Ex-Blick-Chef interveniert beim Blick
Inserateboykotte haben in der Schweiz eine lange Tradition. Unvergessen ist der Boykott des Autoimporteurs Emil Frey und grosser Teile der Autobranche. Die Verantwortlichen hatten sich 1979 so sehr über einen Artikel im «Magazin» geärgert, dass sie im Tages-Anzeiger keine Inserate mehr schalteten. Emil Frey beendete den Inserateboykott 1999 – nach 20 Jahren!
Kritische Berichterstattung
Deshalb lässt der Fall, den die NZZ schildert, aufhorchen: Ende März präsentierte die Migros ihre Zahlen fürs vergangene Jahr. Erfreulich waren sie nicht. Entsprechend kritisch war die Berichterstattung in den Schweizer Medien – auch im Blick.
Für Christian Dorer war das offenbar zu viel. Dazu muss man wissen: Christian Dorer war von 2017 bis 2023 Chefredaktor des Blicks. Gegangen ist er dem Vernehmen nach nicht freiwillig. Nun ist er Kommunikationschef der Migros.
Der «Zweihänder»
Dieser Dorer also «griff zum Zweihänder», wie die NZZ berichtet. Er verschickte ein E-Mail, in dem er sich Luft über die angebliche Polemik des Blicks verschaffte. Er stellte sogar die Frage in den Raum, wie er die Millionen, welche die Migros für Inserate im Blick zahle, intern rechtfertigen könne.
Bemerkenswert ist das Mail auch deshalb, weil der Blick-Artikel laut NZZ «keine groben Mängel» aufwies – «höchstens Flüchtigkeitsfehler». Kein Grund also für ein Mail in einem harschen Ton.
Auch an Verlagsmitarbeiter
Die NZZ ist der Meinung, dass man das E-Mail durchaus als Drohung verstehen könne. Und als solche wurde es beim Blick auch verstanden. Zumal es nicht nur an den Autor des Artikels gegangen war, sondern auch an leitende Redaktoren und an Verlagsmitarbeiter, die mit der Redaktion eigentlich nichts zu tun haben sollten.
Als Drohung kann das Mail auch deshalb verstanden werden, weil die Migros eine wichtige Blick-Inserentin ist. Die Migros verfügt schweizweit über das zweitgrösste Marketingbudget. Es betrug 2023 satte 313 Millionen Franken. Grösser war mit 396 Millionen Franken nur dasjenige von Coop. Die Migros sagt zum Mail: «Die Migros verstand das nicht als Drohung mit wirtschaftlichen Konsequenzen. Sie kann gut mit kritischer Berichterstattung leben, solange sie faktisch korrekt ist.»
Alles über Buchlis Tisch?
Die NZZ will wissen, dass seit Dorers Mail jeder Artikel über die Migros der Blick-Chefredaktorin Steffi Buchli vorgelegt werden müsse. Buchli äussert sich dazu ausweichend. Sie sagt: «Ich verantworte die Inhalte. Ja, es ist so, dass ich gewisse Inhalte vor Publikation lese und allenfalls mit den zuständigen Journalistinnen und Journalisten beziehungsweise Ressorts bespreche.» Der Ringier-Verlag, zu dem der Blick gehört, hält zudem fest: «Unsere Redaktionen und Ressorts arbeiten unabhängig und ohne jegliche Einflussnahmen.»
Daran bestehen allerdings grosse Zweifel. Im Vorfeld der Abstimmung zur 13. AHV-Rente veröffentlichte der Blick ein Interview mit Stefan Mäder, dem Präsidenten des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV). Wirtschaftsredaktor Christian Kolbe stellte gar keine Fragen, sondern gab Steilpässe: «Vernünftigerweise müsste man also (…) nein zur 13. AHV-Rente sagen…» Und Mäder nahm die Steilpässe dankbar auf.
Ein Gefälligkeits-Interview
In einem kleinen Kasten schrieb der Blick – ohne es zu wollen – gleich selber, dass es sich um ein reines Gefälligkeits-Interview handelte. Dort stand: «Umfragen sagen ein Ja voraus. Nun versucht die Wirtschaft Gegensteuer zu geben.» Und dabei wollte der Blick helfen. Deshalb präsentierte er «die Argumente von SVV-Präsident Stefan Mäder gegen den Ausbau der AHV».
Interessant dabei: Mäder ist Verwaltungsratspräsident der Mobiliar-Versicherung. Die Mobiliar ist mit 25 Prozent am Ringier-Verlag beteiligt. Stefan Mäder, Ex-Mobiliar-Verwaltungsratspräsident Urs Berger und Mobiliar-Chefin Michèle Rondoni sitzen im Ringier-Verwaltungsrat. Für die Mobiliar eine elegante Art, Einfluss auf den Blick zu haben.
Hitzfeld als Kolumnist, Berset als Einflüsterer
Irritierend war seinerzeit auch die Zusammenarbeit zwischen Blick und Ottmar Hitzfeld. Hitzfeld war gleichzeitig Trainer der Schweizer Fussballnationalmannschaft und Blick-Kolumnist. Kein Wunder, dass der Blick viele Neuigkeiten als Erster meldete und die Nationalmannschaft nur kritisierte, wenn es wirklich nicht anders ging.
Eine Zusammenarbeit gab es während der Corona-Pandemie auch zwischen dem Ringier-Chef Marc Walder und Bundesrat Alain Berset. Der Blick ist also für Einflussnahme von aussen durchaus offen.
Sind Inserateboykotte wirksam? Wahrscheinlich schon.
Vor dem Genfer Autosalon 2010 machte sich Tages-Anzeiger-Karikaturist Felix Schaad lustig über den Autohersteller Toyota, der Probleme mit Gas- und Bremspedalen hatte. Darauf erschien im Tages-Anzeiger – anders als bei der Konkurrenz – während dreier Wochen kein einziges Toyota-Inserat mehr. Kurz vor dem Autosalon veröffentlichte der Tages-Anzeiger ein ganzseitiges Interview mit Philipp Rhomberg, dem damaligen Chef von Toyota Schweiz. Und plötzlich erschienen im Tages-Anzeiger wieder Toyota-Inserate.
Der damalige Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer liess seinerzeit offen, ob es einen Inserateboykott gegeben habe: «Wir können nur spekulieren: Möglicherweise versuchte Toyota – wie andere Werbekunden auch – zu verhindern, dass Anzeigen im Umfeld einer negativen redaktionellen Berichterstattung erscheinen.» Dass ausgerechnet dann wieder Inserate erschienen, als der Tages-Anzeiger das Interview mit dem Toyota-Chef veröffentlichte, bezeichnete Zimmer als «Zufall».
Dass es einen Zusammenhang geben könnte, scheint allerdings nicht abwegig. Der damalige Basler-Zeitungs-Chefredaktor Markus Somm sagte 2016 auf Radio 1: «Ich kann nicht erwarten, dass ein Inserent ein Inserat schaltet, wenn ihm die ganze Zeit auf der Nase herumgetanzt wird. Es gibt ein Mass von Kritik, das richtig ist, und es gibt eine Art von Einseitigkeit, die nicht mehr geht.» Deshalb habe er durchaus Verständnis für Inserateboykotte.
Hanspeter Lebrument, damals Präsident des Verleger-Verbandes hielt fest: «Eine saubere Trennung zwischen dem Werbemarkt und dem redaktionellen Teil einer Zeitung ist viel schwieriger geworden als vor 20 Jahren, als es die finanzielle Lage erlaubte, die redaktionelle Unabhängigkeit über alles zu stellen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Heute sagt ein Migros Verkäufer im Blick, das seine 4180 Fr. nicht zum Leben reichen.
Ein Inserateboykott kann für ein Medium eine Überlebenschance sein.
Die 20 Jahre Boykott der Frey Gruppe , half dem Tagesanzeiger sich als glaubwürdige unabhängige Stimme der urbanen Schweiz zu etablieren.
Im Gegenzug finanzierte Walter Frey eine » Züri Woche » mit der Schlagzeile » Wer wird die rote Köchin als erstes in die Pfanne hauen «. Geblieben ist eine Subaru SVP Schweiz, die sich damit abfinden muss , das sogar Herr Rösti findet , man müsse halt in Zukunft, die Post mit dem Subaru holen.
Sogar den Blick und eventuell den Tagesanzeiger.
Schade um die Migros wenn einer so wenig Stil hat.
Allerdings hat auch der Blick heute noch weniger Substanz als unter Dorer.