Kommentar

Döpfner-Leaks: Die «Zeit» tratscht

Rainer Stadler © zvg

Rainer Stadler /  Der «Zeit»-Artikel über interne Äusserungen des Springer-Chefs Mathias Döpfner zeugt von Schlüsselloch-Journalismus. Wie peinlich.

Ein Tipp für Recherchejournalisten, die nicht allzu viel Aufwand betreiben wollen: Montieren Sie ein verstecktes Mikrofon in der Redaktion der «Zeit»; auch dort, wo deren Chefs sitzen. Lassen Sie das Horchgerät eine Woche lang in Betrieb. Kontaktieren Sie ferner einen Journalisten, der die «Zeit»-Redaktion in Unfrieden verlassen hat und bitten Sie diesen, interne Mails und Chats aus seiner Dienstzeit beim Hamburger Organ herauszurücken.

Dies getan, werden Sie garantiert eine gepfefferte Enthüllung dazu schreiben können, wie die «Zeit»-Redaktion und deren Chefetage «wirklich» denken. In Ihrem Fangnetz werden Sie bestimmt ironische, zynische und auch derbe Sprüche über diese oder jene öffentliche Person oder über gewisse Bevölkerungsgruppen finden. Denn man weiss ja: Praktisch jedermann – nicht zuletzt in Journalistenkreisen – macht gegenüber Kollegen, Bekannten und Freunden ab und an böse Sprüche, um in einem Moment der Aufwallung über missliebige politische oder soziale Vorfälle Dampf abzulassen. Wenn sich der jeweils Empörte wieder abgekühlt hat, käme er aber kaum auf die Idee, seine Sprüche in die Welt zu posaunen. Denn er weiss, eine übertriebene Äusserung in einem Moment der Wut gehört nicht an die Öffentlichkeit, schon deshalb nicht, weil diese selten die ganze Meinung zum Thema wiedergibt.

Das «wahre» Ich – eine Illusion

Nehmen wir also an, jemand habe einen bösen Satz geäussert. Hat er dann sein wahres Ich offenbart, weil er gleichsam unzensiert, ohne normative Barrieren aus dem Moment heraus gesprochen hat? Wer eine solche Psychologie pflegt, hat ein arg eindimensionales Verhältnis zur Welt. Ein solches genügt allerdings für die hier beschriebene Art von «Enthüllungs-Journalismus». Zitieren Sie also fleissig die abgehörten Sprüche, lassen Sie möglichst den Kontext der Äusserungen weg, um deren Skandalwert zu steigern. Betten Sie ferner die Zitate in allgemeine Betrachtungen zum Wesen und Sein des «Zeit»-Verlags. Derlei Zutaten sollten ausreichen, um Ihr Produkt als reflektierten und gleichzeitig demaskierenden Beitrag zu den Zeitverhältnissen verkaufen zu können. Die Konkurrenz wird ihren Beitrag zur Aufklärung der Öffentlichkeit willig weitertragen und die Empörung ankurbeln.

Genau diesem Strickmuster folgte der «Zeit»-Artikel, der vergangene Woche auf der Basis von internen Äusserungen von Mathias Döpfner den Springer-Miteigentümer skandalisierte. Die Konkurrenz griff die Indiskretionen dankbar auf und verbreitete sie distanzlos weiter. Ein «Spiegel»-Journalist notierte gar: «Die Äusserungen des Springer-Chefs zeigen: Auch wer auf grossem Fusse lebt, kann ein Spatzenhirn haben.» Manchmal verraten Journalisten beim Schreiben mehr über sich als über andere.

Späte kritische Stimmen

Erst jetzt melden sich ein paar kritische Stimmen zu Wort. Etwa die «Berliner Zeitung», welche die «Zeit» nach dieser Enthüllung als Deutschlands grösste Boulevardzeitung bezeichnete. Dass die Kritik an der «Zeit» bisher so leise blieb, darf man auch als Zeitzeichen deuten: Die Redaktionen haben offensichtlich Mühe zu erkennen, was öffentlich von Bedeutung ist und was nicht. Wenn Mathias Döpfner intern einen abschätzigen Spruch über die Ostdeutschen macht, ist das nicht von öffentlichem Interesse; vor allem dann nicht, wenn die «Zeit» dem Publikum nicht einmal sagen kann oder will, in welchem Zusammenhang sich Döpfner so äusserte. So bleibt die Redaktion auf der Stufe Klatsch stehen. Auch ein Springer-Chef hat ein Recht auf Privatsphäre.

Die «Zeit» versucht auch nachzuweisen, dass Döpfner seine Macht missbrauchte, um persönliche und politische Interessen durchzusetzen. Hier kann sich die Redaktion auf eine gewisse Legitimität stützen, wenn sie interne Äusserungen zitiert. Doch bleibt sie den Beweis schuldig; sie liefert bloss Indizien für diesen Vorwurf. Neu sind entsprechende Vorwürfe ohnehin nicht. Um sie zu stützen, würde eine Analyse des Outputs der «Bild»-Zeitung ausreichen. Wenn nun die neue «Bild»-Chefredaktorin mit Blick auf die von der «Zeit» kolportierten Befehlsausgaben Döpfners schreibt, sie entscheide jederzeit frei und unabhängig, darf man allerdings schmunzeln. Derlei Selbstbehauptungen gehören zum Ritual – ein Journalist könnte bloss unter Gefährdung seiner Selbstachtung und seines beruflichen Selbstverständnisses das Gegenteil sagen. Nur Naive übersehen jedoch den Widerspruch zwischen medialem Sein und Schein.

Döpfner hat sich inzwischen via «Bild»-Zeitung entschuldigt. Er sagt: Wörtlich genommen, sei es Quatsch und verletzend, die «Ossis» als Kommunisten oder Faschisten zu bezeichnen. Der Springer-Chef äusserte sich nur zu diesem Spruch, nicht zu den anderen Vorwürfen. Das erstaunt nicht, denn die Skandalisierung funktionierte genau über den vielzitierten Satz. Also genügte eine Entlastungsaktion auf dieser Ebene. Mit ihrem Klatsch-Journalismus hat die «Zeit»-Redaktion eine tiefergehende Diskussion selbst verhindert.


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Keine
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2 Meinungen

  • am 18.04.2023 um 11:11 Uhr
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    Harald Schmidt haute folgenden Witz über Ossis raus: «Eine gute Nachricht für ostdeutsche Männer… Eine Studie hat gezeigt, dass Männer mit hässlichen Ehefrauen länger leben.» Ich als Ossi musste herzlich lachen; wir sind mit Polen-, Russen- und Rumänenwitzen aufgewachsen, also gleiches Recht für alle (nur über die faden Tschechen ist uns nie was lustiges eingefallen). Döpfner hatte mit seiner Bemerkung außerdem gar nicht so unrecht; man sollte aber nicht vergessen, dass die meisten Alt-Nazis eher in der BRD in vielen Posten und auch im Bundestag saßen. Der Ossi ist und bleibt das unbeherrschte Schwarze Schaf und zehrt vielerlei unter den Teppich gekehrte deutsche Lebenslügen ans Tageslicht; dafür steckt er, oft zu recht, immer wieder Prügel ein. Interessant ist, wie sich die gleichen Schreiber, die stramm in der Impf- und Covidphalanx marschierten, sich jetzt an Döpfners Führungsstil aufhängen; da schimpfen die richtigen Feldwebel.

  • am 18.04.2023 um 21:19 Uhr
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    Seit dem das Internet die großen Medien links und rechts überholt, und es nicht nur freie Journalisten sondern auch freie Blogger und das Wrestling via Talkshows gibt, ist der Boulevard-Journalismus für diese Medien überlebenswichtig geworden. Und auch ernsthafte Staatsbürger konsumieren ihn gerne. Die Leserschaft der Zeit will bestimmt seit 20 Jahren deutlich besser unterhalten werden. Was den Axel-Springer-Verlag bzw. Boulevard angeht, habe ich noch ein altes Video: https://www.youtube.com/watch?v=skY4nddl5q0

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