Inseratenaffäre: Sebastian Kurz wurde auffallend oft erwähnt
Hat die frühere österreichische Regierung Medien geschmiert? Seit 2021 ermittelt die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in dieser Sache gegen den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und weitere Personen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Fribourg und Wien liefern nun Indizien, die den Verdacht erhärten. Dazu durchforsteten sie maschinell rund 223’000 Artikel, die zwischen 2012 und Herbst 2021 in 17 österreichischen Medien erschienen sind.
Österreichs Regierung platziert in österreichischen Medien Inserate und zahlt dafür jährlich durchschnittlich 17 Millionen Euro. In der Corona-Pandemie kaufte sie 2020 sogar Inserate für über 30 Millionen Euro.
Inserate im Wert von über einer Million Euro
Im Frühling 2021 bekam die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mehr als 300’000 Chat-Nachrichten eines Vertrauten des früheren österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz.
Aus den Chats ging hervor, dass das österreichische Finanzministerium von 2016 bis mindestens 2019 «ausschliesslich parteipolitisch motivierte, mitunter manipulierte Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens» im Interesse der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und ihrer Spitzenfunktionäre finanzierte. So stand es in einer Medienmitteilung der Staatsanwaltschaft vom Oktober 2021. Die Umfrageergebnisse seien in der Boulevardzeitung «OE24» im redaktionellen Teil veröffentlicht worden.
Im Gegenzug – so der Verdacht – bezahlte das von der ÖVP kontrollierte österreichische Finanzministerium «OE24» Inserate im Wert von über 1,1 Millionen Euro. 2024 leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den früheren Vizekanzler Heinz-Christian Strache und einen Medienunternehmer ein. Die Verdächtigten wiesen die Vorwürfe zurück.
Kurz wurde bei «OE24.at» ab 2016 fast doppelt so oft erwähnt
Die Wissenschaftler in Fribourg und Wien verglichen nun die Trends: Wie oft wurden Sebastian Kurz und sein ÖVP-Parteikollege Reinhold Mitterlehner von 2012 bis Ende Oktober 2021 in 17 österreichischen Medien erwähnt und wie oft war dies bei den Parteispitzen der SPÖ sowie dem FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache der Fall?
Dabei zeigte sich ein «statistisch hochsignifikantes» Muster: Die Anzahl der Textabsätze, in denen Sebastian Kurz bei «OE24.at» erwähnt wurde, verdoppelte sich ab 2016 nahezu, im Vergleich zu den Trends in einer Vergleichsgruppe von Medien, die nicht in die Inseratenaffäre verwickelt waren. 2016 war das Jahr, in dem die Gegengeschäfte mit «OE24» mutmasslich begannen. Von 2012 bis 2015 dagegen war kein Unterschied zu den Trends in der Berichterstattung anderer Medien erkennbar.
«OE24» ist die drittgrösste Boulevard-Zeitung Österreichs. Inserate-Einnahmen seien ihre Haupteinnahmequelle, schreiben die Wissenschaftler in «The International Journal of Press/Politics». In der Schweiz berichteten bisher einzig die «Freiburger Nachrichten» über die Studie.
Wenn Akteure aus der Politik oder Wirtschaft auf die Berichterstattung Einfluss nehmen wollen, sei das «sehr problematisch», sagt die Doktorandin Sarina Oberhänsli, die massgeblich an der Studie beteiligt war. «Wir konnten nun eine Möglichkeit aufzeigen, wie man so etwas messen kann.»
«Spiegelbild eines weltweiten Trends»
Der Fall Österreichs könne als Spiegelbild eines breiteren, weltweiten Trend gesehen werden, schreiben die Wissenschaftler. Sie nennen weitere Beispiele für «Inseratekorruption»:
- Ungarn: Inserate der Regierung dienten dazu, die Medienlandschaft zu verändern und beeinflussten, wie stark die «gekauften» Medien über Korruptionsskandale der Regierung berichteten.
- Argentinien: Je mehr Inserate die Regierung in einer Zeitung schaltete, desto weniger berichtete diese über Korruptionsskandale der Regierung. Diesen Zusammenhang deckten Wissenschaftler für die Periode von 1998 bis 2007 auf.
- Israel: Medienberichten im Jahr 2017 zufolge soll Israels Premierminister Netanjahu dem Herausgeber einer der grössten israelischen Tageszeitungen finanzielle Vergünstigungen in Aussicht gestellt haben, falls dieser für eine wohlwollendere Berichterstattung sorge.
- Mexiko: Inserate gingen mit mehr und mit wohlwollenderer Berichterstattung über die inserierenden Politiker einher.
- Australien: Medien berichteten weniger oft über Kritik an der Inseratepraxis der Regierung, wenn sie einen erheblichen Teil ihres Budgets aus solchen Inseraten bezogen.
Konkurrenten von Kurz in schlechterem Licht dargestellt
Im zweiten Schritt benützten die Forschenden «Gottbert». Dieses auf Künstlicher Intelligenz basierende Sprachmodell erfasste die Tonalität, mit der Medien über die Politiker schrieben. Verglichen mit den anderen Medien berichtete «OE24» online ab 2016 tendenziell negativer über die anderen Politiker, die in der Studie als Vergleich zu Kurz dienten und ihn konkurrenzierten. Da die Printausgaben von «OE24» für die Forschenden nicht digital zugänglich waren, beschränkten sie sich auf die Auswertung der Online-Ausgaben.
«Dieser spezielle Fall in Österreich unterstreicht einmal mehr, wie fragil die Medienunabhängigkeit in Demokratien sein kann», sagte der daran beteiligte Kommunikationswissenschafter Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien in einer Pressemitteilung.
In der Ökonomie etablierte Methode angewendet
Zum Einfluss von Firmen, die Inserate kaufen und dafür redaktionelle Gegenleistungen – insbesondere bei Gratiszeitungen – erhalten, gebe es eine Reihe von Studien. Der Einfluss politischer Werbung sei dagegen wenig erforscht, stellen die Wissenschaftler fest. Ihre im Oktober veröffentlichte Studie leistet dazu einen Beitrag.
Die Idee dazu entstand bei einem Kaffee, den der gebürtige Österreicher Martin Huber und der Kommunikationswissenschafts-Professor Andreas Fahr zusammen an der Uni Fribourg tranken. Fahr kontaktierte daraufhin seine Wiener Kollegen, die Zugang zur österreichischen Mediendatenbank haben. «Die in der Studie verwendete Methode ist in der Ökonomie sehr verbreitet, in der Kommunikationswissenschaft bisher erst wenig. Damit konnten wir feststellen, dass ein Medium deutlich mehr über Sebastian Kurz berichtete, als man es erwartet hätte», sagt der Volkswirtschaft-Professor Martin Huber.
Bedrohung der Pressefreiheit «nicht auf eine einzige Ideologie beschränkt»
Dass Medien unter finanziellem Druck stünden, sei kein exklusiv österreichisches Problem, so die Wissenschaftler. Auch in Australien, Argentinien und Spanien habe es beispielsweise Versuche gegeben, Medien zu «kapern»: «In diesen Fällen haben Regierungen staatliche Werbung oder Regierungswerbung instrumentalisiert und die Unabhängigkeit der Medienaufsicht untergraben, um Einfluss auf die Medien auszuüben.»
Solcherlei Medienkontrolle werde seit langem mit populistisch-radikalen, politisch rechten Bewegungen in Verbindung gebracht. Es sei aber «wichtig zu erkennen, dass – zumindest in Europa – die Bedrohung der Pressefreiheit nicht auf eine einzige Ideologie beschränkt ist». Vielmehr stelle sie eine «weitaus grössere und unmittelbarere Herausforderung dar, als man zunächst annehmen könnte. Der jüngste österreichische Skandal um politische Werbung […] unterstreicht die zentrale Rolle des kritischen Journalismus und einer unabhängigen Justiz, um demokratische Errungenschaften zu sichern.»
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen «die dringende Notwendigkeit einer grösseren Transparenz und strengeren Regulierung der Regierungswerbung und des öffentlichen Sektors, um die Unabhängigkeit der Medien zu schützen und einen Zustand des ‹Journalismus für Geld› zu verhindern».
Pandemie: Schweizer Regierung bezahlte Verlagen viele Millionen
In der Schweiz zahlte der Bund während der Pandemie fast 22 Millionen Franken an Schweizer Medien. Allein der «Blick» und der «Sonntags-Blick» erhielten vom Bundesamt für Gesundheit 890’000 Franken für Werbespots und Inserate (Infosperber berichtete). Welche Medien wie viel Geld bekamen, veröffentlichte «Inside Paradeplatz». Die detaillierte Aufstellung ist HIER einsehbar.
Schon im Mai 2020 hatte der «K-Tipp» über eine Corona-Subvention berichtet: «Insgesamt fliessen so über Umwege bis zu 37,5 Millionen Franken vor allem in die Taschen der grossen Verlage wie TX Group (ehemals Tamedia), Ringier, CH Media und NZZ.»
Im Februar 2022 nannte der «K-Tipp» weitere Zahlen: Demnach gab das Bundesamt für Gesundheit von Beginn der Pandemie bis Ende 2021 für Werbespots, Inserate und Internetanzeigen zum Coronavirus 20,8 Millionen Franken aus. «Laut Berset erhielt Tamedia mit 4,6 Millionen Franken am meisten Geld. 1,7 Millionen flossen an die SRG, 1,4 Millionen an CH-Media, 1,2 Millionen an Ringier, 500’ 000 Franken an die Westschweizer ESH Médias und 400’ 000 Franken an die NZZ. Diese Beträge kommen zu den 38 Millionen Franken hinzu, die der Bund den Zeitungsverlagen seit Beginn der Pandemie bezahlte. […] Google erhielt über 1,7 Millionen Franken, 946’ 380 Franken gab es für Instagram und Facebook, 195’ 576 Franken für Snapchat und 66’ 540 Franken für Tiktok. Sogar auf dem Datingportal Tinder schaltete der Bund für 25’ 000 Franken Werbung.»
Ob und wie stark diese Zahlungen die Berichterstattung beeinflusst haben, wurde bisher nicht untersucht. (mfr/upg)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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