Kommentar

kontertext: Auf der Suche nach einer neuen Kommunikationskultur

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Rechthaberei und Schuldzuweisungen dominieren die politische Debatte

Die Corona-Krise hat alle anstehenden gesellschaftlichen Probleme wie in einem Brennglas vergrössert; sie können nicht mehr verdrängt werden. Die meisten von ihnen bestehen seit Langem, wurden aber durch die Pandemie noch verstärkt. Das gilt im besonderen Mass für die seit zwanzig Jahren angestiegene soziale Ungleichheit und die damit verbundene wachsende Armut. Deutlich hervor traten die Widersprüche eines stetig steigenden wirtschaftlichen Wachstums, das zu massiven Umweltschäden führte, die jetzt das Klima für alle bedrohen. Damit verbunden auch die ständigen Anreize, zu kaufen und zu konsumieren. Waren werden mittlerweile über die ganze Welt verschoben, die Reisemobilität hat enorm zugenommen; eine bedenkenlose Spassgesellschaft kümmert sich nicht um die Folgen. 

Und nicht zuletzt hat sich die Kommunikation zwischen den Menschen mit der fortschreitenden Digitalisierung stark verändert. Der Zugang zu Informationen ist beinahe grenzenlos, Nachrichten und  Neuigkeiten prasseln ständig auf uns ein. Natürlich wird die Menge an Wissen vergrössert, gleichzeitig aber wird viel Unsinn verbreitet. Und im Sekundentakt kann jeder überall digital seine Meinung schreiben. Das tun auch ungefragt Politiker aller Couleur, und Despoten verbreiten über die sozialen Medien schamlos Lügen und bösartige Beschimpfungen. Hemmungen werden beiseitegeschoben.  

Recht hat, wer grob und unverfroren ist

In der Corona-Krise hat sich das wiederum verschärft, weil sich die Menschen weit weniger von Angesicht zu Angesicht begegnen. Was am Anfang der Pandemie noch nach gegenseitiger Fürsorglichkeit und Solidarität klangtönte,  hat sich in sein Gegenteil verkehrt.

Da geraten Menschen sowohl im politischen als auch im privaten Umfeld aneinander. Gegenseitig wirft man sich falsches Verhalten, Dummheit, Rücksichtslosigkeit, Anmassung und Egoismus vor. Die Medien werden von allen Seiten her beschimpft. Natürlich trifft es stellvertretend für sämtliche Medien den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am heftigsten.

Kein Wunder, dass sich die SRG mit dieser ungemütlichen Situation auseinandersetzen muss.

Zeichen dafür ist die neueste Ausgabe des von der SRG publizierten Magazins «link».

Das Symbolbild des Magazins ist treffend gewählt: Zwei Vögel mit aufgerissenen Schnäbeln beschimpfen sich heftig. In den verschiedenen Beiträgen geht es vor allem um Meinung. Da wird zum Beispiel etwas überheblich erläutert, was eine Meinung sei und was ihre psychologischen Hintergründe. Schliesslich die Fragen: Wer darf eine Meinung haben, wer darf eine Meinung äussern? Dürfen Journalisten überhaupt eine Meinung haben? 

Der Leser kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da weitgehend um den heissen Brei herumgeredet wird. Die Hauptaufgabe der Medien besteht nicht in ersten Linie in der Verbreitung von Meinungen, sondern in der Vermittlung von Neuigkeiten – von Informationen, aber auch von Unterhaltung oder von Nachrichten und nicht zuletzt von wichtigen neuen Erkenntnissen auf unterschiedlichem Gebiet. In mühsamer  Knochenarbeit tragen Journalistinnen und Journalisten  verschiedene Fakten zusammen und versuchen möglichst nahe an die Wahrheit zu kommen. Das ist die Grundlage, auf der das Vertrauen in die Medien aufgebaut wird. Und natürlich gehören die Meinungen zu den Fakten. Hier taucht dann allenfalls eine andere Frage auf: Wer hat die Möglichkeit, seine Meinung zu sagen? Wer kann sie mehrfach – ja millionenfach – verbreiten? Jene, die Geld, Macht und die nötigen Mittel dazu haben? Jene, die die Medien indirekt finanzieren und sie als Werbefläche nutzen? Sind die Medienschaffenden tatsächlich unabhängig? Auch das muss hinterfragt und beleuchtet oder zumindest transparent gemacht werden. Aber selbstverständlich gehört die persönliche Meinung von Journalistinnen und Journalisten dazu. Neutralität und sogenannte Objektivität kann es gar nicht geben. Doch die persönliche Meinung ist in jedem Falle zweitrangig, wenn Journalistinnen und Journalisten ihre zentrale Aufgabe ernst nehmen und ernst genommen werden wollen. 

Was bedeutet Unabhängigkeit?

Den Medien wird eine spezielle Rolle in der Demokratie zugebilligt und damit auch eine spezielle Medienfreiheit. Das gilt besonders für die öffentlich-rechtlichen Medien, denn ihre Mitarbeiter verfügen über die Macht, das Wort zu erteilen, die Informationen auszuwählen oder auch beiseitezuschieben, sie tragen also auch eine grosse demokratische Verantwortung, und diese muss eingefordert werden. Gleichzeitig sind Journalistinnen und Journalisten von allen Seiten umworben, aber auch gefährdet, missbraucht zu werden – zum Beispiel für politische Propaganda. Glaubwürdigkeit muss sich also immer neu bewähren, das gilt nicht nur für die Medienschaffenden, sondern auch für die Medienunternehmen – für die Verlage und Rundfunkanstalten, die immer stärker von der Werbung abhängig werden. Und das gilt nicht zuletzt für die SRG.  Das Publikum trägt schon lange nicht mehr die Kosten für den grossen Aufwand. Mehr und mehr wurde auch für die öffentlich-rechtlichen Medien Werbung zur Finanzierung herbeigezogen. Und das ist die Achillesferse der Unabhängigkeit. 

Es ist deshalb nachvollziehbar, dass sich auch Radio und Fernsehen auf der Jagd nach Einschaltquoten – dem Warenwert für die Werbung! – befinden. Man versucht eine vermutete (oder imagierte) Sensationslust des Publikums zu befriedigen. Das geht meistens auf Kosten der Seriosität, weil es nicht ohne versimplifizierende Vereinfachungen und populistische Zuspitzungen geht. Persönliches – oder gar Privates – wird in den Vordergrund geschoben, Inhalte verschwinden dahinter. Bei wichtigen Debatten wird lieber polarisiert, anstatt möglichst alle relevanten Meinungen zu berücksichtigen. Deftige Angriffe sind willkommen und machen die Sache erst prickelig. 

Ein verdrehtes Beispiel

Das war genau so angelegt bei einer Forum-Sendung auf SRF 1 unmittelbar nach der Abstimmung zum CO2-Gesetz.

Die Schuld am Scheitern der Vorlage war von den Verantwortlichen für diese Sendung bald ausgemacht: der Stadt-Land-Graben. Dementsprechend war auch der Werbespot im Vorfeld der Ausstrahlung aufgemacht: Zwei Kontrahenten – die Luzerner SVP-Kantonsrätin Vroni Thalmann und der Co-Präsident der Grünen des Kantons Zürich, Simon Meyer – fassten ihre Haltung je in einem Satz zusammen. Thalmann: Die Städter wollen alles gratis haben! und Meyer auf der andern Seite: Die auf dem Land sind gegen den Fortschritt! Das Kampffeld für das Publikum, das mitdiskutieren sollte, war abgesteckt, und es kam, wie es kommen musste: Die Debatte verlief genau auf diesem Niveau. Die meisten ländlichen Kommentare waren voller Ressentiments gegen Städter, die sich rücksichtslos benehmen und ihre Abfälle herumliegen lassen. Auf der Gegenseite waren die Vorurteile von Städtern nicht geringer und oft von Überheblichkeit geprägt. Absurderweise stellten sich die Gewinner der Abstimmung als Opfer dar. Und schon lange ging es nicht mehr um die Inhalte der Abstimmung, es gab keine ernsthafte Auseinandersetzung um Lösungsansätze bei der Klimakrise. 

Bescheidenes Fazit

Zurück zur Selbstverteidigung der SRG gegen die vermehrten Vorwürfe und Klagen von Zuhörerinnen und Zuschauern. Auch wenn man sich etwas mehr Selbstkritik gewünscht hätte, ist es in jedem Falle ein mutiger Schritt, sich ernsthaft und öffentlich damit auseinanderzusetzen.  Und es wäre völlig abwegig, «die Medien» oder den öffentlichen Rundfunk für das bedenkliche Niveau mancher öffentlichen Debatten verantwortlich zu machen. Denn auch in den Medien bildet sich bloss eine allgemeine Entwicklung ab, die in den letzten Jahren stattgefunden hat und zu der wohl alle ihre Schuld beitrugen. Es  war die Sorglosigkeit, mit der man der zunehmenden Verschluderung der Sprache begegnete und die ständige Verletzung von Anstand und Respekt einfach als gegeben hinnahm. Das kann nicht gut gehen. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).
 
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Georg Geiger, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 20.07.2021 um 17:09 Uhr
    Permalink

    Bei Linda Stiblers Situationsanalyse stimmt jeder Satz. Ihre Fragen treffen ins Schwarze.
    Aber ihr Optimismus lässt sie den Kopf in den Sand von Hoffnungen stecken, die längst gestorben sind.

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