Medienkompetenz ist nicht nur Publikumssache
psi. Dieser Artikel erschien zuerst am 16. November 2023. Da in den letzten Tagen einige Medien über die Studie berichteten, publizieren wir den Artikel erneut.
Vor wenigen Wochen publizierte das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) eine Studie zur Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung. Die beiden Autoren Jan Fivaz und Daniel Schwarz wollten damit die Medienkompetenz der Schweizer Bürgerinnen und Bürger untersuchen.
Doch die Studie weist auch auf Probleme im Schweizer Medienangebot hin. Fivaz und Schwarz sind keine Medienwissenschaftler, sondern Politologen. Sie forschen an der Uni Bern und der Berner Fachhochschule über Auswirkungen der Digitalisierung auf Politik und Demokratie.
«Zwei Resultate haben mich besonders überrascht», sagt Fivaz im Gespräch mit Infosperber. «Erstens: Die Medienkompetenz hierzulande ist eher schlechter als in Deutschland. Und zweitens: Dass über 70 Prozent der Befragten angeben, von der Informationsflut ganz oder teilweise überfordert zu sein.»
Ältere schnitten schlechter ab als Junge
Die Teilnehmenden mussten politische Informationsangebote einordnen und Screenshots von Medieninhalten bewerten. Ist ein Interview mit Christoph Blocher auf Blocher TV Journalismus? PR? Oder Unterhaltung? Wie lässt sich ein Gespräch von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis mit dem NZZ-Chefredaktor und einer NZZ-Verwaltungsrätin kategorisieren? Zudem mussten sie bewerten, ob es sich bei Medieninhalten um Information, Kommentar, Werbung oder Falschinformation handelte.
Die Studie stellt den Befragten kein gutes Zeugnis aus. Das Ergebnis sei «ernüchternd», schreiben die Autoren. «Die Befragten erreichten im Durchschnitt nur knapp sechs von 19 möglichen Punkten, was nicht einmal einem Drittel der Gesamtpunktzahl entspricht.» Dabei schnitten ältere Befragte schlechter ab als jüngere. Tendenziell besser war, wer über einen höheren Bildungsstand verfügte.
Doch die Beispiele zeigen auch, dass die Probleme nicht nur bei den Medienkonsumenten zu suchen sind. Massenmedien machen eben nicht nur kritischen Journalismus. Die Grenzen zu PR, Werbung und damit auch Manipulation sind oft undeutlich. Besonders eklatant sind die Verwischungen im Fall kommerzieller Interessen. So ist ein Werbeartikel auf 20 Minuten Online offensichtlich viel zu wenig deutlich erkennbar als «Paid Post» markiert.
Die Markierung von Werbung funktioniert ungenügend
«Gerade bei den Werbeinhalten wäre ideal, wenn es alle gleich machen würden», sagt Fivaz. Die Vielfalt an farblichen Abgrenzungen und englischen Bezeichungen wie «sponsored» oder «paid post» der Verlage förderten keine Klarheit. Trotzdem: Nur zehn Prozent finden, der Berichterstattung zu politischen Themen könne man nicht vertrauen.
Dies steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu Antworten auf allgemeiner formulierte Fragen. So sind 19 Prozent der Befragten der Meinung, dass Medien und Politik Hand in Hand arbeiten, um die Bevölkerung zu manipulieren. Gar weitere 51 Prozent glauben, dass dies zumindest teilweise der Fall ist.
Die Studienautoren geben sich ob dieser Zahlen etwas irritiert, doch sie passen zu anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Oder zu ähnlichen Befragungen aus Deutschland. Da habe sich das Misstrauen gegenüber den Medien «vorgefressen: vom Rand in die Mitte der Gesellschaft, dorthin, wo sich Zeitungen und Magazine sicher wähnten – zu den Gebildeten, politisch Interessierten.» Dies schrieb das Magazin Der Spiegel bereits Anfang 2018, ein halbes Jahr vor Enthüllung des Relotius-Skandals. «Vielleicht ist nicht die politische Haltung von Journalisten das Problem, sondern eine Haltung, die es sich zu einfach macht. Dazu braucht es nicht die saubere Trennung von Nachricht und Kommentar, sondern in erster Linie Respekt.»
Achtung Beziehungsstörung
Liest man auch die Studie durch diese Beziehungsbrille, herrscht bei Schweizer Mediennutzenden nicht zuerst ein Misstrauen, das die Glaubwürdigkeit journalistischer Information infrage stellt. Sondern vielerorts eher eine Art zynisches Zweckverhältnis. Die Beziehung zwischen Medien und Bürgerinnen und Bürgern scheint eher auf einer grundsätzlicheren, existentiellen Ebene gestört. Nämlich indem die Befragten eher bezweifeln, dass die Medien sich in ihrer Beziehung zum Publikum so verhalten, wie es das Publikum gerne hätte. Dass grosse Medien beispielsweise Nutzerdaten sammeln, um diese an Werbetreibende weiterzuverkaufen oder die Berichterstattung nach ihnen auszurichten, dürfte derartige Gefühle eher verstärken.
«Noch bedenklicher» als den generellen Manipulationsverdacht stimmt die Studienautoren denn, dass 50 Prozent ganz oder teilweise der Meinung sind, dass eine funktionierende Demokratie auch ohne unabhängigen Journalismus funktionieren kann. Dazu passt, dass auch etwa die Hälfte der Befragten angab, politische Medienberichterstattung mitunter bewusst zu meiden.
Fühlt sich das Publikum manipuliert, weil die Medien Journalismus und Werbung immer häufiger vermischen und wendet es sich deshalb auch von seriösem, demokratierelevantem Journalismus ab? Fivaz will da keine Verbindung herstellen. «Wir haben das schlicht nicht explizit untersucht.» Das ist auch schwierig und die existierende Forschung zur Newsvermeidung ist sich uneinig: zu verschieden sind die Herangehensweisen und Messmethoden.
Informationsflut als Problem
Für Fivaz ist aber die Informationsflut eine Herausforderung der heutigen Medienlandschaft. Denn gar 73 Prozent sagten in der Studie, von der Masse an verfügbaren Informationen ganz oder teilweise überfordert zu sein. Dass diese gefühlte Überforderung durchaus zum Problem werden kann, ist nicht neu. Der US-Soziologe Herbert Simon erhielt 1978 den Nobel-Preis für seine Entscheidungsforschung dazu.
In ihrem Buch «Wir informieren uns zu Tode» (Herder, 2022) beschreiben der deutsche Neurologe Gerald Hüther und der Journalist Robert Burdy von der entgrenzten Aufmerksamkeitsökonomie im Netz getriebene psychologische Mechanismen. Diese bergen auch Risiken für die Demokratie.
Hüther und Burdy beschreiben sie etwa so: Der Informationsüberfluss steigert unser Bedürfnis nach Klarheit (mehr über psychologische Hintergründe in diesem früheren Artikel). Daher neigen wir dazu, Informationen zu akzeptieren, die mit unseren Voreingenommenheiten übereinstimmen. Wenn dies zur Gewohnheit wird, können diese Informationen Teile der Geschichten werden, die wir uns über uns selber erzählen. Sie werden Teil unserer Identität. Und es fällt uns möglicherweise mit der Zeit immer schwerer, Widersprüche gegen sie zu akzeptieren.
Andererseits können widersprüchliche Informationen auch einfach dazu führen, dass wir die Informationssuche aufgeben und ein Informationsbedürfnis unterdrücken. Hüther und Burdy vermuten daher, dass viele Menschen sich von der Demokratie abwenden, weil die Medienberichterstattung darüber keine Klarheit schafft.
Doch beides sind nur mögliche, individuelle Reaktionen auf die Informationsflut. Sie sind auch nicht einfach zu belegen. Ausserdem, so deuten die Buchautoren an, könnten sich Menschen auch von Informationsangeboten abwenden, ohne gerade der Demokratie den Rücken zu kehren. Und zwar weil sie sich respektlos behandelt fühlen – als bloss konsumierende Objekte statt menschlicher Subjekte. Dies sollte besonders den Medienbesitzern und -managern zu denken geben.
Machen Sie den Selbsttest?
Unabhängig davon, wie Medienkompetenz gemessen und interpretiert wird – sie ist nützlich. Die beiden Forscher Jan Fivaz und Daniel Schwarz entwickelten als Pilotversuch auch einen Online-Selbsttest. Er ist kostenlos, schärft den kritischen Blick und zeigt anschaulich, wie Medienkompetenz erforscht wird. Der Test dauert etwa 20 Minuten. Am Schluss erhält man eine Auswertung und erfährt, weshalb man richtig oder falsch lag.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ein Problem der Medien ist die Abhängigkeit von der Wirtschaft und der mit ihr verbandelten Politik. Die Presse ist nur so frei, wie die Inserenten es zulassen. Sie kaufen die «Pressefreiheit» und vermarkten selbst diese. Das hat die kritische Leserin unterdessen gemerkt und will den Journis nicht mehr alles glauben.
Wie soll sich das Publikum von «seriösem, demokratierelevantem Journalismus» abwenden, wenn es diesen gar nicht mehr gibt? Jedes Medium hat einen gewissen Bias, zuallererst die «Faktenchecker». Jede Sichtweise ist perspektivisch. Doch statt Nietzsche, zitiere ich noch lieber Edy Salmina (u.a. UBI): «Medien sind heute längst nicht mehr blosse Beobachter des Geschehens. Die sogenannte «vierte Gewalt» ist quasi zur «ersten Macht» geworden. […] Kontroverse Diskussionen über Medien zu führen, ist schwierig. Ausgerechnet diejenigen, die ihre Daseinsberechtigung u.a. darin sehen, jede Art von Macht und Einfluss zu hinterfragen und zu kritisieren, zeigen sich selbst oftmals wenig kritikfähig. Sind wir auf dem Weg von einem demokratischen Rechtsstaat zum demokratischen Medienstaat? Wie steht es um die Autonomie der Politik, der Justiz oder der Privatsphäre?»
Grüezi Sigg
Wir beschäftigen uns zur Zeit sehr intensiv mit dieser Thematik insbesondere im Zusammnhang mit einer Energiewende, die nicht zum Blackaout führt.
Sie haben uns mit diesem Beitrag wichtige Informationen geliefert.
Mit nachhaltigen Grüssen
Urs Anton Löpfe
Beim erneuten Lesen, scheint mein erster Kommentar etwas zu generell geraten zu sein. Selbstverständlich gibt es noch seriöse Journalistinnen und Journalisten in praktisch jedem Medium, die ehrlich versuchen, das grosse Ganze auszuleuchten, im Wissen, nichts zu wissen. Menschen, welche die Würde eines jeden Menschen achten und sauber differenzieren zwischen Meinung und Haltung, zwischen Beobachtung und Behauptung, etc. Zu oft sind es die Redaktionen, welche den Meinungskorridor verengen und eine grössere Vielfalt an Ansichten und Argumenten verhindern.
@Nico Stäger Sie unterscheiden Einzelperson (Journalist) und Redaktion. Stimmt, es sind die Radaktionen, die letztlich entscheiden, wobei ich die Logik sehe, dass abweichende Journalisten nicht nur nicht veröffentlicht werden dürften, sondern «fired» (O-Ton Trump). Was mich besonders schmerzt (weil mir Spender an ihm gelegen ist), ist der Infosperber, wo nicht nur seit langem die «Daumenfunktion» inaktiv ist (trotz Protesten mehrerer Leser), sondern, seit einigen Tagen, zudem ein Totalverbot für Links gilt, obwohl in meinem Augen 1) Quellenangaben essenziell sind in Journalistik, Wissenschaft (und zudem Netiquetten oft explizit Behauptungen-Belege fordern) und mein Kompromissvorschlag, wenigstens Links «fachlicher» Journalisten (wie Infosperber, Basler Zeitung, watson.ch etc.) zu akzeptieren (im Gegensatz zu etwa Youtube), abgeschmettert wurde. Die Begründung, dass andere Medien das auch so handhaben, soll ich da lachen oder weinen? Diesen «anderen Medien» spende ich deswegen ja null.
«Informationsflut» sehe ich eigentlich nirgends. Aber eine «Datenflut» zu der die Presse wesentlich beiträgt, mit Publikation von sehr vielen Artikeln, mit vielen Worte, oft repetitiven Paragrafen, aber kaum «Informationen» beinhaltend. Des Öfteren besteht der Artikel auch aus durchgeschalteten Agenturmeldungen, die auf verschiedenen Medien absolut wortgleich veröffentlicht werden und die nirgends zusätzliche oder erklärende Informationen enthalten. Beim Leser wird offenbar entweder vorausgesetzt, er wisse alles bereits oder aber es habe ihn nicht zu interessieren.
Kurzes Beispiel: Alle schreiben über eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, aber aus den Presse-Texten geht jeweils nur partiell hervor, was deren Inhalt ist. Verlinkt auf das Original wird auch nicht. Übersetzung ins Deutsche? Fehlanzeige. Danach reden alle über etwas, das keiner gelesen hat, das mit drei Zeilen (irreführend) zusammengefasst wurde, aber alle glauben zu wissen, worum es geht und ziehen Schlüsse.
Meine Beobachtung ist, dass leider Leute mit höherem Bildungsstand sich sehr leicht von intellektuell und scheinbar tiefgründig aufgemachten Beiträgen einfangen lassen: die «Expertenoffensive» während Covid ist hier ein gutes Beispiel oder auch der SPIEGEL-typische märchenerzählende Oberlehrerton, der bestimmten Teilen der Bildungsbürger die Marschrichtung vorgibt. Wir lernten vor 30 Jahren schon in der Schule von unseren kritischen DDR-geprägten Lehrern, dass man sich bei jedem Artikel zuerst fragen sollte: Warum gerade dieser Inhalt und kein anderer? Warum gerade jetzt? Welche Absicht verfolgt der Verfasser? Im Westen wird oft noch an den Medienweihnachtsmann geglaubt, der mit guten Absichten daherkommt und wirklich anschaulich und neutral aufdecken und informieren möchte. Medien sind eine politische und wirtschaftliche Waffe und genau in diesem Sinne werden sie – nicht immer, aber meistens – benutzt.
Ich erkenne mindestens drei Herausforderungen. Zuerst müssten die Leitmedien – oder das journalistische Personal generell – wieder den journalistischen Grundauftrag wahrnehmen. Der «Hofnarr» fehlt als vierte Gewalt. Dazu müssten wir vermehrt den «authority bias» erkennen. Experten weisen zwei Problemfelder auf. Die ernüchternde Erfolgsbilanz ist dem Umstand «irren ist menschlich» geschuldet. Gravierender wiegt die Tatsache, dass der Mensch in der Anwesenheit von Autoritäten das eigene Denken reduziert oder gar einstellt. Der Nebelspalter erklärte kürzlich den zu grossen Bullshit-Anteil durch die Politik. Die Medien müssten diesen ebenfalls entlarven – sonst machen sie sich zu Bullshit-Komplizen. Ich denke wirklich, dass der aktuelle Zustand bewusst hergestellt wird. Smartphone sei dank. Weniger News-Konsum – wie es Rolf Dobelli aufzeigt – würde der Menschheitsfamilie gut tun. Daneben braucht es wieder eine Debattenkultur, die der direkten Demokratie würdig ist. Aufwachen. Bitte. Alle.