Kultur

Auch Räucherstäbchen gehören zur Kultur. Aber brauchen sie einen Kulturauftrag? © coffee

Die Kulturkrämpfe der SRG haben Tradition

Rainer Stadler /  Die SRG baut den Kulturbereich um und ab. Das Milieu protestiert. Das ist kein Zufall.

Die Corona-Krise hat auf dem Kommunikationsmarkt auch ihre Vorteile. Sie absorbiert Kräfte, so dass die Redaktionen weniger Energien haben, um sich anderen Sorgenkindern zuzuwenden. Etwa der SRG. Dort sieht es zurzeit nicht gut aus. In der Westschweiz läuft eine Untersuchung gegen Kaderleute, die ihre Macht gegenüber weiblichen Mitarbeitern missbraucht haben sollen. In der Deutschschweiz funktioniert die Technik des neuen Fernsehstudios nicht richtig, was hohe Kosten verursacht. Und in allen Landesteilen gibt es Proteste wegen der Umbaupläne bei den Kulturradios. Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF hat zudem angekündigt, altgediente Sendungen zu streichen und erhebliche Mittel in die digitale Publizistik zu investieren.

Bleiben wir bei der Kulturfrage. Die SRF-Reform löste unweigerlich grosse Irritation aus. Denn die Verantwortlichen deklarierten zwar, was sie streichen wollen, etwa «52 beste Bücher» und «Blickpunkt Religion» – was sogleich Proteste in den Milieus der jeweiligen Zielgruppen auslöste. Nichts Konkretes sagen die SRF-Chefs jedoch zu dem, was sie Neues schaffen wollen. «Irgendetwas mit Kultur», so könnte man sagen, wird es weiterhin sein.

Mitbestimmung?

Gewiss, unter den heutigen Bedingungen einer redseligen Branche wäre es kaum möglich, im stillen Kämmerlein neue Angebote auszuhecken und die Umbauvorhaben erst nach vollbrachter Tat dem Personal und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ein solches Vorgehen würde zudem dem Versprechen der SRF-Chefetage widersprechen, die Belegschaft in die Reform miteinzubeziehen. Allerdings: Angesichts der Grösse des Service-public-Betriebs, wo man wie anderswo in der Branche angesichts der dauernden Restrukturierungen seufzt, scheint eine Art Betriebs-Demokratie ohnehin illusorisch. Wie überall auf der Welt ist es so: Je grösser eine soziale Einheit, desto kleiner die Mitbestimmung.

Insofern mündet eine Reform bei einem öffentlichen Betrieb fast zwangsläufig in einen Konflikt. Je vager die Aussagen, desto mehr läuft man ins offene Messer der Gegner. Diesen hat die SRG mit den kursorischen Äusserungen viel Spielraum geboten. Und das ausgerechnet im Kulturbereich, wo die Stakeholder bzw. die Interessenvertreter – entgegen ihrem Selbstverständnis – ohnehin dem Konservativismus zugeneigt sind. Der insgeheime Leitspruch lautet: Gut ist es so, wie es bisher war.

Kulturdebatten in den neunziger Jahren

Die Beziehung zwischen den SRG-Chefs und den Kulturleuten war im Lauf der Jahre immer wieder ziemlich angespannt. Praktisch jedes Reformvorhaben führte zu Konflikten und Widerstand. Die Protestierenden konnten dabei regelmässig auf politische Unterstützung zählen; Resonanz lösten sie über die Parteidifferenzen hinweg in den bildungsbürgerlichen Milieus aus.

1991 – angesichts von Kürzungen bei den Radio-Eigenproduktionen – reichten fünf Kulturorganisationen eine von 34 000 Personen unterzeichnete Petition ein: «SOS SRG – Rettet die Kultur am Radio». Mitte der neunziger Jahre kam es zu einer grösseren Protestbewegung. Unter den Volksvertretern machte sich der damalige Zuger FDP-Ständerat Andreas Iten zum Wortführer. Er warf der SRG vor, mit den erneuten Sparvorhaben den Kulturauftrag zu vernachlässigen. Zu dieser Zeit hatte überdies Fernsehdirektor Peter Schellenberg seinen Betrieb reorganisiert und dabei die Abteilung Kultur und Gesellschaft abgeschafft, was vor allem die «NZZ» heftig und wiederholt kritisierte. Sie schrieb von einem «Putsch von oben» gegen die Kultur.

Der Publikumsrat, ein Organ der SRG-Trägerschaft, nahm in der von der Presse ausgiebig vorangetriebenen Diskussion die SRG in Schutz, was ihm sogleich und nicht zum letzten Mal den Vorwurf eintrug, ein blosses Akklamationsorgan zu sein. Der Bundesrat gab einen Bericht zur Lage der Kultur in den SRG-Medien in Auftrag, dessen laue Ergebnisse jedoch nicht einmal bei der Landesregierung eine gute Zensur erhielten. Der damalige Medienminister Leuenberger bezeichnete ihn gar als schlecht. Auch die Publizistikwissenschaft äusserte sich mit Analysen zum Thema, blieb indessen in einem akademischen Diskurs stecken und löste entsprechend wenig Echo aus. Die Diskussion zog sich zwar über ein paar Jahre hin, versandete aber dennoch ohne Folgen, wie so oft beim Thema audiovisueller Service public.

Integration der Stakeholder

Eine gewisse Nachwirkung gab es dennoch. SRF führte im Jahr 2000 wieder eine Kulturabteilung ein und engagierte mit Iso Camartin einen etablierten Vertreter der Kulturszene. Ein Jahr zuvor wurde zudem der bekannte Kulturschaffende Adrian Marthaler Programmdirektor, und 2007 übernahm der ehemalige «Du»-Chefredaktor Marco Meier die Leitung des Kulturradios. Die Stakeholder wurden integriert, zumindest für eine gewisse Zeit, bis man wieder vermehrt auf die Kompetenzen von Managern oder hauseigenen Gewächsen vertraute.

Eine Grundfrage zieht sich durch die Konflikte: die des Kulturbegriffs. Im zeitgenössischen Verständnis neigt man dazu, praktisch alles als Kultur zu bezeichnen, was ein Mensch einmal mit der Hand berührt hat. Dieser verwässerte Begriff ist auch eine Folge der «Demokratisierung» der Kultur und der Erkenntnis, dass sich nur eine Minderheit für Kultur im engeren Sinn interessiert. Die elektronischen Messsysteme der Massenmedien trugen ihrerseits dazu bei, die Position der Minderheit zu schwächen. Angebote mit tiefen Quoten gerieten vermehrt unter Rechtfertigungsdruck. Der Versuch zur Jahrtausendwende, mit «Babylon» zur besten Sendezeit am Sonntagabend einen Kulturbeitrag zu leisten, wurde denn auch bereits nach einem Jahr abgebrochen.

Die SRG argumentierte, ihr Auftrag sei es, die kulturellen Themen einem möglichst breiten Publikum schmackhaft zu machen. Auch versteht sie sich kaum noch als Herstellerin von Kultur. Entsprechend verschwanden die hauseigenen Jazz- und Klassikorchester wie auch Spezialprogramme für einzelne Bereiche – stets begleitet von Protest, der indessen bald verstummte. Immerhin: In der Not der Corona-Epidemie bot SRF Künstlern verschiedener Ausrichtung die Gelegenheit für Darbietungen. Und die TV-Kultursendung holte man nach der Verbannung in die späten Abendstunden zurück in etwas publikumsfreundliche Ausstrahlungszeiten.

Letztlich bewegte sich die SRF im Gleichschritt mit der Presse, die ihrerseits die konventionelle und begrifflich enger gefasste Kulturberichterstattung an den Rand drängte. Auch das NZZ-Feuilleton als Leitmedium in diesem Sektor wandte sich der Debatte zu und stutzte das herkömmliche Reflektieren über den Kulturbetrieb zurück. Das schafft zumindest Möglichkeiten für Nischenanbieter.

Im Gleichschritt mit der Presse

Die SRG hat allerdings einen Kulturauftrag und damit auch die Pflicht, das zu tun, was andere wegen mangelnden Finanzierungschancen nicht wahrzunehmen vermögen. SRF-Kulturchefin Susanne Wille hat in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung» Ende Januar gesagt, trotz Sparmassnahmen seien «Qualität und Tiefgang unverhandelbar». Vorerst kann man nur darüber rätseln, wie dieses Versprechen in den digitalen und herkömmlichen Kanälen künftig eingelöst werden wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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