Kommentar

Der Tages-Anzeiger in der SBB-Medienmappe

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Der Zürcher «Tages-Anzeiger» vermittelt die Werbe-Botschaft des Bahnkonzerns SBB offenbar besser, als es die SBB selber könnten.

Voraus drei Sätze Medienkunde: Staat, Verbände und Firmen laden zu Medienkonferenzen ein und geben dort Dokumentationen an die Medien ab, um ihre Botschaften zu verbreiten und sich im besten Licht darzustellen. Danach beginnt die Arbeit der Medienschaffenden: Sie sollen diese parteiischen Informationen studieren, gewichten, kritisch beurteilen, mit zusätzlichen Informationen anreichern und das Resultat daraus veröffentlichen. Als Kriterien gelten Wahrheitsgehalt, Relevanz, öffentliches Interesse, allenfalls Unterhaltungswert, wobei die Medien bei fehlender Relevanz auf eine Veröffentlichung immer auch verzichten können.

Redaktionelle TA-Beilage als Dokumentation der SBB

Die Praxis weicht von dieser Lehre oft ab. Dazu ein aktuelles Beispiel: Zur Einweihung ihrer neuen, zwei Milliarden Franken teuren Bahnlinie durch Zürich luden die SBB am 12. Juni neben Prominenz aus Politik und Wirtschaft auch die Medien ein und gaben ihnen wie üblich ihre Dokumentation respektive Medienmappe ab. In dieser Mappe der SBB befanden sich:

o Eine kurze Medienmitteilung mit dem Titel «Durchmesserlinie Zürich Generationenbauwerk feierlich eröffnet».

o Ein kleiner Faltprospekt mit Festprogramm und einer Übersichtsgrafik des ausgebauten HB Zürich.

o Eine 28seitige «Sonderbeilage» des «Tages-Anzeigers» (TA) vom 6. Juni mit dem Titel: «Die Durchmesserlinie». Im Impressum dieser Beilage firmiert als «Herausgeberin» die «Tamedia AG». Unter dem Titel «Redaktion» findet man die Namen von acht TA-Redaktoren, darunter Ruedi Baumann, der sich im TA-Regionalteil speziell dem Thema «Öffentlicher Verkehr» widmet. Die gleiche Beilage lag schon der Ausgabe des «Tages-Anzeiger» vom Freitag, 6. Juni bei; sie wurde dort auf der ersten Seite mit Bild und Legende angepriesen. In der Legende stand: «In einer Sonderbeilage, die zusammen mit den SBB entstand, stellt der TA das Zürcher Jahrhundert-Bauwerk vor». Diese Beilage ersetzte im TA weitgehend die Berichterstattung über das «Jahrhundert-Bauwerk», dem andere Zeitungen mehrere redaktionelle Seiten im normalen Zeitungsteil widmeten.

Eine «sonderbare Partnerschaft»

Weiteren Einblick in diese «sonderbare Partnerschaft» lieferte der Journalist Nick Lüthi in der «Medienwoche» vom 12. Juni. Demnach handelt es sich bei der TA-Sonderbeilage «quasi um eine Auftragsarbeit für die Schweizerischen Bundesbahnen», denn: «Wir sind mit der Idee für eine Sonderbeilage auf den Verlag zugegangen», sagte SBB-Sprecherin Lea Meyer. Die Redaktion aber habe, so betonte TA-Redaktor Ruedi Baumann gegenüber der «Medienwoche», «absolut frei, ohne eine einzige Weisung der SBB arbeiten können». Allerdings hat die Kommunikationsabteilung der Bundesbahnen laut Lea Meyer «Themenvorschläge eingebracht» und verlangt, «jene Texte gegenzulesen, in denen SBB-Personal vorkommt» (was in den meisten Beiträgen der Fall ist).

Man mag dem begeisterungsfähigen und liebenswerten Redaktor Ruedi Baumann glauben, dass er seine Artikel «absolut frei» geschrieben hat. Umso bemerkenswerter ist, dass die SBB diese Beilage anstelle einer eigenen Dokumentation in die Medienmappe legten. Offensichtlich kamen sie zum Schluss, diese «absolut freien» Artikel der TA-Redaktion dokumentierten das «Jahrhundertbauwerk» besser und stellten es in einem besseren Licht dar, als es die Medien- und PR-Abteilungen der SBB selber tun könnten.

Alles Kritische wird ausgeklammert

Mit dieser Einschätzung haben die SBB wohl Recht. Denn die neue Bahnlinie durch Zürich, die übrigens auch der Schreibende in seinen Artikeln mehrheitlich positiv bewertete, wird von den TA-Redaktoren in den höchsten Tönen gepriesen. Die Kehrseiten dieses Bauwerks hingegen werden in der 28seitigen Sonderbeilage völlig ausgeklammert.

Wer sich etwa über die brach liegenden Kapazitäten informieren wollte, die der neue unterirdische Bahnhof erzeugt, musste andere Medien konsultieren. Informationen über die zusätzlichen Verkehrskosten, die mit der unrentablen Investition auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, erhielt man in der 28seitigen Beilage und mithin in der SBB-Dokumentation eben so wenig wie über die Umsteigekonflikte, die aus dem Mix von Fern- und Regionalverkehr im separierten neuen Bahnhofsteil entstehen. Die Frage, wie sinnvoll es ist, die Fahrzeit im Zentrum um sechs Minuten zu verkürzen, um die Pendlerwege weiter in die Peripherie hinaus zu verlängern, wurde nicht gestellt.

Das Beispiel der Medienpartnerschaft zwischen TA-Verlag, TA-Redaktion und SBB belegt – einmal mehr: Wenn Redaktionen mit PR-Abteilungen von Staat, Verbänden oder Firmen zusammen spannen, bleibt der kritische Journalismus auf der Strecke.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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