Lobalu muss tanzen – SRF findet das gut
Es war zum Fremdschämen – das Interview, das Sportreporter Paddy Kälin an den Leichtathletik-Europameisterschaften in Rom mit dem Gewinner des 10’000-Meter-Rennens, Dominic Lobalu, führte.
Kälin fragte: «Zum Abschluss noch ein kleines Tänzchen?» Lobalu begriff nicht. Kälin insistierte: «Das Dominic-Lobalu-Tänzchen?» Lobalu verstand noch immer nicht. Kälin verlangte noch einmal: «Ein bisschen tanzen? Können wir das noch einmal sehen, zum Abschluss?»
Taktlos
Das Interview mit Lobalu war nicht Kälins einziger Fauxpas an diesem Abend. Die 4×100-Meter-Staffel der Frauen hatte ganz knapp die Bronzemedaille verpasst und wurde später sogar disqualifiziert, weil Schlussläuferin Sarah Atcho den Stab verloren hatte. Atcho brach im Ziel in Tränen aus. Sie war untröstlich.
Die Sprinterin erholte sich kaum. Auch ihre drei Staffelkolleginnen konnten sie nicht trösten. Das Westschweizer Fernsehen musste das Interview mit ihr abbrechen, weil sie ständig heulte und kaum sprechen konnte. Aber das hinderte Paddy Kälin nicht daran, Atcho vors Mikrofon zu holen.
Als Zuschauer litt man mit – nicht wegen der verpassten Bronzemedaille, sondern wegen des forcierten und taktlosen Interviews.
Erkenntnisgewinn: null!
Überhaupt waren die Interviews an den Leichtathletik-Europameisterschaften ein Ärgernis. Zum einen, weil sich Paddy Kälin wie ein Fan aufführte und nicht wie ein Journalist. Zum anderen, weil die meisten Athleten und Athletinnen – unmittelbar nach dem Wettkampf noch erschöpft und mit sich selber beschäftigt – kaum etwas Substanzielles zu sagen hatten. Erkenntnisgewinn für die Zuschauer: null!
Ganz anders als SRF packte das Tessiner Fernsehen RSI die Aufgabe an. RSI verzichtete auf die nichtssagenden Interviews. Dafür glänzten die Tessiner Kollegen mit viel Fachwissen.
Die Fragen von Infosperber
Infosperber wollte deshalb von Fernsehen SRF wissen:
1. Wie beurteilt Fernsehen SRF mit einer Woche Distanz das Interview mit Dominic Lobalu?
2. War das Interview nach Ansicht von Fernsehen SRF rassistisch?
3. Erachtet Fernsehen SRF Interviews mit Athleten, die ausgepumpt sind und ihre Gedanken noch gar nicht sortiert haben, als sinnvoll?
4. Findet es Fernsehen SRF angebracht, eine Athletin wie Sarah Atcho, die nach der 4×100-Meter-Staffel in Tränen ausgebrochen war und sich kaum mehr erholte, vors Mikrofon zu zerren?
5. Welche Lehren zieht Fernsehen SRF aus den Interviews von Rom im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Paris?
Für Fernsehen SRF ist alles in Ordnung
Fernsehen SRF beantwortete die Fragen von Infosperber nur summarisch. Es sieht keinerlei Fehler: «Das Interview von Paddy Kälin mit Dominic Lobalu sorgte für einen emotionalen Moment an diesen aus Schweizer Sicht so erfolgreichen Leichtathletik-Europameisterschaften.»
In der Antwort von SRF gibt es keine Spur von Selbstkritik. Dafür ein dickes Eigenlob: «Die SRF-Mitarbeitenden leisteten während der gesamtem EM einen hervorragenden Job. Vorwürfe von Rassismus oder Nötigung für ein Interview entbehren jeglicher Grundlage. Paddy Kälin hielt sich – wie alle anderen Mitarbeitenden vor Ort – stets an die gelebten Werte von SRF sowie an die Publizistischen Leitlinien.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wo ist das Problem? Wäre er weiss wäre er wohl auch um einen Tanz gefragt worden!
Wohl kaum. Nehmen wir den Fussball. Fussballer jubeln ja häufig ausgelassen. Sie reissen sich das Trikot vom Leib. Sie werfen sich auf einen Haufen. Sie küssen sich. Sie tun, als ob sie ein Baby schaukeln würden. Sie formen die Hände zu einem Herz. Oder zu einem Doppeladler. Aber ich könnte mich nicht daran erinnern, dass ein Sportreporter einen Sportler dazu aufgefordert hätte, den Jubel beim Interview zu wiederholen.
Sowas von Inkompetenz und mangelnder Empathie! Natürlich wäre kein Weisser das gefragt worden!
Warum nur kommt mir jetzt gerade die Jahrmärkte von früher in den Sinn, wo Dicke, Schwarze, Weisse, Gelbe oder Verunstaltete Menschen für wenig Geld zur Schau gestellt wurden. Den heutigen «Gladiatoren» bleibt offensichtlich auch nichts anderes übrig als mitzumachen, um die Sponsoren zu befriedigen. So ähnlich hat mir das mal ein früherer Profi-Radrennfahrer darzustellen versucht…