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Droht mit Auswanderung: Zug-Fabrikant Peter Spuhler. © SRF

Erbschaftssteuer: Wenig Fakten, viele Behauptungen

Marco Diener /  Man kann zur Juso-Initiative stehen, wie man will. Aber man sollte bei den Tatsachen bleiben.

Die Medienkampagne startete am 7. Juli: Die «Sonntags-Zeitung» brachte ein doppelseitiges Interview mit Peter Spuhler, dem Zug-Fabrikanten und einstigen SVP-Nationalrat. Auf der Titelseite fasste die «Sonntags-Zeitung» zusammen: «Stadler-Rail-Patron Peter Spuhler sieht sich wegen der Erbschaftssteuer-Initiative gezwungen, auszuwandern, und zwar noch bevor das Volksbegehren der Juso zur Abstimmung kommt. Als neuen Wohnsitz bevorzuge er Österreich oder Italien.»

«Superreiche müssten die Hälfte abliefern»

Die «Sonntags-Zeitung» erklärt ihren Lesern und Leserinnen auch gleich, warum das so ist: «Käme die Initiative durch, müssten Superreiche künftig beim Erben oder bei Schenkungen an ihre Nachkommen die Hälfte des Vermögens als Erbschaftssteuer dem Staat abliefern.»

Das ist falsch. Superreiche müssten gar nichts abliefern. Wer Vermögen vererbt oder verschenkt, zahlt keine Steuer. Die Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) hält klipp und klar fest, wer zahlen muss: «Bei der Erbschaftssteuer sind es die Erben und die Vermächtnisnehmer, bei der Schenkungssteuer die Beschenkten.»

«Die Initiative beeinflusst mich persönlich finanziell nicht, da ich beim Anfall der Erbschaftssteuer tot sein werde. Betroffen sind vielmehr meine Nachkommen.»

Dottikon-Chef Markus Blocher

«Die vierte Steuer»

Aber offenbar orientiert sich die «Sonntags-Zeitung» diesbezüglich eher an Spuhlers Behauptungen als an den Tatsachen. Spuhler sagt: «Als Unternehmer bezahle ich schon jetzt dreimal Steuern: zuerst die Gewinnsteuer, dann die Einkommens- und letztlich die Vermögenssteuer. Die Erbschaftssteuer wäre die vierte.»

Richtig ist: Die Erbschaftssteuer würde nicht Spuhler zahlen; steuerpflichtig wären seine Erben. Sie haben weder Gewinn-, noch Einkommens- oder Vermögenssteuer bezahlt. Die Erbschaftssteuer wäre nicht die vierte, sondern die erste Steuer.

Vom Hörensagen

Manches, was die «Sonntags-Zeitung» ihren Lesern und Leserinnen vorsetzt, hat sie offenbar nur vom Hörensagen. So schreibt sie:

  • «Spuhler sagt er kenne mindestens zehn weitere Unternehmer, die ebenfalls prüften, ob sie noch vor der Abstimmung die Schweiz verlassen wollten.» Namen nannten weder Spuhler noch die «Sonntags-Zeitung».
  • Oder: «Laut Steuerexperten wollen bereits jetzt viele Betroffene präventiv auswandern, weil die Initiative eine Rückwirkungsklausel enthält.» Auch dazu: keine Namen.
  • Eine Woche später: «Nun zeigt sich, dass der Exodus bereits begonnen hat.» Namen? Keine.
  • Und: «Die Initiative der Juso hat bereits handfeste Folgen. Aus Nidwalden sind laut der zuständigen Finanzdirektorin erste Multimillionäre bereits ausgewandert, aus Angst, dass sie sonst 50 Prozent ihres Vermögens als Erbschafts- oder Schenkungssteuer abliefern müssen.» Namen? Wieder nicht.
  • Nochmals eine Woche später: «Ein Grossteil würde bei der Einführung einer Erbschaftssteuer, wie sie die Juso fordert, wohl tatsächlich auswandern.»

Immerhin fand die «Sonntags-Zeitung» eine Woche nach Spuhlers Drohung dann doch noch ein paar Unternehmer, die ebenfalls mit dem Wegzug drohen. Ypsomed-Gründer Willy Michel etwa. Oder Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo-Blocher. Aber niemanden, der bereits weggezogen wäre.

Fragen an den Kanton Nidwalden

Infosperber fragte deshalb bei der Staatskanzlei Nidwalden nach. Wir wollten unter anderem wissen:

  • Wie viele Multimillionäre sind aus dem Kanton Nidwalden weggezogen?
  • Wie viele wegen der drohenden Erbschaftssteuer?
  • Wie hoch waren das durchschnittliche steuerbare Einkommen und das durchschnittliche steuerbare Vermögen dieser Multimillionäre?
  • Wie hoch ist wegen der Wegzüge der Verlust an Steuereinnahmen für den Kanton Nidwalden?

Die Antworten aus Nidwalden

Der Kanton Nidwalden beantwortete die Fragen von Infosperber nicht sonderlich präzise. «Vereinzelte Personen mit einem Vermögen über 50 Millionen Franken» seien weggezogen. Aber entgegen der Darstellung in der «Sonnntags-Zeitung» kann der Kanton Nidwalden nicht sagen, ob sie wegen der Erbschaftssteuer-Initiative weggezogen sind.

Die Fragen zu steuerbaren Einkommen, steuerbaren Vermögen und entgangenen Steuereinnahmen beantwortet der Kanton Nidwalden «aus Gründen des Steuergeheimnisses» nicht.

Die Milchbüchleinrechnung des Uni-Professors

Ein Grossteil der Multimillionäre würde wohl auswandern, wenn die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso angenommen würde, behauptet die «Sonntags-Zeitung». Sie stützt sich dabei unter anderem auf den Lausanner Volkswirtschafts-Professor Marius Brülhart. Dieser bezieht sich auf eine Studie aus den USA. In den USA, erklärte Brülhart der «Sonntags-Zeitung», hätten manche Staaten eine Erbschaftssteuer von 16 Prozent, andere gar keine. Die Studie habe gezeigt, dass rund ein Drittel der Superreichen aus den Staaten mit der Erbschaftssteuer weggezogen seien.

Dann präsentiert die «Sonntags-Zeitung» Brülharts Milchbüchleinrechnung: «Die von den Juso geforderte Steuer ist dreimal so hoch wie jene in den USA. Wenn man nun annehme, dass der Anteil der Wegzüger proportional zur Steuer steige, komme man auf 100 Prozent. Will heissen: Praktisch alle Superreichen würden auswandern.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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8 Meinungen

  • am 30.07.2024 um 11:18 Uhr
    Permalink

    Die Aussage Peter Spuhlers ist übrigens noch in einem weiteren Punkt falsch: Spuhler bezahlt keine Gewinnsteuer. Die Gewinnsteuer ist ein Teil der Unternehmenssteuer, folglich bezahlen sie nur juristische Personen. Es wäre mir neu, dass Spuhler eine juristische Person ist.
    Ganz grundsätzlich ist mir bei dieser Debatte die völlig faktenfreie Diskussion aufgefallen – und zwar von allen Seiten. So wird ja etwa behauptet, dass die Erbschaftssteuer die Existenz vieler KMU im Familienbesitz gefährden würde, da das Vermögen hier zum grossen Teil aus Produktionsgebäuden, Maschinen etc. bestehe. Absatz 5 der Initative sieht aber genau für diese Fälle Sonderregelungen vor: «Gehören Unternehmen oder Landwirtschaftsbetriebe zum Nachlass oder zur Schenkung und werden sie von den Erben, Erbinnen oder Beschenkten mindestens zehn Jahre weitergeführt, so gelten für die Besteuerung besondere Ermässigungen, damit ihr Weiterbestand nicht gefährdet wird und die Arbeitsplätze erhalten bleiben.»

  • billo
    am 30.07.2024 um 12:07 Uhr
    Permalink

    Ich frage mich nach Lektüre dieses Artikels drei Dinge:
    1. Wie sicher kann man sich in einem Turbo-Zug jetzt noch fühlen, wenn man weiss, dass der Besitzer der Herstellerfirma lügt, wie es ihm grad passt? Was für eine Arbeitsethik herrscht dann in einen Fabriken?
    2. Mit wem gehen die Besitzer des Tages-Anzeiger-Konzerns golfen?
    3. Warum lässt die Mehrheit der Schweizer sich derartige Frechheiten gefallen?

  • am 30.07.2024 um 13:12 Uhr
    Permalink

    Wem Verdanken wir die Vermögenskonzentration? Den Vermögenden, weil sie herausragendes geleistet haben? Den Staaten, die diese Konzentration ermöglichten? Den Staaten, die Ausbeutung der Quellen und der Menschen erlauben? – Und jeder Erbe ist nur betroffen, wenn er über 50 Mio. erbt! Wenn Herr Spuhler seine 60 fähigsten Mitarbeitenden beglückt, dann sind auch diese nicht von der Initiative betroffen! Oder haben diese nicht auch zum Erfolg beigetragen?

  • am 30.07.2024 um 14:11 Uhr
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    Ihre juristischen/begrifflichen Richtigstellungen ändert nichts an der Tatsache dass
    a) dass das Erbe mit 50% massiv besteuert wird
    b) das gleiche Einkommen 4x besteuert wird, allerdings bei der Gewinnausschüttung nur teilweise
    Das sind die Tatsachen für den Erblasser, auch wenn ich eine wie immer ausgestaltete Erbschaftssteuer bedenkenswert halte.

  • am 30.07.2024 um 15:50 Uhr
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    Es ist schon interessant, dass sich Infosperber auf dieses polemische Niveau hinunterlässt. Natürlich wollen die Leute, die sich mit einer Steueroptimierung für ihre Nachkommen befassen, nicht zwingend namentlich erwähnt werden. Und weiter ist es ziemliche Haarspalterei festzustellen, dass Tote keine Steuern mehr zahlen, sondern ggf. die Erben. Was sollte der materielle Mehrwert dieses Beitrages wohl sein?

  • am 30.07.2024 um 19:01 Uhr
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    Die Gegnerschaft der 13. AHV Rente erzählten Unwahrheiten, verdrehten die Realität und malten wissentlich schwarz. Hier wiederholt sich dieses Gedöns.

  • am 30.07.2024 um 19:08 Uhr
    Permalink

    Dass die Medien unser Abstimmungsverhalten beeinflussen, ist ja hinlänglich bekannt. Trotzdem erstaunt es mich immer wieder aufs Neue, dass Leute, die nie von dieser Erbschaftssteuer betroffen sein würden, im Sinne der 1% Superreichen abstimmen.
    Offensichtlich verfängt die Drohung, dass Steuergelder ins Ausland abwandern und unser Land in Armut stürzen würde! Es scheint mehr als fraglich, dass diese potentiellen Steuerflüchtlinge alle Vorteile, die die Schweiz zu bieten hat, einfach so schnell mal aufgeben würden. Und zudem: die ungleich verteilten Vermögen führen dazu, dass in allen demokratisch regierten Ländern die Erbschaftssteuer gerade wieder auf den Prüfstand kommt.

  • am 31.07.2024 um 12:56 Uhr
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    Die Erbschaftssteuer ist ein wichtiges Werkzeug,damit die Schere zwischen Reich und Arm im Zaum gehalten werden kann und deshalb grundsätzlich begrüßenswert. Eine zu große Ungleichheit verschärft und kreiert viele gesellschaftliche Probleme und führt in die Plutokratie. Gleichzeitig verstehe ich den Missmut darüber, denn der Staat nimmt immer mehr ein durch neue Steuern und Gebühren,doch bleibt er teilweise den Nachweis schuldig, dieses Geld auch sinnvoll wieder auszugeben.

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