Sperberauge
CH Media-Zeitungen – Ärger inkl.
Die Psychologen wissen es: Wir Menschen brauchen nicht nur unsere tägliche Freude, auch gelegentlicher Ärger bereichert den Alltag. Ist ja kein Problem, die einfachste Methode, den erwünschten Ärger auf sicher zu haben, ist mittlerweile das Zeitungs-Abo.
Gelegentlich allerdings bleibt es nicht beim Ärger, man kann auch schon mal wütend werden. So geschehen am 31. Juli beim Lesen der Aargauer Zeitung, einer der vielen Ausgaben des CH Media Zeitungsverbundes.
Seite 1: Ein Aufmacher zum Thema Corona in der Schweiz. Wie immer.
Seiten 2 und 3: Eine Doppelseite zum Corona-Sommer in der Schweiz. Nicht zum ersten Mal.
Seite 4: Ein ganzseitiger Kommentar zu Freiheit und Solidarität unter uns Schweizern in Corona-Zeiten.
Seite 5: 3/4-Seiten zu Schweizer Massnahmen in Corona-Zeiten.
Seite 6: Eine Drittel-Seite mit einem 1. August-Aufruf von Norman Gobbi, dem Lega-Politiker und Präsidenten des Tessiner Staatsrates: Wir sollten endlich wieder mehr an unsere eigenen Bürgerinnen und Bürger denken! Von den Hunderten von Italienerinnen, die in den Tessiner Spitälern und Altersheimen als unentbehrliche Pflegerinnen arbeiten und deshalb zu Corona-Zeiten als einzige Italiener Frontalieri in die Schweiz zur täglichen Arbeit einreisen durften, natürlich kein Wort. Dafür auf der gleichen Seite 6 – perfekt passend – eine weitere Drittel-Seite mit einem Inserat der SVP mit einem Aufruf für ein Ja am 27. September zur Begrenzungs-Initiative. Wir müssen endlich an uns selbst denken.
Seite 7: Eine Grussbotschaft des Botschafters der USA in der Schweiz. Die USA und die Schweiz hätten so viel gemeinsam, schreibt da Botschafter Edward McMullen. Ist in Zeiten von Donald Trump und Joe Biden und «America first» doch wirklich ein besonders überzeugendes Kompliment …
Seite 8: Eine halbe Seite über Wladimir Putin. Und darin die Bemerkung, Donald Trump sei noch der einzige Freund von Putin. Von den massiven Drohungen Trumps, weitere an Nord Stream 2 beteiligte Firmen mit Sanktionen zu belegen, hat die gerade noch zweiköpfige Ausland-Redaktion der Aargauer Zeitung offenbar noch nie etwas gehört.
Seite 9: Eine Drittel-Seite mit einem 1. August-Aufruf der SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher …
Nein, weitergeblättert habe ich dann die Aargauer Zeitung tatsächlich nicht mehr, sondern sie wütend in eine Ecke geschmissen. Hat die Schweiz, eines der reichsten Länder der Welt, wirklich nur EIN Thema: Ausländer raus, es ist endlich Zeit, an uns selber zu denken, am liebsten so, wie die USA es uns vormachen?
Zum Glück weilte ich am 1. August dann wieder im Ausland. So blieben mir weitere Aufrufe zu «Switzerland first» erspart – und deshalb habe ich auch erst heute die Zeitung wieder unter dem Schreibtisch hervorgeholt und ordentlich entsorgt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Da ist es mir für einmal besser ergangen, Herr Müller. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich die Weltwoche, Sonderausgabe zum 1. August, gelesen. Nebst einem hanebüchenen Editorial des Chefredaktors zum «C» der CVP gab es einige ausgezeichnete Beiträge, etwa der Essay «Imperium Europaeum» von Carl Baudenbacher. Man ist, was man liest?
Dieser Beitrag scheint mir substantiell kaum besser und ausgewogener als jene in der Aargauer Zeitung. Etwas gar polemisch. So geht es nicht um Ausländer raus, sondern darum den Nettoeinwanderung zu reduzieren.
Freundliche Grüsse Joel Christen
Was hält Sie denn noch in der Schweiz?
Ich kann den Ärger komplett nachvollziehen. Die schweizer Käseblätter sind so was von irrelevant und naiv. Man wettert im Inland etwas über Trump, um dann international sofort sämtliche Lügen des weissen Hauses unhinterfragt abzuschreiben. Beginnt die imperialistische Propaganda schon in der Journalistenschule?
@Harald Buchmann. Ich teile ihre Meinung über die schweizer Käseblätter. Hin und wieder findet man zwar eine Perle einer journalistischen Leistung. Aber zu berücksichtigen ist, dass «saure Gurkenzeit» ist und ausserdem heiss. Recherchen und gute Artikel sind halt schweisstreibend. Bei der Aargauer Zeitung hat sich das an diesem Tag besonders negativ gewirkt. Die Tagesschau des SRF ist auf diese Art oft «ebenbürtig».