Kommentar
Mediengeschnetzeltes mit Rösti
Die jüngste Ausgabe des Schweizer Medienmagazins «Edito» präsentiert Albert Rösti als Titelhelden. Gmögig wie meist. Im grossen Interview, wo auch Bilder mit strengerem Blick zu finden sind, werden weitere Bereiche, für die der Bundesrat zuständig ist, vergleichend einbezogen. Er wird gefragt, ob die für eine Demokratie nötige Medienvielfalt nicht «ähnlich wie die Landwirtschaft oder die Energieversorgung» als Landesversorgung gesehen und gefördert werden müsste.
«Raubbau an der vierten Gewalt»
Denn die Lage ist auf allen Ebenen alarmierend, wie das Heft zeigt. «2024 wird als Jahr der Massenentlassungen in die Mediengeschichte eingehen», bilanziert Eva Hirschi vom gewerkschaftlichen Branchenvorstand Presse. Impressum-Sprecher Gumy würdigt es als «Jahr des Arbeitskampfs», während Dennis Bühler von der «Republik» konstatiert: «Es fehlt an Kampfgeist» und fragt, wer sich für den Journalismus wehren solle, wenn nicht einmal die Journalistinnen und Journalisten das täten. «Die breite Bevölkerung hat vom Raubbau an der vierten Gewalt in der Deutschschweiz vermutlich gar nichts mitgekriegt.» Dies unter dem Rubriktitel «Röstigraben», wo «Grüezi» und «Bonjour» sich im «Edito» treffen. Nein, hier wird nicht auf eine politische Person gezielt, deren Namen zufällig gut zu Geschnetzeltem passt, sondern nur festgestellt, in der Romandie seien die «Reaktionen auf den Kahlschlag bei Tamedia» weit heftiger gewesen.
Hier soll weniger mehr sein …
Kahlschlag? Medienminister Albert Rösti findet das Verschwinden einiger Zeitungen und Lokalredaktionen nicht schlimm. «Wenn die grossen Medienverlage verstärkt überregional berichten, entsteht Raum für neue Stimmen.» Und ein Verzicht der SRG auf kleinräumige Berichterstattung würde den Privaten bessere Chancen für lokale Publikationen, regionale Radiosender und Fernsehanstalten geben. Dass die «200-Franken-Initiative» der SVP den Spardruck erhöht, kommt da durchaus gelegen. Die vom Bundesrat in eigener Kompetenz vorgezogene Mittelkürzung habe bewirkt, dass sich schon einiges in die richtige Richtung bewege. «Die SRG muss belegen, dass sie Effizienzmassnahmen umsetzt», und sie soll abbauen, wo andere aktiv sind. «Basierend auf dem kleineren Budget werden wir danach die Konzession neu formulieren.» Mit weniger Mitteln soll so mehr möglich werden. In seiner Region habe sich zum Beispiel die frühere «Jungfrau Zeitung» als «Plattform J» erfreulich entwickelt.
Ungeschminkt heisst das: Weg mit öffentlich-rechtlichen Medien, wo immer es geht. Wie es Gregor Rutz auf der rechten Seite des im Heft dargestellten politischen Spektrums postuliert. Medienfreiheit plus Wirtschaftsfreiheit und eine massive Gebührensenkung – «für Angebotsvielfalt können nur Markt und Wettbewerb sorgen». In der linken Spalte stellt auch Min Li Marti fest, dass das bisherige Geschäftsmodell der Medien heute nicht mehr funktioniert, doch «eine Schwächung der SRG in der jetzigen Medienkrise wäre fatal». Damit würden weder die private Presse noch lokale journalistische Qualität, sondern digitale Desinformation durch «TikTok und Co.» gefördert.
Auch die Anzeigen irritieren
Was derzeit an Vorschlägen zur Medienförderung diskutiert wird, ist verwirrend und scheint nach dem Scheitern einer letzten Vorlage in der Volksabstimmung chancenlos. Vorab die SVP hatte diese geschlossen bekämpft. Irritierend auch die Eigenanzeige, mit der «Edito» für seinen Online-Auftritt wirbt: «Wir geben dem Journalismus in der Schweiz ein Gesicht.» Dazu nochmals das Cover-Bild mit strahlendem Rösti. Daneben ein Inserat der Schweizer Journalistenschule maz. «Wir machen Medienmachende.» Wer «am führenden Institut für Journalismus und Kommunikation» studiert, sei dabei: «Viele folgen digitalen Trends. Du setzt sie.» Kurz vor Schluss noch Hinweise auf zwei Edito-«Webinare». Eines diskutierte die Studien-These, dass auf hiesigen Redaktionen die meisten «zu links und zu gut gebildet» seien. Das nächste will im Januar prüfen, was sich tun lässt, wenn die Hälfte der Bevökerung «news-depriviert» ist. Als letzter kommt Roger de Weck zu Wort. «Zur Pressefreiheit gehört, dass man unbequem bleibt», mahnt er im Kurzinterview.
Nur noch digital in die Natur
Fast gleichzeitig traf das Magazin «die umwelt» ein, Nummer 4/2024 auch hier. Rechts oben, giftig gelb: «Letzte gedruckte Ausgabe!» Künftig sollen wir dieumwelt.ch besuchen. Wer das übersah, wird von der BAFU-Direktorin im Editorial nochmals eingeladen. «Weniger wegwerfen» ist zwar als Titel auf die Verschwendung von Lebensmitteln, also das Schwerpunktthema des Heftes bezogen, aber sie erwähnt natürlich auch das durch den Verzicht auf die Zeitschrift eingesparte Papier. Dafür bekämen wir «Wissenswertes, Spannendes und Lehrreiches aus dem Umweltbereich» als Newsletter aktueller, «in engerem Rhythmus». Schematisch wird vorgeführt, was die Umstellung bringt: Nebst mehr Nachrichten eine «Filterung der Inhalte nach Themen» sowie die Möglichkeit, «alle Artikel anzuhören», immer und überall – «100% digital». In der gewohnten Mosaik-Rubrik wird auf «umweltfreundliches Papier von genveränderten Bäumen» hingewiesen, das in den USA entwickelt werde. «Das könnte die Papierproduktion ressourcenschonender machen.» Braucht «die umwelt» jetzt nicht mehr.
Nach dem Dossier zu «Food Waste» wird noch eine 6-Seiten-Reportage über nächtliche Erkundungen zum Leben von Schleiereulen angeboten. Grosszügig bebildert, informativ, mit Hinweisen auf trotz intensiver Forschung ungelöste Rätsel. Dann zwei Doppelseiten, die zu einem Ausflug ins Zürcher Oberland animieren, ins Gebiet der vor rund 150 Jahren angelegten Guyer-Zeller-Wege, eine «Landschaft für alle Sinne». Raimund Rodewald von der Stiftung für Landschaftsschutz wurde als kundiger Begleiter beigezogen. «Wann sind Sie das letzte Mal bewusst in die Natur gegangen?» Keine billig rhetorische Frage. Hier wird auf verlorene Erfahrungen hingewiesen, zu einem Versuch ermuntert. Wir sollen bei einer kleinen Brücke stehen bleiben, ganz ruhig sein. Während dort nämlich auf der einen Seite der kleine Wissenbach sprudelnd talwärts mäandert, tropfe entlang der Felswand ein feines Rinnsal auf den Waldboden. «Das rechte Ohr hört etwas anderes als das linke.» Das auf einem Computer lesen? Womöglich vor Ort auf einem winzigen Bildschirm. Dann mit dem Handy in der Hand horchen? Gut, «eine multisensorische Erfahrung» wäre das auch.
Mich schmerzt, dass diese Zeitschrift, die ich über Jahrzehnte meist mit Interesse las und oft weiterempfohlen habe, verschwindet. Einfach nur Zeichen der Zeit? Und ein Zufall, dass das Bundesamt für Umwelt jetzt zum Herrschaftsbereich von Rösti gehört, dem auch als Agrar- und Umweltpolitiker verheerenden Medienminister? Nochmals ein Blick ins andere Heft. «Wir wollen den Konsumentinnen und Konsumenten sagen können: Es tut sich etwas. Ihr spart etwas.» Ein dort im Interview fett hervorgehobenes Zitat.
Dieser Text erscheint auch als Zeit-Schriften-Schau im letzten P.S. dieses Jahres. Dort geht’s jedoch 2025 wieder gedruckt weiter.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Lieber Hans, ja, was Politiker wie Rösti (und dessen Partei) tun ist VERHEEREND. Schon seit Jahren überziehen sie die Welt (und nicht nur die kleine Schweiz) mit Krieg. Krieg gegen die Natur. Krieg gegen die Schwachen und Bedürftigen in unserer Gesellschaft. Krieg gegen Pflanzen und Tiere. Krieg um die letzten Rückzugsgebiete. Ich zitiere Klaus Theweleit: «Was habe ich für eine Chance, Pazifist zu sein, wenn all die Kulturtechniken, durch die ich atme, wahrnehme, denken, prouziere, durch die ich liebe und lebe selber Gewalt sind, wenn meine Friedfertigkeit selber Gewalt einschliesst…?» (WARUM CORTES WIRKLICH SIEGTE, Technologiegeschichte der eurasisch-amerikanischen Kolonialismen).
Eine grossangelegte Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) mit über tausend Teilnehmern offenbart, dass Schweizer Journalist:innen sich selbst politisch deutlich links von ihrem Publikum verorten.
Warum sollen einseitig links-gefärbte öffentliche Presseerzeugnisse noch gefördert werden?