Kommentar

kontertext: Radio retten

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /   Gegen die Sparerei bei SRF ist eine soziale Bewegung entstanden. Das ist schon viel. Nur die Zukunft ist noch nicht gerettet.

Viele haben mitgemacht. Gegen die Sparerei bei SRF und zur Rettung eines anspruchsvollen Kulturradios ist in kurzer Zeit eine Basisbewegung entstanden, die in der Basler Kundgebung vom letzten Samstag ihren vorläufigen Höhepunkt fand. 

Der Traum von wachen Medien

Plötzlich waren da eine grosse Anzahl selbstloser Helfer*innen, die aus Überzeugung tagelang geschuftet haben. Sie haben über 27’000 Unterschriften für ein geistig reiches Kulturradio gesammelt, Kampagnen organisiert, Texte geschrieben, Versammlungen abgehalten, Debatten geführt, die Demo vom Samstag auf die Beine gestellt. Beglückend ist der Reichtum und die Vielfalt einer solchen Bewegung. Phantasie, Intelligenz und Witz blitzen auf. Zur Verteidigung der langen Hintergrundsendungen hält eine ein Transparent hoch, auf dem steht: «Ich kann eine ganze Stunde». Ein anderes Transparent lautet: «Hilve wir Ferplöden!» Einer kommentiert seine Unterschrift mit den Worten: «Wenn Mainstream nur noch zu ‹mein stream› führt, dann stirbt mein Dream von einer offenen Gesellschaft mit wachen Medien». Einer der Organisatoren trägt seinen Protest in der Form eines Alpsegens vor.  

SRG Kundgebung
Protestversammlung gegen die Sparerei bei SRF in Basel

Eine solche Bewegung ist unabhängig, stellt alle vorhandenen Organisationen vom Parlament bis zu den Parteien in Frage und neigt zu einer gewissen Radikalität. Von Seiten einiger Parteimitglieder und -sympathisanten wurde bald die Forderung laut, auf Kritik an SRF und SRG zu verzichten zu Gunsten einer Kampagne gegen den Spar- und Privatisierungswillen von Rösti und der SVP. Das ist der durchaus berechtigte Blick der Parlamentarier*innen. Die Bewegung aber entsteht aus alltäglichen Erfahrungen und hat eine andere Perspektive. In einem der ersten Proteste ganz am Anfang der Mobilisierung schrieb ein Redaktor: «Dass gespart werden muss, ist klar, aber so nicht!». Die Erfahrung besteht darin, dass mit den Sparprogrammen auch eine Programmstrategie durchgesetzt wird. Beim Sparen wird gleichzeitig das Konzept der «Durchhörbarkeit» umgesetzt. Statt an der Relevanz orientiert sich die Führung eher an Einschaltquoten und folgt dem Prinzip Häppchen statt Hintergrund! 

Schweizer Freiheit

Und die Angestellten der SRG haben auch die Erfahrung gemacht, wie präsent die Repression ist. Es geht hier nicht um Paranoia, es ist wirklich so: Keine und keiner der SRF-Internen darf öffentlich frei eine Meinung äussern, wenn sie Kritik am Arbeitgeber beinhaltet. Er oder sie riskiert sonst die Anstellung und damit die Existenzgrundlage.  

Auch schnelle Lernprozesse sind zu verzeichnen. Wenn anfangs Einzelinteressen, einzelne Sendungen, einzelne Redaktionen verteidigt werden, so wird schnell klar, dass nur in gemeinsamer Solidarität Erfolge möglich sind. Die Verteidigung eines unabhängigen, kritischen Radios rückt ins Zentrum.  

Ungewöhnlich für eine Protestversammlung war, dass der Vertreter der Institution, dem die gesammelten Unterschriften überreicht wurden, Rajan Autze, Gelegenheit zu ausführlicher Stellungnahme bekam. Die direkte Antwort blieben ihm die Protestierenden schuldig. Niemand hat den Versammelten seine Sprache entschlüsselt. Was meint er, wenn er sagt, SRF sorge schon für die Wissenschaft? Er meint die Verteilung von Kurzberichten im Hintergrundgeplätscher. Was ist zu halten von seiner Versicherung: «Wir bauen sogar aus – aber halt günstiger»? Man möchte ihm als Erkennungsmelodie für seinen Sender den Schlager empfehlen: «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehen und dann werden tausend Märchen wahr». Seiner Ankündigung, einen wochentäglichen «Talk» von einer halben Stunde neu einzuführen, müsste man die Forderung entgegenhalten, dass Sendeformen und Sendeformate nicht von der Führung allein definiert werden sollten, sondern auch und in erster Linie von den Redaktionen. Inhalt und Form sollten etwas miteinander zu tun haben. 

Grosse Mühe mit Bewegungen haben die Medien. Sie berichten entweder gar nicht, oder, wenn sie berichten, wie Blick, bz, TeleBasel und bajour, so interessieren sie sich weniger dafür, wie Tausende von Menschen für einen starken medialen Servic public plädieren und wie sie sich ausdrücken. Sie interessieren sich mehr für die üblichen Protagonisten. In Bild und Text erscheinen primär der Funktionär von SRF und eine Parlamentarierin, die unter den vielen Vertretern und Vertreterinnen von Wissenschaft und Kultur auch gesprochen hat. 

«Radio isch Service public»

Bewegungen entwickeln einen Sog, der Sympathisanten anzieht. Lukas Bärfuss liess einen Gruss übermitteln, und der Schrifsteller Guy Krneta lieferte den besten Redebeitrag, der den längsten Applaus erhielt. Krneta erwies, dass man mit sprachlicher Sorgfalt grosse Wirkung erzielen kann. Literarische Mittel wie Wiederholungen und Rhythmus machen scharfe Gedanken leicht und eindringlich. Neue Begriffe können Perspektiven verändern. Krneta sprach nicht von Gebühren oder gar Zwangsgebühren und er wetterte nicht gegen die Privatisierungsideologie, sondern sprach einfach vom Abo, das uns nur einen Franken pro Tag kostet und so viel bringt: reiches Programm, Zugang zu Streaming- und Online-Plattformen, und noch Kulturförderung: «Es Radio-Abo bi SRF enthautet vier oder füf Abos, wo dr süsch einzu löset und ds Vier- oder Füffache drfür zalet – de haut freiwiuig.»  Er beschrieb das Radio als Konvergenzopfer und schob das Quotendenken resolut beiseite: «Fernseh het Wärbig, Radio het ke Wärbig, nie gha. Auso schpilen Yschautsquote bim Radio im Grund gno ke Roue. Yschautsquote sy wichtig, we dr weit Wärbechunde gwinne. Aber Radio isch Service public.»

Ein fast unbeachtetes Sparprogramm

Im Sog der Diskussionen um das Kulturangebot der Medien wurde plötzlich deutlich, dass der von Deutschland, Österreich und der Schweiz betriebene Fernsehsender 3sat erneut gefährdet ist. Nachdem ihn kürzlich in Deutschland eine Protestbewegung gerettet hat, droht nun der Ausstieg der Schweiz. Der Bundesrat will nämlich den Bundesbeitrag (18 bis 19 Millionen im Jahr) an das sogenannte Auslandsmandat der SRG streichen. Dieses umfasst die Netzplattform «swissinfo», eine italienischsprachige Webseite und eben die Zusammenarbeit mit TV5Monde und 3sat. Der Bundesrat phantasiert zwar davon, dass die SRG ein reduziertes Auslandsmandat allein stemmen könnte, aber das dürfte unrealistisch sein. 

Das Attentat auf 3sat und TV5 ist eine von 59 Sparmassnahmen, die der Bundesrat unter dem Titel «Entlastungspaket 27» vorschlägt. Schaut man sich dieses Dokument an, stehen einem die Haare zu Berge. Unsere Landesregierung will ab 2027 3,6 Milliarden Franken jährlich sparen, in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation allein 460 Millionen pro Jahr (s. NZZ vom 12.2.25). In den Medien ist dieser Kahlschlag viel zu wenig wahrgenommen worden. Bis zum 5. Mai 2025 läuft noch die Vernehmlassungsfrist,  und es wäre wünschenswert, dass möglichst viele Organisationen und Einzelpersonen sich äussern. Hilfen und Fragebogen stehen dafür zur Verfügung. 

Wie weiter?

Im vergangenen November hat die SRG verlauten lassen, sie müsse bis zu 1000 Stellen abbauen. Dann haben wir nichts mehr gehört. Im Februar baut sie 50 Stellen ab, zwei der abgebauten Stellen lösen eine Protestbewegung mit 27 000 Unterstützer und Unterstützerinnen aus. Und da soll kein Kompromiss drin sein? Soll das so weitergehen? 50 plus 50 plus 50… Der Weg bis 1000 ist lang. Wer in diesen Dimensionen sparen muss, muss nicht nur politisch aktiver werden, sondern das gesamte mediale Service-public-Angebot für Radio, Fernsehen und Social Media neu konzipieren. Rajan Autze hätte am vergangenen Samstag die Generalstände Neue Medien Schweiz ausrufen müssen.  Und kurzfristig müssen sich Führung und betroffene Redaktionen von SRF zusammensetzen, um einen gut schweizerischen Kompromiss zu finden. Das kann doch nicht so schwierig sein


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Felix Schneider war vor seiner Pensionierung Redaktor bei srf 2 kultur.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.

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Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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