Israels Geheimdienst schrieb Jahrzehnte für Schweizer Zeitungen
Er arbeitete für den israelischen Geheimdienst Mossad, spionierte für Israel in Ägypten und anderswo. Gleichzeitig war er ab 1967 während etwa zwanzig Jahren Nahostkorrespondent vieler Deutschschweizer Zeitungen. Er berichtete über zahlreiche Attentate der PLO, im Jahr 1973 über den Jom-Kippur-Krieg Ägyptens und Syriens gegen Israel und im Jahr 1982 über den Einmarsch Israels in den Libanon.
Sein Name war Horst J. Andel, geboren 1933. Pseudonyme waren Alfred Schneider und Aharon Moshel. Er besass einen deutschen und einen luxemburgischen Pass.
Zeitungen publizierten die Artikel, ohne den Korrespondenten je gesehen zu haben
Seine Artikel liess Andel von der Agentur Dukas an die damals noch breite Zeitungslandschaft per Fax verbreiten. Kunden waren ausser «Der Bund» die «Basler Nachrichten», die Münsinger «Tages-Nachrichten», die «Berner Zeitung», die katholische «Ostschweiz«, der «Landbote», die «Luzerner Neuste Nachrichten», das «Luzerner Tagblatt», das «Aargauer Tagblatt», das «Badener Tagblatt», die «Weltwoche» und auch die «Schweizer Illustrierte».
In einzelnen Zeitungen wie etwa der Basler «National-Zeitung» waren die zum Teil wenig veränderten Artikel mit «Alfred Schneider» signiert.
Höchstwahrscheinlich hat keine dieser Zeitungsredaktionen die Person «Horst J. Andel» je gesehen und persönlich mit ihm gesprochen. Damals hatten die meisten Redaktionen auch andere Auslandkorrespondenten nie gesehen. Der Grund: Die vielen Zeitungen leisteten sich fast keine eigenen Auslandkorrespondenten, sondern bezogen ihre Auslandberichte vor allem von der Agentur Dukas.
Diese wurde 1938 in Zürich von Lotte Dukas gegründet. Sie war antifaschistisch, jüdisch und alleinerziehend. Lotte Dukas gewann zahlreiche Schriftsteller und Journalisten, die dem Nazi-Regime entkommen waren und ihre Texte über Dukas verbreiten konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg verteilte die Agentur Dukas Korrespondentenberichte zuerst per Telefon und dann per Fax aus Brüssel an Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Das sparte den Zeitungen Übermittlungskosten aus fernen Ländern, die damals sehr hoch waren.
Die einzelnen Zeitungen zahlten für die Korrespondenten-Artikel aus aller Welt, die Dukas ihnen zustellte, lediglich zwischen 100 und 250 Franken pro Monat, einschliesslich Spesen. Trotzdem gaukelten die Zeitungen der Leserschaft vor, es handle sich um «eigene» Korrespondenten. Über den Artikeln stand jeweils prominent «von unserem Pariser-/Londoner-/Osteuropa-/Amerika-/Lateinamerika- oder Afrika-Korrespondenten».
Die Artikel des Horst J. Andel waren meistens überschrieben mit «Von unserem Nahostkorrespondenten Horst J. Andel».
«Der Bund» in Bern stellte Horst J. Andel seinen Leserinnen und Lesern im Jahr 1980 wie folgt vor:
«Nahost-Korrespondent seit 1967. Geboren 1933. Deutsche und luxemburgische Nationalität. Wohnsitz in Luxemburg, aber praktisch dauernd unterwegs in den Staaten des Nahen Ostens. Studien der orientalischen Sprachen, der Geschichte und Literatur. Seit Anfang 60-er Jahre als Beobachter im Nahen Osten mit Sitz in Kairo, Beirut und Amman. Publikationen: ‹Kommen morgen die Araber?› (1976), ‹Nahost-Report› (1976), ‹Die Araber – Nachbarn Europas› (1978), ‹Der lange Weg zum Frieden› (1979).»
Doch auch die Auslandredaktion von «Der Bund» bekam ihren Korrespondenten Andel nie zu Gesicht. Der damals in dieser Hinsicht seriöseste Auslandredaktor war Hansruedi Felder bei den «Luzerner Neusten Nachrichten». Ihm gelang es im Laufe der Jahre, alle von Dukas vermittelten Auslandkorrespondenten wenigstens einmal persönlich kennenzulernen – mit Ausnahme von Horst J. Andel. Felder versuchte wiederholt, Andel via Dukas zu erreichen – vergeblich. Der Zufall wollte es, dass Felder im Jahr 1972 mit anderen Journalisten Beirut besuchen konnte. Dort erkundigte er sich nach einem «Horst J. Andel». Doch niemand kannte einen Korrespondenten dieses Namens, der damals angeblich von Beirut aus arbeitete.
Misstrauisch geworden, insistierte Felder nach seiner Rückkehr umso hartnäckiger bei Dukas in Brüssel, den Korrespondenten Andel kennenzulernen. Schliesslich rief ihm etwas später ein Herr an, der sich als Andel ausgab und zufällig in Luzern sei. Nach dem Treffen im Restaurant Barbatti meinte Felder zurück auf der Redaktion: «Ich habe einen Herrn getroffen, der sagte, er sei Horst J. Andel. Aber ich bin nicht sicher, ob er es war.»
Nach damaligen Angaben der PTT (heute Swisscom) gab es in ganz Libanon weder eine Telefon- noch eine Faxadresse unter dem Namen «Horst J. Andel» oder «Albert Schneider». Die Luxemburger Adresse des Journalisten Andel hatte eine geheime Telefonnummer, welche die PTT auf Anfrage der damaligen Studentenzeitschrift «Di ander Zitig» nicht herausgab.
Wikipedia: «Arbeitete viele Jahre für den Mossad»
Auf Wikipedia ist heute über Horst J. Andel Folgendes zu lesen:
«Andel, der jüdischer Herkunft war, arbeitete viele Jahre für den israelischen Geheimdienst Mossad. In Kairo klärte Andel ab 1962 die Raketen- und Flugzeugindustrien Ägyptens auf, die massgeblich von ehemaligen Nazis aus Deutschland aufgebaut worden war (Quelle: Ian Black und Benny Morris: Mossad – Shin Bet – Aman. Die Geschichte der israelischen Geheimdienste, Palmyra Verlag, Heidelberg 1994, S. 299, 787f.). Er spürte auch die in Ägypten untergetauchten Nationalsozialisten und KZ-Arzt Hans Eisele und den NS-Publizisten Johann von Leers auf.
In Juni 1967 war Andel während des Sechstagekriegs an einer wichtigen Geheimdienstoperation des Mossad beteiligt, durch welche die Geheimdienste der mit Israel verfeindeten arabischen Staaten getäuscht wurden (Quelle: Horst J. Andel: Kollaboration und Résistance. Der Fall Barbie, Ullstein-Verlag, Frankfurt/M. und Berlin, 1995, S. 2).»
Fiche des Staatsschutzes
Auch mit Spitzeln der Schweizerischen Bundespolizei war Andel in Kontakt. Nach dem Attentat von Fatah-Anhängern auf ein Flugzeug der El-Al in Zürich im Jahr 1969 teilte Andel einem Spitzel der Bundespolizei mit, dass sich beim Anschlag auf die El-Al-Maschine ein Agent des ägyptischen Nachrichtendienstes namens Fouad Saad Zagloul erwiesenermassen in der Nähe aufgehalten habe. Dieser könne für solche Anschläge in Frage kommen. Das geht aus der «Staatsschutzfiche Andel Horst J., 1968-1969» der Schweizer Bundespolizei über Horst J. Andel hervor, die Infosperber einsehen konnte.
Bereits ab Mitte der 60er-Jahre sollen einzelne arabische Staaten Andel mit einem Einreiseverbot belegt haben. Darauf schrieb er hauptsächlich aus Luxemburg, wo er im Jahr 1955 die «Presseagentur Andel» gegründet hatte. Sie wird heute von seinen Nachkommen I. Miriam Andel, Laurence Geyduschek-Andel und Sohn David D. Andel weitergeführt.
Als Quellen nutzte Horst J. Andel vor allem Radionachrichten und Informationen des israelischen Geheimdienstes Mossad.
Im Jahr 1976 schrieb die Schweizerische Handelszeitung in einem Artikel über Andel: «Horst J. Andel lebt, wenn er nicht im Nahen Osten weilt, mit seiner Frau und seinem Sohn in Luxemburg.» Auch in den 80er-Jahren lebte Andel in Luxemburg, nach eigenen Angaben «aber viel unterwegs in Staaten des Nahen Ostens».
Arnold Hottinger: Andel schreibt nach dem Rezept von Karl May
Ebenfalls im Jahr 1976 publizierte Andel sein erstes Buch unter dem Titel «Kommen morgen die Araber?». Arnold Hottinger, Doyen der Nahostexperten und langjähriger Nahost-Korrespondent der NZZ, besprach das Buch von Horst J. Andel. Er nannte es ein «Machwerk» und schrieb: «Der auf dem Umschlagtext als ‹Kenner der Araber› angepriesene Horst J. Andel scheint nach dem gleichen Rezept wie Karl May zu verfahren: Dieser stützt sich auf Stereotype, las Reiseliteratur und liess seinen Phantasien freien Lauf.»
In den 1980er-Jahren beobachtete Andel für den Mossad die rechtsextreme Szene in der Bundesrepublik Deutschland. Andel nahm am Gründungsparteitag der Partei «Die Republikaner» unter seinem richtigen Namen teil (Quelle: Leo A. Müller: Republikaner, NPD, DVU, Liste D …, Lamuv-Verlag, Göttingen 1989, S. 32.) und war als Rechercheur für den rechtsextremen Verleger und Politiker Gerhard Frey tätig (Quelle: Leo A. Müller: Republikaner, NPD, DVU, Liste D …, Lamuv-Verlag, Göttingen 1989, S. 71).
Neben seinen Tätigkeiten als Mossad-Agent und als Korrespondent für zahlreiche deutschsprachige Zeitungen schrieb Andel weitere Sachbücher (teilweise unter dem Pseudonym Aharon Moshel). Auch die «Frankfurter Hefte – Zeitschrift für Kultur und Politik» luden ihn ein, Beiträge zu schreiben.
Andel bagatellisiert Klaus Barbie
Im Jahr 1987 veröffentlichte Andel das Buch «Kollaboration und Résistance – Der Fall Barbie». Der deutsch-jüdische Journalist Heinz Abosch nannte dieses Buch in der NZZ eine «Banalisierung der Untaten Klaus Barbies» und schrieb: «Der Autor, der dem israelischen Geheimdienst angehört und den der Klappentext des Buches als ‹hervorragender Kenner Frankreichs› bezeichnet, beschreibt den Prozess gegen Barbie als lügenhafte Manipulation.» Das Buch strotze vor Banalitäten wie dieser: «Es gibt keine Wahrheiten, also auch keine Lügen […] Es gibt keine Antworten, also auch keine Fragen. Wir sind alle gleichzeitig Opfer und Täter.»
Laut Andel sei Barbie also mit jenen zu vergleichen, die er folterte, und den Kindern, die er den Vergasungslagern zuführte. Ein SS-Mann gleiche einem Widerständler. Und Abosch weiter: «Auch Hitler sei gar nicht so schuldig, habe er doch nur den ‹Zeitgeist› ausgedrückt, vor allem den von der katholischen Kirche seit Jahrhunderten betriebenen Judenhass.»
Zeitungen klärten die Leserschaft nicht auf und entschuldigten sich nicht
Ende der 80er-Jahre wurde die Geheimdiensttätigkeit von Horst J. Andel ruchbar. Die Zeitungen ersetzten ihren langjährigen Korrespondenten still und leise, ohne die Leserinnen und Leser aufzuklären, geschweige denn, sich zu entschuldigen.
Im Jahr 2001 starb Horst J. Andel in München.
Sohn David auf der antiisraelischen Spur
Andels Sohn David hat den Spiess offensichtlich radikal umgekehrt. Er bezeichnet die israelische Regierung auf seiner Webseite Andel.info als eine «rassistische Regierung des zionistischen Apartheidstaates»: «Die Zahl der in Palästina auf grausame Weise sterbenden Menschen ist – wie unzählige Male zuvor – ungleich höher als die Opfer auf israelischer Seite, was Ausdruck eines verachtenswerten Rassismus ist.»
Trotz mehrfacher Anfragen von Infosperber wollte David Andel zur Geschichte seines Vaters nicht Stellung nehmen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war Wirtschaftsredaktor bei den «Luzerner Neusten Nachrichten», als Auslandredaktor Hansruedi Felder versuchte, mit Horst J. Andel Kontakt aufzunehmen.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Saugute Recherche. Bravo! Und wir vermissen, einmal mehr, Hottinger.
Ja, wirklich Herr Schneider !
Wieviele Falschinformationen werden wohl HEUTE über die bekannten Medien verbreitet ? Wir wissen es nicht. Umso wichtiger kritisch zu bleiben und versuchen, herauszufinden, ob der Autor oder Journalist bis zur Quelle der Information recherchiert hat. ABER: wie ist es überhaupt möglich gegen die Geheimdienste anzugehen ? Das ist ja eben alte, wie neue Kriegsführung, im Kleinen, wie auch im Grossen.
Endlich schlägt das Pendel in die andere Richtung und ich gratuliere Infosperber für diesen mutigen Artikel, der sicher vielen Papiertiger der alten Kriegsgurgel-Generation sauer aufstossen wird. Ghostwriting, Public-Relations und die Rubriken «Wirtschaft-Sport» haben schon lange das politische Weltgeschehen mit LifeStyle und Glamour fest im Griff – und die In-Auslandsseiten kontinuierlich zurückgestutzt und zur Belanglosigkeit verwässert.
Exzellente Recherche von Herrn Gasche! Hottinger hatte schon damals Format.
Nur: «Damals hatten die meisten Redaktionen auch andere Auslandkorrespondenten nie gesehen. Der Grund: Die vielen Zeitungen leisteten sich fast keine eigenen Auslandkorrespondenten, sondern bezogen ihre Auslandberichte vor allem von der Agentur Dukas.»
Das sollte nicht im Präteritum stehen, denn es ist ja heute noch so. Die allermeisten Auslandsberichte kommen von ein paar wenigen internationalen Agenturen und ihren «Quellen».
Ich habe etliche Bücher gelesen von Arnold Hottinger und viele Vorträge gehört. Was neben seinem Wissen über den Nahen Osten auch eindrücklich war, das waren seine Sprachkenntnisse. Nicht nur deutsch, französisch, englisch, spanisch, italienisch, sondern fast sämtliche Sprachen des Nahen Ostens. Arabisch, Persisch, Türkisch sind in sich schon völlig andere Sprachen, aber in den arabischen Sprachen gibts ja auch noch Unterschiede, die Arnold Hottinger grösstenteils kannte. So kam er wahrscheinlich zu Quellenmaterial, das sonst vielen Journalistinnen und Journalisten und Historikern verborgen bleibt.
Die Tätigkeiten des Journalismus und die des Nachrichtendienstes sind ja auch nicht so verschieden voneinander. Es überrascht also nicht, dass es hier Überschneidungen gibt. Auch die Funktion der Nachrichtendienste – darunter vieler westlicher – die öffentliche Meinung zu beeinflussen, ist ein offenes Geheimnis. Die Annahme, dass solche vor-Ort Korrespondenten neutral Bericht erstatten und nicht irgendeine ‹Agenda› haben und vertreten, wird auch durch zahlreiche aktuelle Beispiele widerlegt – man denke dabei an die Berichterstattung zum Thema ‹Syrien› ab 2011, oder aktuell Gaza, wo gerne von Hamas-Quellen abgeschrieben wird. Oder auch in der COVID ‹Berichterstattung› wurden Interessen vertreten und nicht objektiv informiert.