Sperberauge
Jetzt hat’s auch der TA geschnallt
Heute Samstag 2. Juli lautet die Schlagzeile des Tages-Anzeigers auf der Auslandseite:
- «DAS PARLAMENT HAT DAS SAGEN – Grossbritanniens Abgeordnete können ein Machtwort sprechen und den EU-Austritt stoppen».
Begründung: Die Abstimmung sei nur konsultativ gewesen und «kein souveräner Entscheid».
Mit diesen Schlagzeilen wollte der Tages-Anzeiger seinen Leserinnen und Lesern offensichtlich etwas Neues mitteilen. Das konnte die Zeitung allerdings nur, weil sie in ihrer wochenlangen Berichterstattung zum Brexit über diese längst bekannten Fakten nicht von Anfang an klar informiert hat. Etliche LeserInnen meinten nach der Abstimmung sogar, Grossbritannien sei ab sofort nicht mehr Mitglied der EU.
Auch über «Ängste» und «Unruhen» im Wett-Casino der «Finanzmärkte» berichteten der Tages-Anzeiger im Chor mit andern Medien. Über die verbreitete Verunsicherung konnten sich Spekulanten freuen, die sich am Tag nach der Abstimmung zu gesunkenen Kursen mit Wertpapieren eindeckten und sie jetzt wieder mit Gewinn verkaufen – ohne volkswirtschaftlichen Nutzen. Am 2. Juli 2016 meldete der TA in einer winzigen Meldung auf der Börsenseite: «Die Brexit-Welle ist schon ausgebeult». Die Delle war auch ein gefundenes Fressen für die dominierende computergesteuerte Mikrosekundenspekulation mit Wertpapieren und Währungen.
Ein Austritt aus der EU ist noch längst nicht beschlossen
Unter dem Titel «Hysterie wegen Brexit-Abstimmung» hielt Infosperber eine Woche vor der Volks-Konsultation in Grossbritannien fest: «Der Brexit soll schon heute an allem Schuld sein: Börsenverluste, schwacher Euro…. Doch es steht gar kein Brexit bevor.» Die britische Regierung habe zwei oder sogar noch mehr Jahre Zeit, um mit der EU einen Austrittsvertrag auszuhandeln. «Würden sich dann die drohenden Nachteile für das Königreich als zu gross erweisen, könnte Grossbritannien immer noch von einem Ausscheiden aus der EU absehen und in der EU bleiben.»
Einige britische Politiker fordern schon heute, dass das Volk nach Vorliegen eines Austrittsabkommens mit der EU nochmals konsultiert werden solle. Dann könnten die Stimmberechtigten – im Gegensatz zur jüngsten Abstimmung – über zwei konkrete Varianten befragt werden. Oder das Parlament entscheidet ohne Volksbefragung, das Austrittsgesuch folgenlos zurückzuziehen: «Ein problemloser Exit aus dem Brexit» (Infosperber vom 29.6.2016). Das war für die Redaktion des Tages-Anzeigers offensichtlich neu: «Das Parlament hat das Sagen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine