Deutscher Presserat rügte BILD-Medien 27-mal
Der Deutsche Presserat sprach im vergangenen Jahr wieder mehr Rügen aus. 73-mal fand das Gremium schwere Fehler in der journalistischen Berichterstattung. Besonders häufig wurde dabei die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt.
Am häufigsten beschwerten sich Konsument:innen über Regionalzeitungen, gefolgt von Boulevardzeitungen und Zeitschriften. Meist nahmen sie Anstoss an Online-Veröffentlichungen.
Von 531 Artikeln, über die Beschwerden vorlagen, beanstandete der Presserat knapp drei Fünftel (57 Prozent). 2022 hatte der Deutsche Presserat noch 48 und 2021 insgesamt 60 Rügen ausgesprochen. Eine Rüge ist die schärfste Form der Beanstandung.
BILD-Medien so oft gerügt wie kein anderes Medium
Insgesamt 27 Rügen sprach der Presserat gegenüber den BILD-Medien Bild, Bild Online, Bild.de und Sportbild aus. Mit grossem Abstand folgt «Focus» mit drei Rügen. Eine Liste der gerügten Medien und der beanstandeten Artikel findet sich hier.
Gelegentlich gelangen solche Fälle auch in Schweizer Medien. Ein angebliches Interview mit Michael Schumacher etwa, das «Die Aktuelle» auf der Titelseite gross ankündigte, das aber nie stattgefunden hatte. Die Antworten hatte nicht Schumacher gegeben, sondern eine Künstliche Intelligenz.
Bild, Märkische Allgemeine: Fehlende Stellungnahme Beschuldigter
Als gravierenden Verstoss gegen die Ziffer 2 des Pressekodex, die Sorgfaltspflicht, wertete es der Presserat, wenn Redaktionen Beschuldigten keine Gelegenheit zur Stellungnahme gaben.
So berichtete Bild.de unter dem Titel «Ist der ‹coole› Pfarrer ein Kinderporno-Gucker?» über einen Pfarrer, der im Verdacht stand, kinderpornographisches Material zu besitzen. Das dunkle Geheimnis der Redaktion: Es sei unklar, ob sie den Pfarrer persönlich konfrontiert habe. Das erklärte sie dem Presserat.
Kolumnen, frisch aus dem Telegram-Kanal
Die «Märkische Allgemeine» holte von einer in einem Familienrechtsverfahren kritisierten Gutachterin («Das Schicksal eines Trennungskindes: Professor zweifelt an Qualität des Gutachtens») keine Stellungnahme ein.
Fehlende Sorgfalt bemängelte der Presserat auch bei einer Kolumne der «Neuen Osnabrücker Zeitung», die ungeprüft Meldungen aus dem Messenger-Dienst Telegram zum Ukraine-Krieg übernommen hatte.
B.Z. Berlin: Fotos von Unbeteiligter statt von Angeklagter Lina E.
Die Online-Ausgabe der B.Z. Berlin veröffentlichte das Foto einer Klimaaktivistin, die einen ähnlichen Namen trägt wie die vor Gericht stehende Linksautonome Lina E. Der Presserat sprach eine Rüge aus, weil die Verwechslung die Aktivistin in Misskredit brachte.
Berliner Zeitung: Quellenschutz gilt auch für Promis
Im Juni 2023 erteilte der Presserat Holger Friedrich, dem Verleger der «Berliner Zeitung», eine Rüge, weil er den Namen seines Informanten Julian Reichelt an den Springer-Verlag weitergegeben hatte. An dem ehemaligen BILD-Chefredakteur besteht zwar öffentliches Interesse, aber auch für diesen gilt der Quellenschutz.
Gerade «Bild» machte in der Vergangenheit regelmässig mit Fotos von Toten, Verwandten von Opfern, Kindern oder Personen von sich reden, die ihr Einverständnis zur Veröffentlichung nicht gegeben hatten oder an denen kein öffentliches Interesse bestand.
Insgesamt 22 Rügen sprach der Presserat 2023 für schwere Verstösse gegen den Persönlichkeitsschutz aus, davon 14-mal an BILD-Medien. Auch Verwandte von Verdächtigen sind geschützt, stellte er fest und beanstandete einen Beitrag auf focus.de mit den Namen von Angehörigen eines polizeilich gesuchten Landwirts.
Menschenwürde, Glaubwürdigkeit, reisserische Titel
Elf Mal rügte der Presserat Medien, die Gewalttaten oder Sexualdelikte detailliert schilderten – an deren Einzelheiten besteht kein öffentliches Interesse. Ebenfalls elf Rügen sprach er für Verletzungen der Menschenwürde und Verstösse gegen Glaubwürdigkeit der Medien aus, weil Spekulationen im Titel als Fakten angekündigt wurden oder ein Bericht Opfer unwürdig darstellte.
Abgrenzung von KI-generierten Inhalten
Zehn Rügen wurden wegen Schleichwerbung ausgesprochen (Trennung von Redaktion und Werbung 2022: 14 Rügen). Eine Redaktion wurde gerügt, weil sie ein von Künstlichen Intelligenz erstelltes Bild nicht als solches gekennzeichnet hatte. Die «99 Pasta-Rezepte zum Nachkochen» der Zeitschrift «Lisa» waren zwar von der KI zusammengestellt, für Texte besteht jedoch keine Kennzeichnungspflicht. Die begleitenden und ebenfalls KI-generierten Bilder seien jedoch eine Irreführung der Leserinnen und Leser, entschied der Presserat. Genauso wie das Foto einer virtuellen Kolumnistin namens Klara Indernach (KI) beim «Express».
Die jeweiligen Redaktionen veröffentlichten 61 der 73 ausgesprochenen Rügen. Zu 73 Rügen kamen 2023 insgesamt 94 Missbilligungen und 117 Hinweise.
Unbegründet: Döpfner-Messages und Aiwanger-Flugblätter
Zu reden gibt es gelegentlich auch, wenn der Deutsche Presserat Beschwerden abweist. 2023 gab es zwei in der Öffentlichkeit besonders hitzig diskutierte Sachverhalte. Im Juni wies der Presserat Beschwerden über die Veröffentlichung von Textnachrichten des Springer-Chefs Mathias Döpfner in den ZEIT-Medien als unbegründet ab. Döpfner hatte sich unter anderem abfällig über Ostdeutsche geäussert und Sympathie für Donald Trump bekundet. Ein öffentliches Interesse sei gegeben, entschied der Presserat.
Sechs Monate später wies er Beschwerden über Verdachtsberichterstattung um den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in der Print- und Onlineausgabe der «Süddeutschen Zeitung» ab. Aiwanger stand im Verdacht, in seiner Jugend ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben. Auch Schweizer Medien wie «Blick», das SRF und die NZZ berichteten über die sogenannte Flugblattaffäre. Eine Vorverurteilung der «Süddeutschen Zeitung» liege nicht vor, entschied der Presserat. Die Redaktion habe die Vorwürfe nicht als Tatsachen bezeichnet und dem Betroffenen ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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