Sperberauge
Geschwätziger Dialog statt saubere Nachrichten
Wolf Schneider, der Journalist und meistgelesene Sprach- und Stillehrer deutscher Sprache, hat die Nachrichtenredaktoren einst als einflussreichste Meinungsmacher in den Ländern mit freier Presse bezeichnet. «Ob sie mit der Fülle des Rohmaterials, das ihnen täglich auf den Tisch geschaufelt wird, einen kundigen und misstrauischen Umgang pflegen oder sich einlullen lassen von Tagesmoden und den Vorrangmeldungen der Agenturen – das ist eine politische Weichenstellung von ungeheurer Macht», schrieb Schneider 2004 in der «Süddeutschen Zeitung» unter dem Titel «Eine saubere Nachricht».
Das ging mir durch den Kopf, als ich die Ankündigung las, Radio SRF wolle «die Morgen-Primetime stärker auf die wichtigsten Informationen fokussieren, diese besser erklären und näher an die Lebenswelt der Hörerinnen und Hörer bringen». Aus diesem Grund werde die Informationssendung «Heute Morgen» neu mit einer dialogischen Sendungsführung weiterentwickelt. Die Umsetzung, die am 14. März 2022 begann, zeigt, dass der Dialog meist zwischen der Moderatorin und dem Nachrichtenredaktor stattfindet. Die Moderatorin sagt zum Beispiel, die Kämpfe in der Ukraine gingen weiter, und fragt den Nachrichtenredaktor, was in der Nacht geschehen sei. Dieser fasst dann zusammen, was die Nachrichtenagenturen und andere News-Quellen berichten.
Gerade wenn es um Berichte über einen Krieg geht, scheint mir eine dialogische Sendungsführung überflüssig.
Balz Bruppacher
Abgesehen davon, dass hier vorgetäuscht wird, der Nachrichtenredaktor wisse mehr als die Moderatorin oder habe die Neuigkeiten selber erarbeitet, fragt sich, ob die Plauderei zwischen den beiden die Informationen näher an meine Lebenswelt bringt. Oder ob ich mit einer «sauberen Nachricht» nicht besser bedient wäre. Gerade wenn es um Berichte über einen Krieg geht, scheint mir eine solche Sendungsführung überflüssig. Und Wertungen, wie am 15. März, wonach «die auffälligste Nachricht aus der Nacht» den Auftakt der Sendung mache, sind unnötig oder gar irreführend (es ging um die Ankündigung Russlands, den Getreideexport einzuschränken).
Dass Nachrichten heute nicht mehr wie im letzten Jahrhundert präsentiert werden, ist berechtigt. Gerade im Radio hat sich viel verändert, und dem ehemaligen SRF-Redaktor und -Ausbildner Thomas Kropf kommt das Verdienst zu, viel zur besseren Verständlichkeit der Nachrichten beigetragen zu haben. Er ist der Erfinder des sogenannten Andock-Modells. Es räumte mit dem ehernen Prinzip auf, wonach Nachrichten strikt als Pyramide aufzubauen sind, mit der Kernaussage an der Spitze, der Quelle an zweiter Stelle, gefolgt von den Einzelheiten und dem Hintergrund. Denn bei komplizierten Themen, die vertiefte Kenntnisse der Materie oder der Vorgeschichte voraussetzen, verfehlt der Pyramidenaufbau das Kernziel der Verständlichkeit. In solchen Fällen empfiehlt das Andock-Modell, die Kernaussage nicht an die Spitze der Nachricht zu stellen, sondern mit erklärenden Sätzen zu beginnen und so das Andocken zu erleichtern (eindrückliche Beispiele gibt es hier).
Die nun gestartete «dialogische Sendungsführung» mag auf den ersten Blick wie die logische Fortsetzung des Andock-Modells scheinen. Dialog – und sei es nur zwischen Moderatorin und Nachrichtenredaktor nach dem Motto: Was ist vergangene Nacht Wichtiges passiert? – will die Hörerschaft bei der Stange halten. Damit erliegt man aber genau den Gefahren des Andock-Modells: Nachrichten sollen nicht geschwätzig sein und dürfen schon gar nicht werten und kommentieren. Hinzu kommt der Verdacht, dass das neue Konzept Teil der Sparprogramme der SRG ist. Dialog im Studio statt Korrespondentenberichte. Das hat sich bei den bisherigen Sendungen allerdings kaum bestätigt. Schon eher kann man sich fragen, ob das Gespräch mit einer Moskau-Korrespondentin des «Spiegels» über das Angebot im russischen Detailhandel unter dem Titel «Der letzte Hamburger» angepriesen werden muss.
Apropos Geschwätzigkeit (und das betrifft nicht die Sendung «Heute Morgen»): Sonntags greifen die SRF-Radionachrichten am Morgen regelmässig «Primeurs» aus den Sonntagszeitungen auf. Und zwar nicht nur ohne Verifizierung, sondern ebenfalls als «dialogischen» Beitrag von namentlich genannten Mitgliedern der Nachrichtenredaktion, deren Leistung sich darauf beschränkt, die (wirklichen oder vermeintlichen) Scoops der Sonntagspresse zusammenzufassen.
Immerhin werde ich bei Radio SRF zum Beginn der Nachrichten noch nicht mit dem Satz begrüsst: «Schön, dass sie bei uns sind.»
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Dieser Artikel erschien zuerst in der Medienwoche.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Balz Bruppacher war bis 2010 Chefredaktor der AP Schweiz und ist seither als freier Journalist für verschiedene Medien tätig. 2010 erhielt er den Zürcher Journalistenpreis für sein Gesamtwerk.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Köstlich – und absolut zutreffend. Danke
Vielen Dank an Balz Bruppacher für seine berechtigte Kritik am Radio SRF. Leider haben die Änderung am Programm bis jetzt selten zu einer Verbesserung geführt. Ich höre viel Radio, aber mittlerweile deutlich mehr im Deutschland Funk (DLF). Das könnte ich den Radiomachern von Radio SRF auch empfehlen.
Danke, dass Sie dies thematisieren.
Die neue Geschwätzigkeit nervt auch bei anderen Radio-SRF-Gefässen. Besonders negativ fällt dies auf bei der einst hochstehenden Sendung «Kontext». Was für eine seltsame Absicht mag dahinter stecken? Spart SRF etwa Kosten, wenn zwei Personen auf Sendung sein müssen, um zu zweit messbar weniger Inhalt pro Minute zu transportieren als im alten Format?
Gerade bei der Berichterstattung über (den) Krieg scheint mir aber das Hauptproblem zu sein, dass wir nicht mit den Informationen versehen werden, die uns eine eigene Einschätzung der Lage erlauben. Die Einschätzung erfolgt durch Leute, die viel mehr wissen als sie preisgeben. So gibt es beispielsweise Satellitenaufnahmen die jederzeit klar lokalisieren lassen wo Truppenteile stehen und was die gerade vorbereiten. Wir haben anlässlich unseres humanitären Einsatzes im Bosnien-Krieg erlebt, wie auf Karten, vor allem von UN-Stellen und auf Basis der NATO-Luftaufklärung, täglich detaillierte Meldungen über Kampfhandlungen und Frontverlauf vorgelegt wurden. Weshalb uns praktisch ausschliesslich Schreckensmeldungen und Schicksalsbeschreibungen zukommen, mag der breiten emotionalen Empörung gerecht werden, meinen Ansprüchen auf unabhängige Analyse des Geschehens genügt das nicht.
Ich denke, das Geschwätz kommt aus dem Beispiel von Frankreich, das zuerst das Welschland in Radiosendungen eroberte. Ich schätze die prägnante Präsentation der Nachrichten nach dem Modell von «Echo der Zeit» mehr als das Geschwätz der Radio romande. Es hat jedoch markante Unterschiede zwischen dem Satz- und Absatzaufbau in den beiden Sprachen generell. Das Wichtigste in einem Satz wird auf Deutsch zuerst bzw. auf Französisch zuletzt platziert. Der gleiche Unterschied zwischen den Sprachen gilt meistens auch für die Reihenfolge der Sätze in einem Absatz bzw. in einem Statement. Und meistens sind deutsche Texte dank zusammengesetzten Wörtern kürzer als französische. Das sind Regeln, die ich als Französischsprechender aus dem Waadtland, der seit Jahrzehnten in der Deutschschweiz Texte verfasst und übersetzt, anwende.
Danke Balz Bruppacher, wie sie die Sache auf den Punkt bringen.
Ich habe auf ORF 1 umgestellt oder benütze Radio SRF 1 um in der Nacht verpassten Schlaf nachzuholen. Das sanfte Geplätscher eignet sich sehr gut zum Dösen oder Weiterschlafen.
Wie viel Geld liesse sich durch das Einsparen all der «Ploderi» sprich Moderatoren und Moderatorinnen zum Beispiel für Sendungen mit Substanz verwenden.
Ich weiss, wovon ich spreche, denn ich war mal eine passionierte Hörerin von Radio DRS 1 und 2.