Einkaufen Kaufkraft.Alexis84

Besonders Lebensmittel sind teurer geworden. Die Inflation frisst Lohnerhöhungen weg. © Alexis84/Depositphotos

Die Tamedia-Zeitungen gaukelten den Lohnbezügern etwas vor

Urs P. Gasche /  Seit 2021 machte die Teuerung die Lohnerhöhungen mehr als zunichte. Für 2024 schürte der «Tages-Anzeiger» falsche Hoffnungen.

Es geht um den Durchschnitt aller Löhne und Preise. Im letzten Jahr stiegen die Preise um etwa zwei Prozent stärker als die Löhne: Die Inflation hat dafür gesorgt, dass die Reallöhne in der Schweiz sanken. Auch im laufenden Jahr sinkt die Kaufkraft, wenn auch in geringerem Ausmass. 

Umso mehr Freude bereitete den Arbeitnehmenden am 31. Oktober folgende Schlagzeile auf den Titelseiten des «Tages-Anzeiger», des «Bund» und anderer Tamedia-Zeitungen:

Tamedia Titel Löhne
Grosser Titel in Tamedia-Zeitungen wie «Tages-Anzeiger», «Bund» und anderen am 31. Oktober 2023

«Es zeichnet sich ab, dass Berufstätige in der Schweiz nächstes Jahr deutlich mehr verdienen werden», titelten die Tamedia-Zeitungen im Innern des Blattes. 

Nur neun Tage später tönte es in der «Neuen Zürcher Zeitung» allerdings ganz anders:

231109 NZZ Titel Löhne
Titel in der NZZ vom 9. November 2023

«Die Arbeitnehmenden in der Schweiz müssen wohl zum vierten Mal in Folge auf mehr Kaufkraft verzichten», heisst es im Untertitel. Die NZZ stützte sich auf eine aktuelle schweizweite Lohnumfrage der UBS.

Nur mit einer kleinen SDA-Meldung informierten auch die Tamedia-Zeitungen am gleichen Tag unter dem Titel «Für 2024 ist kein Reallohnzuwachs zu erwarten» über die UBS-Umfrage. «Tages-Anzeiger», «Bund» etc. unterliessen es aber, die Leserschaft darüber aufzuklären, wie es neun Tage vorher zu den entgegengesetzten Frontschlagzeilen hatte kommen können.


Tamedia: Nicht repräsentative Zahlen und alte Prognosen

Nun wird die Lohnentwicklung nach verschiedenen Massstäben gemessen und geschätzt, so dass Arbeitgeber und Gewerkschaften je nach ihren Interessen Unterschiedliches behaupten können. 

Die Tamedia-Zeitungen zitierten Abschlüsse einzelner Gesamtarbeitsverträge. Namentlich nannten sie Coop, deren Angestellte im nächsten Jahr wahrscheinlich mit einer leichten Reallohnerhöhung rechnen können. Zudem stützten sich die Tamedia-Zeitungen auf Umfragen und Prognosen, welche die Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) bereits im Sommer durchgeführt hatte und die veraltet waren.

Die NZZ dagegen stützte sich auf eine aktuelle schweizweite Lohnumfrage der UBS. Auch nach den neusten Zahlen der KOF ist in den nächsten zwölf Monaten keine reale Lohnsteigerung zu erwarten. 

Die KOF macht auch darauf aufmerksam, dass die ganze Lohnsumme der Schweizer Wirtschaft nicht nur wegen Lohnerhöhungen steigt, sondern auch weil Beschäftigte neue Jobs bei besser zahlenden Firmen oder in besser zahlenden Branchen gefunden haben.

Aus diesem Grund sei der Schweizer Lohnindex des Bundesamts für Statistik BFS aussagekräftiger, um Reallohnerhöhungen auszuweisen. Denn die BFS-Statistik bilde Lohnerhöhungen für Personen mit vergleichbaren Jobs in der gleichen Branche ab. Unternehmens-Umfragen wie diejenige der UBS lägen nahe bei der BFS-Statistik, erklärt die KOF.

Allerdings macht das BFS keine Prognosen, sondern erfasst die Realität. Die letzten Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigen detailliert, bei welchen Berufsgattungen die Löhne stärker stiegen als die Inflation und bei welchen die Inflation die Lohnerhöhungen wegfrass. 

Kommentar des BFS: «Der insbesondere durch die höheren Gas-, Öl-, Auto- und Mietpreise versursachte Anstieg des Preisniveaus führte Ende 2022 zu einer aussergewöhnlichen Teuerung von +2,8 Prozent. Aufgrund der Anpassung der Nominallöhne an die Teuerung verringerte sich die Kaufkraft der Löhne um 1,9 Prozent.»

BFS Lohnentwicklung 2022
BFS-Lohnstatistik des Jahres 2022. Etwas grössere Auflösung hier.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 17.11.2023 um 09:00 Uhr
    Permalink

    Warum redet hier niemand vom Kaufkraftverlust bei AHV- und Pensionskassen-Renten?
    Dann müsste man auch einmal die Lohnschere anschauen. Gutverdienende können höhere Mieten und Krankenkassenprämien problemlos verkraften. Es sind die unteren Einkommensschichten, die immer mehr unter den höheren Festausgaben leiden.

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