google verbunden; die Website der Grünen kommuniziert im Hintergrund mit dem US-Datendienst Addthis.
Die Sorglosigkeit, mit der auch Akteure, die es besser wissen könnten, mit den lauernden Gefahren des Datenkapitalismus umgehen, ist immer wieder frappant. Bei einem Hätschelkind unter den neuen Medienprojekten, der Online-Publikation «Republik», findet man eine in mancher Hinsicht fortschrittliche Praxis – es werden nur Ressourcen von eigenen Domains eingesetzt –, anderseits aber bleibt die statistische Ausforschung der Besucher durch den Dienst Piwik in der Datenschutzerklärung so wenig erklärt wie das Abstützen des ganzen Projekts auf Server des Klassenfeinds Amazon.
Solange nicht einmal die «alternativen» Projekte pionierhaft vorangehen, ist eine Heilung der wunden Medienökonomie nicht zu erwarten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l'audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u.a. das Dossier Medienpolitik betreut.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

Zum Infosperber-Dossier:

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3 Meinungen

  • am 16.01.2019 um 11:59 Uhr
    Permalink

    Herr Knauer spricht ein anderes Problem gar nicht an: Es wäre ganz einfach, sich vor Hacking umfassend zu schützen.

    = Google + Amazon + Microsoft + Apple tun das für ihre Mitarbeiter längst. Sie könnten gar nicht seriös arbeiten, wenn solche Zustände wie derzeit unter den Parlamentarier:Innen in Deutschland (und wohl auch in der Schweiz) diesbezüglich herrschten.
    – Diese Firmen haben eine technische Lösung entwickelt + zur Verbreitung ein Konsortium namens FIDO gebildet.
    — Die Lösung beruht auf dem 2FA-Konzept (Zwei-Faktor-Authentifizierung), ergänzt um einen sog.en ‹FIDO Key› (FIDO-Schlüssel)
    — Ich benutze diesen FIDO-Schlüssel längst + habe seither keine Einbrüche auf meinen eGeräten (WIN-10-PC – MAC-Laptop – Chromebook-Laptop) mehr. (Wegen meiner politischen Facebook-Arbeit bin ich seit Jahren echt exponiert + musste mehrere schwere Attacken über mich ergehen lassen …).
    — Der FIDO-Schlüssel hängt an meinem Schlüsselbund. Er kostet in Amazon inzwischen nur noch EUR 11 (modernste Ausführung; es gibt auch ältere, teurere). Seine Bedienung ist völlig trivial.

    = Wieso also instruieren die Parlamentsdienste unser armen, armen Parlamentarier:Innen nicht längst über solche Lösungen?
    – Unsere Banken benutzen Lösungen auf 2FA-Basis. Allerdings ist ihre Lösung nicht gleich sicher wie der ‹FIDO Key›.
    – Bei der Banken-Lösung erhalten wir einen zusätzlichen Schlüssel per EMAIL oder SMS. ‹The man in the middle› kann sie abfangen + missbrauchen, beim ‹FIDO Key› nicht.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 16.01.2019 um 11:59 Uhr
    Permalink

    Knauer sieht hier gut durch, wobei es aber doch bedenkenswert bleibt, was ein bei seiner Mutter lebendes Bubi von zu Hause aus für «Schaden an der Demokratie» anrichten kann; wozu sollten dann Profis wohl fähig sein? Zu den wenigen Schweizer Politikern, die in solchen Fragen als kompetent eingeschätzt werden, gehört der im übrigen unauffällige, auch nie durch Dummschwatzen auffallende Luzerner Nationalrat Franz Grüter.

  • am 16.01.2019 um 13:52 Uhr
    Permalink

    Die Verletzungen des Datenschutzgedankens sind epidemisch – und wie ich das Abstimmungs der Schweizer Bevölkerung zu gewissen Schnüffelprojekten interpretiere – eine Volkskrankheit. Die Pestilenz der «Informationsgesellschaft». Bevor Krankheiten wie Pest, Kinderlähmung, AIDS, Krebs, als Probleme wahrgenommen, ihre Ursachen erkannt und mit wirksamen Therapien zurückgedrängt oder gezähmt werden konnten, dauerte es teils Jahrhunderte oder Jahrzehnte. Das wird auch bei den von Matthias Knauer gegeisselten Erscheinungen nicht anders sein. Damit die «alternativen» Projekte pionierhaft vorangehen können und eine Heilung der wunden Medienökonomie möglich ist, müsste erst einmal ein «Hygienekodex» für den Umgang mit den elektronischen Medien erarbeitet werden. Nach dem Gang auf’s Klo und vor dem Kochen: Hände waschen – solche simpeln Regeln bräuchte es auch für den Griff zum Smartphone und in die Tasten des PC, Tablets, etc. …. Was weiss ich über die Verbreitung dieser Zeilen? Bei einem reinen Print-Medium war es früher klar – seit dort alles «elektronisch» verarbeitet wird – auch nicht mehr. Aber wie/wo an wen alles werden diese Zeilen verbreitet … das ist mir völlig unklar. Bin ich ein Banause?

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