Israels Militär-Zensur kontrolliert ausländische Medienberichte
«Das Büro von CNN in Jerusalem hat lange Zeit alle Berichte über Israel und Palästina geprüft. Jetzt trägt es dazu bei, die Berichterstattung des Senders über den Krieg zu gestalten». Dies behauptet der Reporter und investigative Journalist Daniel Boguslaw in einem Beitrag auf der unabhängigen News-Plattform The Intercept vom 4. Januar 2024.
Die Policy von CNN, alle Arbeiten seiner Journalistinnen und Journalisten zu Israel und Palästina vor der Veröffentlichung durch das Büro in Jerusalem prüfen zu lassen, gilt zwar schon seit langem, hat aber seit dem Massaker vom 7. Oktober und dem darauffolgenden Krieg Israels gegen die fundamentalistische Terrororganisation Hamas eine neue Dimension erreicht. «Ein Grossteil der jüngsten Berichterstattung des Senders [CNN] über den Krieg in Gaza und dessen Auswirkungen auf die ganze Welt [wird] von Journalistinnen und Journalisten geprägt, die im Schatten der Militärzensur des Landes arbeiten», führt Boguslaw aus.
Informationskrieg
Red. Seit dem Terrorangriff und den Geiselnahmen der Hamas will Israel im Gazastreifen die Hamas mit einem Krieg von jeglicher Macht entfernen. Als «Kollateralschaden» kamen bisher nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde über 22’000 Menschen in Gaza um, darunter ein grosser Teil Kinder, Minderjährige und Frauen.
Wie in jedem Krieg herrscht auch ein Informationskrieg, bei dem es um verwendete Begriffe, die Darstellung militärischer Erfolge, Opfer und Schwerverletzte, das Schicksal von Zivilpersonen oder um die nach aussen deklarierten militärischen Ziele geht. Informationen der autoritär regierenden Hamas stiessen schon immer auf berechtigte Skepsis und jetzt recht. Seit sich das demokratische Israel im Kriegszustand befindet, versuchen das dortige Militär und die dortige Regierung die Informationen ebenfalls zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Journalistische Kriegsberichterstatter sind von Informationen rasch abgeschnitten, wenn sie die Erzählung von Militär und Regierung kritisch hinterfragen oder unerwünschte Quellen zitieren.
Dieser Beitrag zeigt die Praxis des grossen TV-Senders CNN.
Wie alle ausländischen Nachrichtenorganisationen, die in Israel tätig sind, unterliegt auch das Jerusalemer Büro von CNN den Regeln der Zensurbehörde der israelischen Streitkräfte (Israel Defense Forces IDF). Diese schreibt vor, über welche Themen News-Plattformen nicht berichten dürfen. Sie zensiert Artikel oder TV-Beiträge, die sie für ungeeignet oder unsicher hält.
Wie The Intercept im Dezember berichtete, hat die Militärzensur seit Beginn des Krieges in Gaza acht Themen eingeschränkt, darunter Sitzungen des Kriegskabinetts, Informationen über Geiseln und Berichte über Waffen, die von israelischen Soldatinnen und Soldaten in Gaza erbeutet wurden. «Um einen Presseausweis in Israel zu erhalten, müssen ausländische Reporter ein Dokument unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, sich dem Diktat der Zensur zu beugen», schreibt Boguslaw.
Einfluss der Militärzensur auf die Berichterstattung
Die Praxis von CNN, die Berichterstattung durch das Jerusalemer Büro vor der Weiterleitung prüfen zu lassen, bedeutet zwar nicht, dass die Militärzensur jeden Bericht direkt überprüft. Dennoch steht diese Politik im Gegensatz zu anderen grossen Nachrichtensendern, die in der Vergangenheit sensible Berichte durch Büros ausserhalb Israels prüfen liessen, um dem Druck der Zensur zu entgehen. Zusätzlich zu den offiziellen und unausgesprochenen Regeln für die Berichterstattung aus Israel hat CNN vor kurzem Richtlinien für seine Mitarbeiter herausgegeben, in denen festgelegt ist, welche Sprache bei der Berichterstattung über die Gewalt im Gazastreifen zu verwenden und welche zu vermeiden ist.
«Die Praxis, Beiträge über Israel oder die Palästinenser dem Jerusalemer Büro mitzuteilen, gibt es schon seit Jahren», sagte ein CNN-Sprecher in einer E-Mail an The Intercept. «Es liegt einfach an der Tatsache, dass es viele einzigartige und komplexe lokale Nuancen gibt, die eine zusätzliche Prüfung rechtfertigen, um sicherzustellen, dass unsere Berichterstattung so präzise und genau wie möglich ist.»
Der Sprecher von CNN fügte hinzu, dass das Protokoll «keine Auswirkungen auf unsere (minimalen) Interaktionen mit der israelischen Militärzensur hat – und wir geben keine Texte im Voraus an sie (oder andere Regierungsstellen) weiter. Wir holen vor der Veröffentlichung von Berichten Kommentare von israelischen und anderen relevanten Beamten ein, aber das ist einfach gute journalistische Praxis».
Ein CNN-Mitarbeiter, der aus Angst vor beruflichen Repressalien anonym mit The Intercept sprach, meinte aber, dass die interne Überprüfungspolitik einen nachweisbaren Einfluss auf die Berichterstattung über den Gaza-Krieg gehabt habe. «Jede einzelne israelisch-palästinensische Berichterstattung muss vom [Jerusalemer] Büro genehmigt werden – oder, wenn das Büro nicht besetzt ist, von einigen wenigen Auserwählten, die vom Büro und der Geschäftsleitung handverlesen werden –, von denen die Zeilen meist mit einer sehr spezifischen Nuance bearbeitet werden, die israelische Perspektiven begünstigt», so der anonyme CNN-Mitarbeiter.
Vorauseilender Gehorsam von CNN
Zwischen dem israelischen Verteidigungsministerium und der in- und ausländischen Presse besteht seit langem eine Vereinbarung. Sie zwingt die Journalistinnen und Journalisten dazu, ihre Berichterstattung häufig selbst zu zensieren, weil sie befürchten, mit verbotenen Themen in Konflikt zu geraten, ihre Presseausweise zu verlieren und möglicherweise gezwungen zu sein, sich öffentlich zu entschuldigen.
CNN habe sich wie andere amerikanische Sender wiederholt bereit erklärt, in Gaza aufgenommenes Filmmaterial vor der Ausstrahlung der Militärzensur zu unterwerfen, um im Gegenzug begrenzten Zugang zum Gazastreifen zu erhalten. Kritiker monieren, dass sich dadurch ein von der Militärzensur gefilterter Blick auf die Ereignisse vor Ort ergebe und eine nuancierte Berichterstattung verunmöglicht werde.
«Wenn man ein Protokoll hat, das alle Berichte durch einen Kontrollpunkt leitet, ist man an Kontrolle interessiert, und die Frage ist, wer die Berichte kontrolliert», sagte Jim Naureckas, Redaktor der Watchdog-Gruppe Fairness and Accuracy In Reporting, gegenüber The Intercept. Das CNN-Team in Jerusalem bestehe aus «Leuten, die der israelischen Regierung am nächsten stehen», fügte Naureckas hinzu.
Mit Anspielung auf die Proteste gegen die Justizreform meinte Naureckas: «Wenn eine Regierung glaubhaft beschuldigt wird, Journalisten für gewalttätige Angriffe auszusuchen, um Informationen zu unterdrücken, ist es beunruhigend, dieser Regierung eine grössere Rolle bei der Entscheidung zu geben, was Nachrichten sind und was nicht».
CNN hat seine Stellung und den autorisierten Zugang zu Gaza genutzt, um Rohmaterial über das menschliche Leid im Gazastreifen zu erhalten. Zugleich aber übermittelte der Sender Informationen, die direkt vom israelischen Militär oder so genannten «eingebetteten» Reportern stammten, die an der Seite israelischer Soldatinnen und Soldaten in Gaza stehen.
Zu Beginn des Krieges, am 26. Oktober, schickte die CNN-Abteilung für Nachrichtenstandards und Praktiken der Berichterstattung eine E-Mail an die Mitarbeitenden, in der sie darlegte, wie diese über den Krieg schreiben sollten. Die Sprachregelung beinhaltet etwa, dass die «Hamas die Regierung in Gaza kontrolliere», dass das Gesundheitsministerium «Hamas-kontrolliert» sei, wenn es um Opferstatistiken oder andere Behauptungen von palästinensischer Seite gehe. «Wenn die zugrundeliegenden Statistiken vom Gesundheitsministerium in Gaza stammen, sollten wir diese Tatsache erwähnen und darauf hinweisen, dass dieser Teil des Ministeriums von der Hamas kontrolliert wird, auch wenn die Statistiken des Ministeriums vom Westjordanland oder anderswo veröffentlicht werden», heisst es etwa in besagter E-Mail.
Das israelische Verteidigungsministerium schreibt mit
In einer separaten Anweisung vom 2. November warnte David Lindsey, Senior Director of News Standards and Practices (CNN-Abteilung) ihre und andere Reporter vor der Weitergabe von Aussagen der Hamas. «Während der Krieg zwischen Israel und Gaza weitergeht, betreiben Hamas-Vertreter hetzerische Rhetorik und Propaganda. Das meiste davon wurde schon oft gesagt und ist nicht berichtenswert. Wir sollten uns davor hüten, ihnen eine Plattform zu bieten». Er fügte jedoch hinzu: «Wenn ein hochrangiger Hamas-Vertreter eine Behauptung oder Drohung macht, die redaktionell relevant ist, wie etwa eine Änderung ihrer Erzählung oder der Versuch, die Ereignisse umzuschreiben, können wir sie verwenden, wenn sie von einem grösseren Kontext begleitet wird.»
Diese Richtlinie ist den Anweisungen der CNN ähnlich, die zu Beginn des Afghanistankrieges 2001 erlassen wurden, wozu auch gehörte, den Tod von Zivilisten herunterzuspielen und den Anlass des Krieges – die Anschläge vom 11. September 2001 – immer wieder in Erinnerung zu rufen. Analog werden die Reporter von CNN auch im aktuellen Krieg in Gaza angehalten, zurückhaltend über den Tod von Zivilisten zu berichten und immer wieder auf das Massaker der Hamas vom 7. Oktober als Ursache des Krieges hinzuweisen.
Kurz nach dem Massaker der Hamas engagierte die CNN für die Berichterstattung eine ehemalige Soldatin des israelischen Militärs, Tamar Michaelis. Schon zehn Tage nach dem Anschlag der Hamas tauchte ihr Name in Berichten der CNN über Gaza auf. Mindestens in einem Fall übernahm sie eine direkte Erklärung des israelischen Verteidigungsministeriums, ohne dass sie diese als solche kennzeichnete.
Michaelis war in den Israel Defense Forces IDF für «positive PR im In- und Ausland» zuständig.
Sprachregelungen
Laut einer von The Intercept eingesehenen E-Mail hat CNN im Sommer – als die höchst umstrittene Überarbeitung des israelischen Justizsystems das israelische Parlament passierte – sein Prüfungsteam um eine Handvoll Redakteure ausserhalb Israels erweitert. In einer E-Mail vom Juli an die CNN-Mitarbeiter schrieb der Leiter des Jerusalemer Büros, Richard Greene, dass diese stärkere Kontrolle ausserhalb Israels sei nötig, «weil alles, was wir über Israel oder die Palästinenser schreiben oder senden, von Parteigängern auf allen Seiten kritisch beäugt wird. Das Jerusalemer Büro soll ein Sicherheitsnetz sein, damit wir keine ungenauen Ausdrücke oder Wörter verwenden, die vielleicht unparteiisch klingen, hier aber eine verschlüsselte Bedeutung haben können».
«Aber weil das Protokoll den Veröffentlichungsprozess verlangsamen könnte», schrieb Greene, «haben wir […] das Jerusalem SecondEyes Alias geschaffen!», was sich auf die Militärzensur durch die IDF bezieht. Der CNN-Sprecher erklärte gegenüber The Intercept, dass das Jerusalem SecondEyes «geschaffen wurde, um diesen Prozess so schnell wie möglich zu gestalten und um mehr Experten zu haben, die den Prozess begleiten…»
Der Sprecher antwortete nicht auf die Frage, ob CNN einen ähnlichen Überprüfungsprozess für andere Sendegebiete eingerichtet hat.
Der anonyme CNN-Mitarbeiter beschrieb, wie diese Politik in der Praxis funktioniert: «‹Kriegsverbrechen› und ‹Völkermord› sind Tabuwörter, Israelische Bombenangriffe in Gaza werden als ‹Explosionen› gemeldet, die niemandem zugeschrieben werden, bis das israelische Militär die Verantwortung entweder anerkennt oder abstreitet. Zitate und Informationen, die von israelischen Armee- und Regierungsbeamten stammen, werden in der Regel schnell genehmigt, während die von Palästinenserinnen und Palästinensern stark hinterfragt und langsam bearbeitet werden.»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Es gibt bei der Berichterstattung in oder aus Israel gewissen Einschränkungen, aber trotzdem findet man umfangreiche Informationen zu jedem Thema, auch negative Aussagen über die Mitglieder des Kriegskabinetts, insbesondere über Netanjahu, sind täglich zu lesen. Die IDF informiert regelmässig über die eigenen Tätigkeiten, auch über eigenen Verluste. Demgegenüber steht die Propagandaveranstaltung in Gaza, vor allem portiert durch Al-Jazeera und seine ‹Journalisten›, welche im Westen gerne unkritisch wieder gegeben werden.
Man wird das Gefühl nicht los, dass man im Westen in einer ‹verkehrten Welt› lebt und dessen angebliche Werte, gar keine (mehr) sind, sondern er einfach orwellisch verwirrt ist.