Kommentar

kontertext: Das Phänomen Antiamerikanismus

Rudolf Walther © zvg

Rudolf Walther /  Wie ein Begriff, der nichts bedeutet, Karriere machte.

Nach dem politisch wie moralisch schäbigen Rückzug der US-Truppen und ihrer Verbündeten aus dem «Krieg gegen den Terror» in Afghanistan kann man auch einen Begriff beerdigen, mit dem die Kritik am Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten sowie die Motive und Ziele der Kritiker hierzulande jahrelang diffamiert wurden: «Antiamerikanismus» . Der Begriff gehört zu den beständigsten Formeln im propagandistisch-ideologischen Nahkampf gegen Linke seit dem Kalten Krieg. Er hat aber auch eine Vorgeschichte, die bis zu den Konservativen in der Weimarer Republik und in die Nazizeit zurückreicht. Allerdings war zu keiner Zeit auch nur ansatzweise klar, was mit dem Begriff eigentlich gemeint ist. 

«Antiamerikanismus» ist ein Begriff, der nicht während des Kalten Krieges der 50er- und 60er-Jahre erfunden wurde, aber damals ans Schwungrad der  «westlich» kostümierten Propaganda gelangte. Was er bedeuten sollte, blieb im Nebel. Noch in den 90er-Jahren erklärte ein aufgeregter Autor während des Kosovo-Krieges die These, die indianische Urbevölkerung in Nordamerika sei fast ausgerottet worden, zum «alten Topos des Antiamerikanismus». Und in seinem argumentativen Delirium feierte er die Benennung von Kampfhubschraubern nach dem Stamm der Apachen als eine «gelungene» Form von Wiedergutmachung aus «Schuldbewusstsein gegenüber den Erschlagenen.» Dagegen konnten sich Überlebende nur mit dem Risiko wehren, ihre Selbstachtung aufzugeben, denn gegen Niedertracht verteidigt sich nicht, wer bei sich ist.

Wenn man der Geschichte des Begriffs «Antiamerikanismus» nachgeht, stösst man auf Ungereimtheiten und Peinlichkeiten. Das beginnt mit dem Elementarsten – mit der Definition dessen, was «Antiamerikanismus» bedeutet. Am einfachsten ziehen sich jene aus der Affäre, die eine Definition verweigern, indem sie auf die «Vielschichtigkeit» des Begriffs verweisen. Das ermunterte den Autor einer akademischen Qualifikationsarbeit dazu, auf 250 Seiten «die Entstehung des Antiamerikanismus» abzuhandeln, ohne einen Präzisierungsversuch zu unternehmen. Nicht einmal die Existenz des Phänomens hielt der Autor für gesichert. Er schrieb also  über etwas, was es vielleicht gar nicht gab oder in so vielen Varianten, dass letztlich jeder selbst bestimmte, was er «Antiamerikanismus» nannte. Ratlos räumte er ein: «Ich bin mir bewusst, dass eine strenge Definition des Phänomens Antiamerikanismus auf Schwierigkeiten stossen würde.» 

«Antiamerikanismus» ist für ihn eine Geschmacksfrage, worauf auch die knappe Definition im OED («Oxford English Dictionary», 1989) hindeutet: «A spirit of hostility towards Americans» (etwa «eine feindselige Stimmung gegenüber Amerikanern»). Stimmungen gibt es etwa so viele wie Menschen und Augenblicke. Aber was hat es mit Feindseligkeit gegenüber Amerika und Amerikanern zu tun, wenn man – wie oben erwähnt – eine historische Tatsache wie die Ausrottung der indianischen Urbevölkerung erwähnt?

Lexikalisch sieht es schlecht aus für den Begriff «Antiamerikanismus»: Massgebliche Nachschlagewerke enthalten keinen Artikel «Antiamerikanismus» oder begnügen sich mit einem lapidaren Satz wie der OED  oder «Brockhaus. Die Enzyklopädie» (1996). Den Messdienern der politischen Leitartikel-Liturgien blieb so Gelegenheit  für Improvisationen. Wer in Europa seinerzeit das geplante TTIP-Abkommen ablehnte, huldigte für hiesige Kommentatoren dennoch dem «Antiamerikanismus», wie Majid Sattar in der FAZ vom 20.7.2016 und Eric Gujer in der NZZ vom 23.10.2015 unisono meinten.

Ein etwas älteres Sprachspiel belebte einst Peter Glotz als Bundesgeschäftsführer der SPD in den 80er-Jahren. Seine These: Politik besteht auch darin, «Begriffe zu besetzen.» Fortan machten sich die Einpeitscher der Parteien daran, irgendeinen Begriff zu «besetzen» und je nach Gusto «die neue soziale Frage» oder «die alten Ungleichheiten» für sich zu reklamieren. So bekamen Linke die Schelle «Antiamerikaner» umgehängt. Da PR-Agenturen im Planen begriffsgestützter «Kampagnen» agiler operierten, kam man vom «Begriffebesetzen» bald wieder ab. Dazu trug eine Kampagne der CDU bei, die daneben ging. Mit dürftiger Rabulistik wollte Heiner Geissler in der Nach- bzw. Aufrüstungsdebatte der Öffentlichkeit weismachen, «Pazifisten» seien schuld an «Auschwitz», denn mit der militärischen Schwächung hätten sie den Aufstieg der Nazis begünstigt. 

Das Rezept solcher winkeladvokatorischer Schläue ist simpel: Wer zu viel oder zu wenig isst, ist süchtig. Und daraus wird messerscharf syllogisiert, wer weder zu viel noch zu wenig esse, leide auch an einer «Sucht», nämlich an der nach Gesundheit. Mit solchen Kurzschlüssen bastelt man aus kosmopolitischen Demokraten im Handstreich «negative Nationalisten» und aus Pazifisten «negative Militaristen». Auch das Blödmann-Strategem «political correctness» funktioniert nach diesem Muster.

Ein zweites Sprachspiel: Für den deutschen Politikwissenschaftler Dan Diner etwa ist «Antiamerikanismus der projektive Anwurf an die USA, für die Übel aller Welt ursächlich zu sein». Wer behauptet derlei ausser etwa der rechte Reiseschriftsteller Leo L. Matthias, der Verschwörungstheoretiker Ulf Ulfkotte oder einige nur emotional daherredende Friedensschwärmer, denen die Differenz zwischen der Kritik an der  Politik der USA und an «Amerika»  entgangen ist? In den 50er- und 60er-Jahren bündelte Matthias seine abendländisch, religiös-katholisch, elitär-konservativ, frauenfeindlich und autoritätsgläubig imprägnierten Ressentiments – die alle schon in der konservativen Publizistik der Weimarer Republik aufgekommen waren  und von den Nazis übernommen wurden, zur affirmativ verstandenen Parole «Antiamerikanismus». Aber was hat derlei mit kritischer Analyse von US-Politik, mit seriöser Kritik an kulturellen, wirtschaftlichen, militärischen oder  politischen Orientierungen amerikanischer Eliten oder den  Optionen  aufgeklärter Pazifisten zu tun? War Nietzsche wegen kerniger Sätze über Amerika (« Es ist eine indianerhafte, dem Indianer-Blute eigentümliche Wildheit in der Art, wie Amerikaner nach Gold trachten») im gleichen Sinne ein «Antiamerikaner» wie deutschnationale und nationalsozialistische Propagandisten, die «Amerikanisierung» in den 20er-Jahren als «Verjudung» oder «Vernegerung» denunzierten?

Anhand von Büchern jüngerer Autoren wie Dan Diner («Verkehrte Welt», 1993 und «Das Jahrhundert verstehen», 1999)  kann man zeigen, wie der Propagandaformel «Antiamerikanismus» durch sozialpsychologische Spekulationen nachträglich beliebige Inhalte eingepflanzt und Motive untergeschoben werden können. Die gegen den Vietnamkrieg Protestierenden waren Diner zufolge «antiamerikanisch» orientiert. Im Nachhinein stellt er ihnen  die Ferndiagnose, «die in Vietnam erkannten Verbrechen» hätten sich in den Köpfen und Seelen (!) der studentischen Demonstranten Ende der 60er-Jahre «mit den von den eigenen Vätern» im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen verwoben. Das Argument läuft in zwei Richtungen: weil die Väter und Grossväter gegen die Nazis nichts unternommen hätten, wollten deren Kinder und Enkel den Makel «generationsverschoben» kompensieren. Die zweite Variante: Kinder und Enkel kämpfen wie Väter und Grossväter gegen «Amerika» – jetzt als verblendete Demonstranten, früher als von Hitler verführte Soldatenknechte. Diners Spekulation über den «generationsverschobenen» Protest funktioniert  wie eine Doppelmühle beim Brettspiel: Anti-Vietnam-Protest ist in jedem Fall «Antiamerikanismus» – entweder als Kompensation für das Nichtstun der Väter oder als Kopie des Handelns der Väter. So entsteht  apartes «Wissen», das auf fragwürdigen Konstruktionen wie der eines «kollektiven Unbewussten» beruht, das «generationsverschoben» agiert.

Ein finales Sprachspiel: Die  Springer-Autoren Richard Herzinger und Hannes Stein («Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler», 1995) wählten einen anderen Weg, um haltlose psychologische Spekulationen über zeitverschobene Motivations- und Mentalitätsstrukturen zu vermeiden. Die beiden Literaturwissenschaftler betrachten als «Antiamerikaner», wer «den Westen» kritisiert. Was «der Westen» ist, klären sie mit einem Vergleich: «Wie im Zentrum des jüdischen Monotheismus ein unnennbarer, körperloser und völlig abstrakter Gott steht,  […] so klafft auch im Innern der liberalen Demokratie eine Leerstelle. Niemand kann sagen, was den Kern des Westens ausmacht, denn er hat keinen Kern. Genau aus diesem Grund ist der westliche Lebensstil so universal tauglich.»

Ist «der Westen» schon einmal mit «Gott» ebenbürtig und gleichursprünglich, fällt der nächste Schritt leichter: Gott ist unfassbar und allmächtig. Auch der Westen ist unfassbar, aber noch nicht allmächtig, dafür hat er immerhin schon «verbindliche Werte». Diese sind freilich «nicht inhaltlich bestimmbar» – genau wie die Erwägungen Gottes. Um diese «westlichen Werte», die zwar keiner Analyse zugänglich sind, doch zu fassen, wagen die Autoren den Salto mortale aus dieser Welt in den unendlichen Raum ohne Gründe und Begründungen: Deshalb nennen sie die westlichen Werte schlicht «neutrale Werte». 

Nun ist jeder denkbare Wert durch die Beziehung bestimmt, die zwischen einem Gegenstand und einem Massstab, den ein wertender Mensch anlegt, hergestellt wird. Ein «neutraler Wert» ist entweder kein Wert, weil diese wertende Beziehung gar nicht hergestellt wird, oder der «neutrale Wert» ist Unsinn, weil der Mensch eben wertet, auch wenn er etwas als «neutral» bezeichnet. In diesem Sinne ist Neutralität gar kein «neutraler Wert». 

Der Begriff «Amerikanismus» hat seine Wurzeln in den revolutionären Ereignissen zwischen der Unabhängigkeitserklärung (1776) und dem Verfassungskonvent (1787). Die damals aus christlicher Spiritualität, Patriotismus, Common Sense  und politischem Pragmatismus entstandene «Ziviltheologie» (Jürgen Gebhardt) verdichtete sich zu «Geboten der Vernunft und reinem Amerikanismus», so Thomas Jefferson 1797. Diese Gebote zeichneten sich durch hohe Elastizität gegenüber wechselnden politisch-sozialen Umständen aus, was nicht verhinderte, dass «Amerikanismus» bald zum Ensemble granitener Vorurteile und Ressentiments versteinerte.

«Amerikanismus» wurde jedoch immer und überall gleichzeitig an den Pranger gestellt und bejubelt. Meistens formierte sich die Kritik am «Amerikanismus» in Europa auf konservativer, das Lob dagegen auf liberaler und linker Seite. Das gilt für die USA eher umgekehrt. Der tendenziell linke, schwarze Agitator Malcolm X fühlte sich als «Opfer des Amerikanismus», und auf der andern Seite weigerte sich das «Comittee on Un-American Activities» unter dem antikommunistischen Berufsamerikaner Joseph McCarthy zwischen 1950 und 1954 beharrlich, zu bestimmen, was «unamerikanisch» bzw. «amerikanisch» bedeutet. Fazit: «Antiamerikanismus» und «Amerikanismus» sind für analytische Zwecke, die weiter reichen als banale ideologische Zurechnungen im politischen Handgemenge, untauglich. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Rudolf Walther ist Historiker, freier Journalist für deutsche und Schweizer Zeitungen und Zeitschriften, wohnhaft in Bad Soden a.T. in der Nähe von Frankfurt.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
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17 Meinungen

  • am 14.10.2021 um 11:58 Uhr
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    Sehr geehrter Herr Walther. Ich möchte Ihnen ganz herzlich danken, dass Sie mir so viele Ergebnisse Ihres historischem Wissens und Ihrer umfassenden, unschätzbaren, sehr kritischen Denkarbeit gratis anbieten. In der Beschreibung Ihrer Tätigkeit werden Sie als Historiker und freier Journalist vorgesellt. Es ist klar, die Redaktion muss «objektiv», nicht wertend, einen Menschen beschreiben, der für uns Leser einen Beitrag geliefert hat. Ich möchte nun meinerseits sehr subjektiv und wertend, bei beiden Berufsbezeichnungen noch ein «hervorragend» anbringen. Ich lese sehr viel und kann mit meiner 76-jährigen Erfahrung einiges an Wissen und Beurteilungsvermögen vorweisen. Ich muss deshalb Ihre berufliche Tätigkeit – mit der vorhin erwähnten Ergänzug, aufgrund allein schon dieses einen Textes – erweitern: Sie sind auch noch ein Philosoph im wahrsten Sinne des Wortes: «Jemand, der nach Erkenntnis des Zusammenhangs der Dinge in der Welt strebt» (Duden 2020).
    Ich freue mich – und warte gespannt – auf Ihren nächsten informativen Text im «Infosperber». Die cleveren und aufmerksamen «Infosperber» halten seit 2011 im deutschsprachigen Raum dauernd Ausschau nach einer reichen «Beute»; sie haben Sie zum Glück rechtzeitig erspäht und Sie uns wissbegierigen Lesern mit Ihrer reichhaltigen Lebenserfahrung zum Begreifen und Verdauen vermittelt. Darum gilt auch ihnen mein verbindlicher Dank, denn was nützte mir ein noch so beschlagener Rudolf Walther, wenn ich keinen Text von ihm lesen könnte!!

  • am 14.10.2021 um 12:12 Uhr
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    Vielen Dank, Herr Walther, dass Sie diesen inhaltsleeren Kampfbegriff des Kalten Krieges so gründlich aufspießen. Der wichtige Unterschied von USA und Amerika wird schon im Leitspruch der Monroe-Doktrin, „Amerika den Amerikanern“ unterschlagen, Lateinamerika als bloßer „Hinterhof“ der USA betrachtet, was bestimmt nicht Ziel des Unabhängigkeitskampfes von europäischen Kolonialmächten war. Auch Kanada ist Amerika, es ist größer als USA. Bert Brecht wurde vor dem „Committee on Un-American Activities“ verhört, ein Tribunal gegen Staatsbedienstete, Journalisten, Künstler, Schauspieler, Musiker und Schriftsteller in der berüchtigten McCarthy-Ära. Erika Mann schrieb dazu: „McCarthy hat das anders gemacht als die Nazis. Man wurde gar nicht eingesperrt oder offiziell verboten, das gab’s ja gar nicht. Man wurde abgewürgt. Das war – ausnahmslos. Man konnte nicht mehr … – das FBI kam jede Woche einmal zum Verhör und im Übrigen konnte man nicht mehr auftreten.“ In Trainingsschulen wie die „School oft the Americas“ Fort Gulick in Panama wurden Lateinamerikaner militärisch ausgebildet, die Regime Changes und Invasionen im Interesse der USA unterstützten wie z.B. „Contras“ in Nicaragua. Der Begriff „Antiamerikanismus“ eignet sich, jegliche Kritik zu ersticken an einer Macht, der für ihre „nationale Sicherheit“ alle Mittel recht sind, Mord, Folter, Kriege, Einsatz von A,B und C-Waffen. Die „nationale Sicherheit“ anderer Staaten interessiert nicht.

  • am 14.10.2021 um 19:12 Uhr
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    «Antiamerikanismus» und «Amerikanismus» sind für analytische Zwecke, die weiter reichen als banale ideologische Zurechnungen im politischen Handgemenge, untauglich: Gilt dieses Fazit nicht auch für unzählige andere Etiketten, die viel versprechen aber nichts halten, wie beispielsweise «Kapitalismus» oder «Kommunismus»?

    • am 15.10.2021 um 10:13 Uhr
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      Sehr treffend bemerkt, Herr Keller!
      Gerade beim «Kapitalismus» dient die gewollte Unklarheit nur zu oft der Verteidigung von Auswüchsen.
      Gleiches gilt für «Sozialismus»: Für US-Amerikaner ist europäische Sozialdemokratie «socialism», implizit auch Gewerkschaften, Arbeitnehmerrechte, staatlich organisierte Alters- und Krankheitsvorsorge…
      Für einen deutschen CDU-/FDP-/AFD-Anhänger ist der stalinistisch geprägte Versuch einer Umsetzung des Begriffs in der ehemaligen DDR Inbegriff von Sozialismus.
      Selbst bei Linken ist das schwierig: Wagenknecht etwa entwirft ein Sozialismusmodell, das auf Marktwirtschaft aufbaut, verbunden mit strikter Bankenregulierung, keine nicht rückzahlbaren Staatssubventionen an die Wirtschaft, Aufhebung der Haftungsbeschränkung bei Privatunternehmen, Aufhebung von Patenten…
      Im Grunde geht es darum, plakative – positiv oder negativ konotierte – Kampfbegriffe bewusst im Unklaren zu lassen (wie auch «Impfgegner», «Grüne», «Linke», …), um diese diffus zu diffamieren oder auch zu glorifizieren.

  • am 15.10.2021 um 05:13 Uhr
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    Der Begriff des Antiamerikanismus ist mir während der Ära Bush junior in einer Schweizer Tageszeitung immer wieder begegnet. Der Falke an der Falkenstrasse hiess Hansrudolf Kamer und verwendete den Begriff in der NZZ inflationär. Das kann man mit einer Suchmaschine schnell nachprüfen und findet dann auch eine Schrift bei «NZZ Libor», bei der er als Herausgeber fungierte und die den zunehmenden Antiamerikanismus zu untersuchen verspricht.

  • am 15.10.2021 um 08:44 Uhr
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    Dieser Beitrag hat mich trotz des eher tranigen Inhalts wirklich gefreut, da ich mich schon lange mit dem Wesen des Antiamerikanismus auseinandersetze. Dieser macht die USA für jedes und alles Übel in der Welt verantwortlich. Amerikaner*innen verkörpern symbolhaft den gierigen, brutalen Kapitalismus, der die Welt zerstört. Jede Handlung, jeder (Fehl)tritt wird als Bestätigung dieser These gefeiert – dabei geht oft vergessen, dass diese in den USA selbst ebenso kontrovers und nachhaltig diskutiert werden.
    Die USA sind aus einer Revolution hervorgegangen – Versprechen von Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit begleiten seine Geschichte. Das ist weltweit historisch einmalig. Daran wird das Land wie kein anderes gemessen. Mit diesem idealistischen Fundament ist das Scheitern praktisch schon eingeplant. Ob die USA viel vermeidbares Unheil verursacht haben, darüber lässt sich wirklich streiten. Insgesamt hat die Pax Americana über die vergangenen 70plus Jahre recht gut gehalten – wenn man die früheren Kriege ohne Beteiligung der USA als Vergleichsmassstab beizieht. Und immerhin liessen die USA den Menschen die Freiheit, ohne Risiko Partei für Länder die Nordvietnam zu ergreifen, die in Sachen Freiheits- und Menschenrechte keine Musterknaben waren und sind. Menschen in Europa täten gut daran, sich an die Beteiligung der USA an der Befriedung des Westbalkans in den 90er-Jahren zu erinnern. Antiamerikanismus macht blind – er hilft, über die eigenen Versäumnisse hinwegzusehen.

    • am 16.10.2021 um 02:24 Uhr
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      Mein lieber Herr Pestalozzi: Sie haben offensichtlich Herrn Walthers Bericht nur überflogen. Die Predigten des charmantesten Lügners und zu Unrecht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten US-Präsidenten, Obama, waren doch Balsam für die Seelen der US-hörigen «Freiheitsgläubigen».
      Sie schreiben, dieses, aus einer Revolution hergegangene Land sei vom Vesprechen von Freiheit, Gleichheit etc. begleitet worden. Das ist wahr, das sind und waren grossartige, historisch einmalige Versprechen, genauso wie die historisch einmaligen der diese leeren Wortebegleiteten begleitenden Verbrechen. Die Ausrottung der Amerikaner, Indianer genannt? Ein Kollateralschaden? Der Sturz jeder demokratisch Regierung in Südamerika, begleitet vom Lobgesang der Freiheit: wirklich historisch! Noch nie etwas von dem durch die CIA und deren Helfershelfern in den Tod getriebenen gewählten chilen. Präsidenten Allende gehört mit der dazugehörenden Inthronisierung des brutalsten Diktators und Kommunistenmörders Pinochet? Das einzige, stets verschwiegene Ziel, die absolute Freiheit der US-Multis für die Ausbeutung der jeweiligen Bodenschätze! Und die von Ihnen bejubelte Pax Americana bestätigte zwar die Weltherrschaft der USA, aber diese war begleitet durch Millionen von Ermordeten ( 2-3 Mio Vietnamesen), welche sich der todbringenden US-Umklammerung widersetzten. Irak, Jemen, Afghanistan, und..:eine 70-jährige Erfolgsgeschichte! Einziger «Misserfolg»: die misslungene und oft versuchte Ermordung Castros!

      • am 16.10.2021 um 13:49 Uhr
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        Ich antworte hier vor allem, weil Lateinamerika eine so wichtige Rolle in ihrer Erwiderung spielt (Was die USA mit Jemen zu tun haben, entgeht mir offengestanden). Ich habe einige Jahre meines Lebens in Argentinien verbracht, einem Land, das in mancher Hinsicht mit den USA vergleichbar sind (insbesondere Masseneinwanderung aus Europa und starke, willentliche Verstrickung mit der Weltwirtschaft). Argentinien schaffte es trotz hervorragenden Voraussetzung nie, eine nachhaltige Stabilität zu erreichen, geschweige denn, einen wie auch immer gelagerten «Argentinismus» in die Welt zu exportieren (wenn wir den Internationalisten Che Guevara mal ausklammern). Lateinamerika verpasst Chance um Chance. Der Grund ist nicht der zersetzende Einfluss der USA sondern innere Zerrissenheit, das Erbe des (oft rassistisch gefärbten) Feudalismus und ein zwiespältiges Verhältnis zur Industrialisierung. Auch die Spanier bauten in Lateinamerika schon Ressourcen ab, ein Besuch des Cerro Rico in Potosí, Bolivien, legt darüber ein beredtes Zeugnis ab. Mehr als für alle anderen Länder gilt für jene Lateinamerikas: Antiamerikanismus macht blind.

      • am 17.10.2021 um 09:59 Uhr
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        @ Herren Pestalozzi und Gygli
        Die Frage „Warum hassen sie uns“ zu 9 /11 ist schnell beantwortet, auf allen Kontinenten trieben und treiben die USA und ihre „Dienste“ Einmischungspolitik bis hin zum Angriffskrieg, zynisch bezeichnet als „preemptive war“. Was Lateinamerika betrifft, rate ich Ihnen sich zu folgenden Ländern besser zu informieren: Guatemala, Costa Rica, Haiti, Ecuador, Brasilien, Peru, Dominikanische Republik, Cuba, Uruguay, Chile, Bolivien, Jamaica, Grenada,Surinam, Nicaragua, Panama, El Salvador (einziges Land, das in seinem Namen an Jesus erinnert), Argentinien, Venezuela. Es ist mir ein Rätsel, wie man seine Augen so verschließen kann, dass all das, was diesen Ländern und vor allem ihren Bewohnern angetan wird und wurde.

      • am 17.10.2021 um 10:13 Uhr
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        Herr Pestalozzi, ob Sie jetzt auf Europa oder auf die USA schauen, scheint mir sozusagen gehupft wie gesprungen. Die vier Glaubenssätze der sogenannt «westlichen Kultur», die zur Zerstörung der Welt führt, lauten: 1. Ich bin des andern Feind. 2. Ausbeutung ist der Kern unseres Wesens. 3. Die Wirklichkeit ist unbelebt. 4. Es gilt unbedingt, den eigenen Tod zu vermeiden. – Die andere Botschaft, die ich beispielsweise von Corona vernehme, lautet: Schafft Euch gegenseitig Raum zum Leben! Lebensraum meint beispeilsweise: Entwicklung, Ruhe, Geborgenheit, Geduld, Heimat, Kooperation, Teilen, Vertrauen, Wachsen und Sterben lassen. Und mit «auf Gegenseitigkeit» sind nach dem Prinzip «Ich bin, weil Du bist» nicht nur alle andern Menschen, sondern auch die Tierwelt und die Natur gemeint. Alles hat Innerlichkeit. Es gilt, die Welt gemeinsam und kokreativ fruchtbar zu halten!

    • am 16.10.2021 um 07:37 Uhr
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      Eine Glorifizierung der Rolle und Geschichte der USA ist mindestens ebenso fehl am Platz wie eine Verteufelung. Die Wahrheit liegt wie meist in der Mitte, Herr Pestalozzi.
      Man kann durchaus spekulieren, dass die Besiedlung der leeren (bzw. leer geräumten, v.a. durch biologische Kriegsführung gegen Indianer) weiten Flächen mit den Strukturen eines autoritären Staates gar nicht zu bewältigen gewesen wäre. Die Engländer hatten das ja versucht, mussten aber erfahren, dass das nicht dauerhaft leistbar war. Die Freiheitsrechte waren also auch das Ergebnis eines pragmatischen Realismus.
      Darüber hinaus haben die USA nie gezögert, ihre wirtschaftlichen Interessen weltweit militärisch durchzusetzen (bzw. das zu versuchen, mit wechselndem «Erfolg»).
      Man kann durchaus davon ausgehen, dass der weltweite radikale Islamismus ein direktes Ergebnis amerikanischer (und britischer) Interessenpolitik ist.
      Und die «Befriedung» des Westbalkans war wohl eher ein Löschversuch von Pyromanen.

  • am 16.10.2021 um 10:43 Uhr
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    Alles Amerika?
    Und nur die wenigen Querköpfe, die so grossartig und mit viel Wissen beschreiben, wie das urBöse, Machtbesessene und Gierige aus uns selber hinaus, das Oben und Unten zementieren. Wenn die Möglichkeiten es zulassen, immer perverser ausbauen?
    Erst recht und vor allem, so lange Mensch sich ‹oben› wähnt, auf der privilegierten Seite der Menschheit profitiert vom Leid der Ausgebeuteten (Menschen und Erde) und Geschundenen.
    Die USA hat so manchen Drecksjob gemacht, damit wir weiterhin in Ruhe und Sms und Braus leben konnten.
    Vielen Dank dem Historiker Herr Walther, dem Sperber, der sowas bringt und den alten Hasen&Häsinnen, die mit klugen Kommentaren die geschichtliche Analyse bereichern.
    Wäre sehr gespannt, wie der Journalist Herr Walther den aktuellen globalen Resettismus geografisch ansiedelt. Jetzt, wo wir alle zu Indianern (ohne Anführungszeichen), ‹Negern›, Unterjochten mit psychologischer SalamiKriegsTaktik gemacht werden.
    Da wo die Linken so solidarisch mit den Finanz-, Konzern- und Polit-Establishments zusammen spannen und niemand mehr weiss, was links oder rechts, anti & pro, unten und oben ist?
    Durcheinander und Konfusion nicht nur in der Sprache, sondern in unseren Köpfen, Herzen und Seelen, so dass auch Unmögliches, Undenkbares wieder möglich wird.
    anti-Amerikanisch, anti-fa, anti-immun,
    der Wahnsinn gegen uns selbst ist inzwischen Salon-fähig geworden, Transhuman, Transgender,
    Tran-dy ist angesagt.

  • am 16.10.2021 um 22:18 Uhr
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    Eigentlich könnte man den sogenannten Antiamerikanismus auch von einer ganz anderen Seite betrachten. Die USA sind das wichtigste Land der Anglosphäre und müssen nun halt für diese den Kopf hinhalten. Die ganze Anglosphäre hat in den letzten 300 Jahren einiges richtiger gemacht als zum Beispiel die Länder Kontinentaleuropas. Die Industrialisierung hat ihren Anfang nun mal in England genommen und die ersten industrialisierten Länder waren England mit seiner grössten Kolonie in Nordamerika. Man vergleiche auch die amerikanische Revolution mit der Frankreichs oder Russlands oder versuche mal zu erklären, warum nur noch die angelsächsischen Länder – Neuseeland, Australien, Kanada, Grossbritannien und die USA – die Welt von Faschismus und Nationalsozialismus befreien konnten. Sie wird ihnen diese Befreiung nie verzeihen. Die Ressentiments werden auch nicht weniger, wenn der Versuch, Europa eine weltenrettende Grossmacht werden zu lassen, in der Lächerlichkeit endet. So gesehen ist der ganze Antiamerikanismus nichts anderes als ein Haufen von ressentimentgeladenem Neid und Verachtung für diejenigen, die nur schon einzuholen man nicht in der Lage ist, geschweige denn zu überholen.

    • Portrait_Josef_Hunkeler
      am 17.10.2021 um 10:07 Uhr
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      Herr Gygli, gab es da nicht auch noch in paar Russen, Senegalesen, Marokaner, Algerier, Tunesier …

      In Tabarka erzählte mir ein Tunesier, wie er in einem deutschen Kriegsgefangenenlager deutsch gelernt hatte, «Raus, raus… Katoffelen…». Die Friedhöfe in Alexandrien beherbegen ehemalige Kämpfer gegen den Nationalsozialismus und Faschismus aus wohl den meisten Ländern der Welt. Quasi eine Vorwegnahme der UNO im Kampf gegen die Zentralmächte…

  • am 18.10.2021 um 20:29 Uhr
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    Sehr anregend wäre eine vergleichende Analyse zur Wortschöpfung und zum Einsatz bei der Meinungsbildung beim Wort «Russophobie». Ein Transparentwerden von Kampfbegriffen kann nur hilfreich sein, wenn man sie aus der Polemik herausschält.

  • am 22.10.2021 um 15:02 Uhr
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    Und hier noch ein Bezug Antiamerikanismus/Antisemitismus: letzterer wird auch als Kampfbegriff missbraucht gegen berechtigte Kritik an der Besatzungspolitik Israels. Das ist umso widerlicher, weil es den Antisemitismus wirklich gab und gibt. Er war und ist nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa allgegenwärtig. Er brachte den Nazis offenen, aber auch versteckten Applaus ein, von den Faschisten in Spanien, einem grossen Teil der Franzosen, vielen Schweizern etc. etc., er führte zum Massenmord an Millionen und schwelt noch immer, hat aber eben absolut nichts zu tun mit dem, was berechtigte Israelkritik im Sinn hat. Am einfachsten illustriert das wohl einer der grössten (noch) lebenden Intellektuellen, nämlich Noam Chomsky, dem «man» gerne sowohl Antiamerikanismus als auch Antisemitismus vorwerfen würde, wäre er nicht Amerikaner und Jude. Interessant wäre eine Untersuchung, wer hier «man» ist. Wer es wagt, da konkret zu werden, ist schnell ein «Verschwörungstheoretiker». – Womit wir dann bereits bei der nächsten Propagandawortgranate wären.

  • am 23.10.2021 um 06:56 Uhr
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    Guten Morgen, Herr Wacek,
    ja treffender kann man diese beiden Begriffe und deren dauernden Missbrauch durch die Regierenden in den den Vereinigten Staaten und Israel nicht mehr beschreiben. Leider werden diese Tatsachen in den «gewöhnlichen» Medien nie erwähnt. Und damit landen wir wieder bei der Frage der Macht und der damit verbundenen Deutungshoheit und Dauer-Desinformation von denjenigen, welche die Wahrheit ebenso fürchten – mit Recht – «wie der Teufel das Weihwasser».
    Aber eben, diese «Dauer-Fake-News-Produktionsrealitäten» sind nicht neu, es gibt sie bereits seit einzelne Menschen oder Interessengruppen, die in ihrem Einflussbereich effektiv an den Schalthebeln der politischen oder religiösen Machtstrukturen stehen und bestimmen können, was «man» als «wahr» zu glauben hat, indem sie die Uneingeweihten resp. nicht-profitierenden «Gläubigen» sehr geschickt an der Nase herumführen; mir scheint auch, dass es damit zusammenhängt, dass der normale, ehrlich denkende Mensch, sich einfach nicht vorstellen kann, dass es Menschen gibt, die wirklich alle Lügen, Gemeinheiten, Tricks rücksichtslos anwenden und zusammen mit zu vielen Helfershelfern auch wirklich ohne Gewissensbisse – das weis ja ausser ihnen niemand – einsetzen und Macht, Geld und Ansehen geniessen. Aber eben, zum Glück müssen auch diese Typen eines Tages für immer verreisen und überhaupt nichts können mitnehmen im Sinne von «Das letzte Hemd hat keine Taschen.»
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