Kommentar
kontertext: Für eine Journalismus-Politik!
Was als bescheidenes Bändchen der «edition suhrkamp» daherkommt, ist in Wirklichkeit eine umfassende Darstellung der kritischen Situation des Journalismus von heute. Roger De Weck hat eine detaillierte Diagnose der Krankheit des Journalismus erstellt und gibt ausführliche Therapievorschläge. Er schreibt so elegant und anschaulich, dass man lesend gelegentlich auf seinen schönen Sprachwellen über den Inhalt hinweg getragen wird.
Die Retourkutsche
Auf Seite 55 passiert es. De Weck lobt zwar die analytische und aussenpolitische Substanz der Neuen Zürcher Zeitung, kritisiert dann aber ihr «Begriffsbombardement» gegen alle, die von dem Blatt denunziert werden als die omnipräsenten Woken, die Erzieher, die Sittenwächter, die Moralprediger, die Gutmenschen. Er erwähnt auch, dass die Zeitung in Deutschland mit den Rechten flirtet und das Vokabular der AfD aufgreift, während sie zur Partei selbst in «Vorsichtsdistanz» bleibt. Wer nun meint, das Weltblatt von der Falkenstrasse stecke solche Kritik gelassen weg, hat sich getäuscht. Ein gekränkter Lucien Scherrer behauptet in seiner Ranküne-gesättigten Rezension, der linke de Weck werfe «mit Meinungen um sich» und sei von ideologischem «Furor» gepackt.
Das Gegenteil trifft zu. De Wecks Essay ist faktengesättigt, die Belege und Beispiele sind zahlreich. Fast alle der 146 Anmerkungen verweisen auf Quellen, die mit Internetadressen versehen sind, um Nachprüfungen zu ermöglichen.
Journalismus gegen Medien
De Wecks Gedanken beruhen auf der scharfen begrifflichen Trennung von Journalismus und Medien, deren Gesetze, so sagt er, auseinanderlaufen. Die Kunst bestehe heute darin, Journalismus zu machen trotz der Medien.
Der Journalismus hat seine Geschichte, die früh schon das wesentliche Berufsethos hervorbracht hat. De Weck erinnert an Théophraste Renaudot, den vergessenen Vordenker des Journalismus, der mit seiner «Gazzetta» 1631 schon die Massstäbe setzte: Prüfung der Nachrichten, Suche nach der Wahrheit und den Fakten bei der Informationsverarbeitung, Kampf gegen Lügen, Gerüchte und Fake. Auch sah er sich schon mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die angestrebte Sachlichkeit weniger wirksam ist als die Emotionalisierung.
In der Hölle der sozialen Medien
Wenn der Journalismus Social Media nachahmt, begibt er sich in Gefahr. De Weck beschreibt eindrücklich den Paradigmenwechsel vom handfesten Produkt zum digitalen Service, von der Einheit einer handwerklich und maschinell hergestellten Ware zu dem Mix von Splittern, die scheinbar ex nihilo auf dem Bildschirm erscheinen und dank digitaler Messmethoden permanent auf Nachfrage und Wirkung geprüft werden können. Die Herrschaft geht über an die Contentmanager, die den Journalismus den «Aufmerksamkeitsgesetzen» digitaler Plattformen unterwerfen wollen. Hauptkriterium für den Erfolg ist die Klickzahl.
Die Folgen dieses Paradigmenwechsels zeichnet de Weck mit dem Furor der Vollständigkeit nach – diesen Furor hat er. Er liefert das wohl detaillierteste Sündenregister des heutigen Journalismus, das momentan zu haben ist: Es herrscht das «arbeitsökonomische Gesetz der Oberflächlichkeit». Scharfmacher setzen auf Emotionalisierung und Dramatisierung. Ich- und Meinungsjournalismus nehmen überhand. Mit Tempo, möglichst in Echtzeit, werden aus allen Zusammenhängen gerissene «News» verbreitet. Anpassung an Mode- und Zeitströmungen dominiert. Die Vielfalt an Titeln, Verlagen, Themen und Perspektiven nimmt ab – plötzlich senden alle die nahezu identischen Fernsehkrimis oder Talkshows. Selbstbewusstsein, Ansehen, Attraktivität und die Bedeutung des Journalismus schwinden.
Zusätzlich steht der Journalismus von aussen unter Druck. Antidemokraten und Rechtsautoritäre entfachen einen Kulturkampf gegen ihn. Auch in der Schweiz werden Journalisten eingeschüchtert, z.B. durch das Bankengesetz. Der Quellenschutz erodiert, kostspielige Prozesse gegen Schreibende nehmen zu.
Fazit: Zwischen dem Klickjournalismus und dem Populismus gibt es eine «objektive Allianz». Beide setzen auf das Show-Prinzip: «Personen statt Ideen, Emotion statt Sachlichkeit, Verknappung statt Komplexität, Tempo statt Vertiefung, Konflikt statt Kompromiss. Und unweigerlich auch: Wir gegen die anderen, die Fremden, die da oben.» Wo man nicht mehr bereit ist, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, hat der Journalismus keinen Platz mehr, oder wie Elon Musk sagte: «It’s the final Kant down».
Was tun?
De Weck fordert Journalismuspolitik statt Medienpolitik. Wenn der Dichter Ferdinand Freiligrath in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts die Losung «Trotz alledem!» ausgab, so lautet De Wecks Parole heute: Trotzdem!
Der Journalismus müsse «sich selbst helfen: indem er charakterfest bleibt», sagt de Weck. Er meint: Damit die Journalisten und Journalistinnen die «öffentliche Sache» nicht aus den Augen verlieren, brauche es, z.B. in Form jährlicher Gipfeltreffen des deutschsprachigen Journalismus, eine permanente Selbstvergewisserung darüber, ob Journalismus vor allem der Demokratie dienen oder in erster Linie Nutzerinnen und Nutzer bedienen wolle. Wendet er sich primär an Bürgerinnen und Bürger oder an Verbraucherinnen und Verbraucher, die mit Tipps für ein glückliches und gesundes Leben versorgt werden müssen?
Der Staat ist gefragt
Wenig überraschend betrachtet es de Weck als elementar, dass der Staat auch den Journalismus sichert, nicht nur die Medienfreiheit. Journalismus ist die Infrastruktur der Demokratie! Überraschender ist schon, dass der Autor zeigen kann, wie vorbildlich in dieser Hinsicht die nordeuropäischen Staaten Norwegen, Schweden, Dänemark und Finnland sind. Sie sichern die Pressefreiheit, generieren Vertrauen in die Medien, fördern diese in vorbildlicher Weise und sichern ihre Medienförderung gleichzeitig gegen Missbrauch ab. Sie widerlegen das Klischee, Staatshilfen verhinderten kritische Staatsferne. Das extreme Gegenbeispiel zu den nordeuropäischen Staaten sind die USA, in denen sich eine Medienkatstrophe enormen Ausmasses abspielt.
Journalismuspolitik konkret
Für seine Journalismuspolitik sieht de Weck «vier Achsen»:
1. Die Pressefreiheit ausbauen, d.h. Quellenschutz verbessern, Recht auf Akteneinsicht und behördliche Auskunft absichern, Monitoring-Institutionen wie den deutschen Presserat stärken.
2. Zielgerichtet Journalismus fördern, d.h. die Rundfunk-(oder in der Schweiz die Serafe-)Gebühren zu Medienbeiträgen weiterentwickeln, damit auch die journalistischen Arbeiten privater Anbieter in allen Sparten gefördert werden können. Für die staatliche Förderung intelligente und effektive Kriterien zu erstellen, ist möglich und gar nicht so schwierig. Auch Stiftungen sind unverzichtbar für die Journalismusförderung. Originell ist hier das Beispiel des Kantons Freiburg, der seine Lokalzeitung «La Liberté» erfolgreich abgesichert hat, indem er dafür sorgte, dass die Aktienbesitzer, die das Blatt tragen, zu zwei Dritteln aus lokalen Akteuren bestehen. Zudem schenkt der Kanton Freiburg allen Jugendlichen des Kantons zu ihrem 18. Geburtstag einen «Medienpass», einen Gratiszugang zu Medien ihrer Wahl.
3. Der Leistungsauftrag von ARD und ZDF, die gerade bei den Jungen immer noch hohes Vertrauen geniessen, ist neu zu fassen. Als Mitglied des «Zukunftsrates» (der von den Bundesländern eingesetzte Rat für zukünftige Entwicklung der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland) hat de Weck einiges zu deren notwendigem Umbau zu sagen. Die Schweiz, die vor der grossen Aufgabe steht, einen neuen Konsens über ihren medialen Service public zu erarbeiten, kommt bei ihm zu kurz.
4. «Plattformpolitik ist Journalismuspolitik ist Demokratiepolitik», sagt de Weck. Neben der Presse als Vierter Gewalt bilden die digitalen Plattformen nun die Fünfte Gewalt. Und deswegen muss man sie regulieren. Der «Digital Services Act» und der «Digital Markets Act» der EU sind epochemachende, aber noch ungenügende erste Schritte. Es gilt, die Grossplattformen auf die res publica zu verpflichten. Als einige der wichtigsten Forderungen nennt de Weck: Die Verantwortlichkeit der Grossplattformen muss festgehalten werden. Transparenz über ihre Algorithmen ist herzustellen. Willkürliches Entfernen von Posts und Konten ist zu unterbinden. Nur Posts von Nutzern und Nutzerinnen, die mit ihrem Klarnamen zeichnen, sollen erlaubt sein.
Und jetzt über die Schweiz diskutieren!
De Wecks Essay ist die reichhaltige und präzise Darstellung einer Epoche im Moment, da eine neue Ära anbricht. Denn mit den Angriffen der Trump-Regierung auf Journalismus und Rechtsstaat beginnt eine neue Zeit. De Wecks Vorschläge für eine Journalismuspolitik sind gute Vorgaben, müssen allerdings für die Schweiz ergänzt und präzisiert werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
_____________________
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
Interessante Ansichten und vielem würde ich zustimmen. Einige Sachen sehe ich anders. Der Einstieg zum Beispiel, mehrere Studien, die unteraderem auch auf Selbsteinschätzung basieren, ergaben,dass in vielen Redaktionsstuben sich links verodnende Journalisten befinden. Deutlich überräpresntiert gegenüber der Bevölkerung sind zum Beispiel befürworter der Grünen.
Das mit dem Meinungs-Haltungsjournalismus sehe ich auch wie de Weck,aber unter andere Voraussetzungen,wie oben erwähnt. Zudem sind viele Medien offenbar nicht mehr fähig Probleme auf vielfältige Art anzugehen, gut zu beobachten während der Pandemie oder dem Ukraine Krieg. Es wird gar nicht mehr versucht, Verständnis, nicht zu verwechseln mit Legitimation,für andere Sichtweisen zu generieren.Wer in in schwarz und weiss, gut und böse unterteilt,schafft Probleme,denn zu lösen. Deshalb sind staaliche Unterstützungungen für private Medien grundsätzlich kritisch anzusehenGab eigentlich auch eine Abstimmung vor nicht allzu langer Zeit
War Jahrzehnte lang Abonnentin des Tages-Anzeigers.
Auf einmal erschienen immer mehr Artikel mit mehreren Autorinnen. Parallel dazu verschwanden die Pro- und Kontra-Darstellungen zu wichtigen Themen. Bei den drei Autoren war im ganzen «Mischelmaschel» nicht mehr festzustellen, wer für welche Meinung steht.
Das Gleiche geschieht nun auch beim Fernsehen: Meistens zeichnen zwei bis vier Leute für einen Beitrag. Wieso das, wenn die SRG doch sparen muss?
Auch merkt man, dass viele Autoren eine/ihre feste Meinung vermitteln wollen. Oft fehlt die Neugierde für die Vertiefung des Themas. Nach Medienkonferenzen werden kaum kritische Punkte oder Fragen zu einer Sache veröffentlicht. Also werden die Konsumentinnen weniger zu eigenständigem Denken angeregt.
Ich werde de Wecks neues Buch kritisch lesen und hoffe es überzeugt mich mehr als sein Werk über die Demokratie.