Sperberauge

Leser fragt. Tamedia schweigt.

Marco Diener © zvg

Marco Diener /  Ausführlich berichten Tamedia-Zeitungen über Missbrauch bei der Kurzarbeitsentschädigung. In eigener Sache ist der Verlag wortkarg.

«Corona-Hilfsgelder: Wie Berner Firmen den Staat abzocken». Und: «Ferrari-Garage muss dem Staat eine Viertelmillion zurückzahlen.» So berichteten Berner Zeitung BZ und Bund – beide aus dem Tamedia-Verlag – über den Autohändler Nemeth aus Hinterkappelen BE.

Trotzdem Autos verkauft

Ausführlich schilderten die Zeitungen, dass die Garage bei der Kontrolle des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) «keine originalen Zeiterfassungsbelege, sondern eine (manipulierbare) Excel-Tabelle» vorgezeigt habe. Zudem habe sich gezeigt, dass Angestellte, obwohl sie angeblich nicht arbeiteten, Mails schrieben, Offerten erstellten und Autos verkauften.

Von den bezogenen 407’000 Franken muss die Garage 256’000 Franken zurückzahlen. So hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Die Garage hat den Fall allerdings ans Bundesgericht weitergezogen.

«Frage an Tamedia»

Der Artikel in Berner Zeitung und Bund provozierte 61 Kommentare. Interessant ist derjenige von Thomas Bornhauser aus Wohlen BE. Er schrieb: «Frage an Tamedia – und bitte, korrigieren Sie mich unbedingt, wenn ich falsch liege, nobody is perfect: Meines Wissens hat auch Tamedia vom Bund selber Geld für ‹Kurzarbeit› erhalten, obwohl die Medienschaffenden mehr als üblich zu tun hatten – wegen vieler krankheitsbedingter Ausfälle. Schliesslich mussten die Tageszeitungen erscheinen, was sie auch taten. Stimmt es, dass diese Gelder für den ‹Ausfall von Inseraten› ausbezahlt wurden? Nochmals: Es ist eine Frage, keine Unterstellung.»

Keine Antwort von Tamedia

Bornhauser erhielt viel Zustimmung von anderen Kommentatoren. Aber er erhielt keine Antwort von Tamedia. Deshalb wollte Infosperber von Tamedia wissen: Warum eigentlich nicht? Doch die Antwort war nichtssagend: «Wir antworten auf Fragen in den Kommentaren, entgegnen nach Anschuldigungen, weisen auf weiterführende Artikel hin.»

Mehr Arbeit

Aber warum antwortete dann Tamedia in diesem Fall nicht? Bei dieser Frage duckt sich der Verlag weg. Dabei ist Bornhausers Frage durchaus interessant. Denn schon ganz zu Beginn der Pandemie hielt die Tamedia-Personalkommission fest: «Auf den Redaktionen und in der Produktion gibt es derzeit nicht weniger zu tun – in manchen Bereichen gar mehr, zumal der Bedarf der Bevölkerung nach aktuellen Informationen sehr gross ist.» Oder anders formuliert: Eigentlich gab es keinen Grund für Kurzarbeit.

Weniger Inserate

Die damaligen Tamedia-Co-Geschäftsführer Marco Boselli und Andreas Schaffner klagten über einen Einbruch bei den Werbeeinnahmen. Sie schrieben: «Dies zwingt uns dazu, in allen Bereichen – auch in denen, die noch genügend zu tun haben – Kosten zu sparen, um den massiven wirtschaftlichen Schaden einigermassen eindämmen zu können. Wir befinden uns in einer Krise, von der niemand weiss, wie lange sie andauern wird. Nur wenn wir jetzt handeln, haben wir überhaupt eine Chance, diese Krise zu meistern.»

Klingt also tatsächlich so, wie Thomas Bornhauser vermutet – dass die Kurzarbeitsentschädigung dazu diente, den «Ausfall an Inseraten» zu kompensieren.

Keine Antwort vom Seco

Infosperber wollte deshalb vom Seco unter anderem wissen:

– Hat das Seco überprüft, ob Tamedia die Kurzarbeitsentschädigungen zu Recht bezogen hat?

– Falls ja: Mit welchem Ergebnis?

– Hat Tamedia die Kurzarbeitsentschädigungen erhalten, um den Einbruch bei den Werbeeinnahmen kompensieren zu können?

Das Seco beantwortete die Fragen nicht. Denn es äussert sich nach eigenen Angaben «nicht zu Einzelfällen». Und weiter: «Wir können aber bestätigen, dass die Medienbranche eine der Fokusbranchen bei den Prüfungen des Seco ist». Erstaunlicherweise wurde Tamedia vom Seco bisher aber nicht überprüft.

Stolze Beträge

Die TX-Group, zu der Tamedia gehört, kassierte im Jahr 2020 21,2 Millionen Franken an Kurzarbeitsentschädigung. Im darauffolgenden Jahr waren es nochmals 7,3 Millionen Franken.

2020 verzichtete das Unternehmen auf eine Dividendenausschüttung. Im Jahr darauf zahlte es 78 Millionen Franken aus — auch dank der bezogenen Kurzarbeitsentschädigung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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