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Schon heute ziemlich leer: Redaktionsräume von Tamedia. © SRF

«Der Journalismus muss sich mit Journalismus finanzieren»

Marco Diener /  Die TX-Group hat das Zeitungsgeschäft aufgestückelt. Kein Wunder, dass die Tamedia-Zeitungen weniger rentieren als früher.

Ältere Leser erinnern sich: Zu den besten Zeiten lag den heutigen Tamedia-Zeitungen einmal pro Woche ein Stellen-Anzeiger bei, der so dick war wie die Zeitung selber – häufig um die 40 Seiten, manchmal um die 50 Seiten. Bedeutend waren damals auch die Liegenschafts- und die Fahrzeuginserate. Die Inserate finanzierten die Zeitungen zu 60 bis 80 Prozent. Die Abo-Einnahmen waren weniger wichtig.

Inserategeschäft abgespaltet

Doch das ist vorbei. Inzwischen ist das Geschäft mit Stellen-, Fahrzeug- und Liegenschaftsinseraten abgespaltet. Gemeinsam mit Ringier betreibt die TX-Group jobs.ch, jobup.ch, Jobscout 24, Jobwinner, Alpha und Tobjobs. Zudem ist die TX-Group zu einem Drittel an Autoscout 24, an Motoscout 24, Financescout 24 und moneyland.ch beteiligt. Auch an Ricardo und Tutti. Das Geschäft ist hochrentabel. Für letztes Jahr schüttet die TX-Group Dividenden von 65 Millionen Franken aus.

Und die Zeitungen? Sollen doch selber schauen, wie sie sich durchschlagen.

Das jedenfalls sagte Simon Bärtschi, Publizistischer Leiter von Tamedia, gestern Abend in der Tagesschau des Fernsehens SRF (ab 1:00): «Der Journalismus muss sich mit Journalismus finanzieren. Wir können nicht links und rechts in einen Topf greifen.»

Das ist eine eigenwillige Logik. Während Jahrzehnten haben die gedruckten Zeitungen das Inserategeschäft wachsen lassen. Und jetzt sollen sie davon nicht auch profitieren.

Tamedia: Nicht am Abgrund

Gestern klang es so, als stünde Tamedia mit seinen Zeitungen am Abgrund. Doch der Verlag ist rentabel. Letztes Jahr erzielte er laut Geschäftsbericht einen Gewinn von 13,4 Millionen Franken. Das ist mehr als im Vorjahr (4,9 Millionen Franken). Aber wenig im Vergleich zum Gewinn der ganzen TX-Group (211 Millionen Franken).

Das ausgelagerte Inserategeschäft trug 100 Millionen Franken zum Gewinn bei. Würde es immer noch zum Zeitungsverlag gehören, wäre Tamedia hochrentabel.

Tamedia-Strategie: Stellen streichen

Was mit den Zeitungen geschehen soll, ist mit den gestrigen Ankündigungen von Tamedia nicht klarer geworden. Klar ist nur: Für gedruckte Zeitungen wollen immer weniger Leute zahlen. Natürlich auch, weil die Abos immer teurer werden. Und Online-Zeitungen werfen wenig ab.

Deshalb habe der Verlag «im letzten Jahr eine umfassende Analyse gemacht», erklärte Simon Bärtschi in der Tagesschau. Bärtschi war für die Tamedia-Chefin Jessica Peppel-Schulz eingesprungen. Sie hatte der Tagesschau kurzfristig abgesagt, weil sie Besseres zu tun hatte. Nämlich mit Finanzanalytikern zu sprechen.

Bärtschi seinerseits machte weder einen überzeugten noch einen überzeugenden Eindruck. Er sagte:

«Die neue Strategie sieht vor, 200 Vollzeitstellen in den Druckereien zu streichen – leider – und 90 redaktionelle Stellen.»

Ein Stellenabbau als Strategie? Eine Strategie ist ein Vorgehen, welche das langfristige Überleben einer Firma sichert. Ein Stellenabbau ist allenfalls die Folge einer neuen Strategie. Aber keine Strategie an sich.

Wissen die Chefs, was sie wollen?

Heute erschien unter der Rubrik «In eigener Sache» in den Tamedia-Zeitungen ein langer Text von Simon Bärtschi. Titel: «Weichenstellung für einen unabhängigen Qualitätsjournalismus.» Der Text war wenig erhellend. Und er war voller Widersprüche.

Da stand etwa: «Ihre gedruckte Zeitung? Diese bleibt, wie sie ist. Das vielseitige Print-Portfolio von Tamedia besteht weiter.»

Dabei wird künftig nur noch in Bern gedruckt. Das heisst: Früherer Druckbeginn und deshalb auch früherer Redaktionsschluss für gewisse Zeitungen. Sie bleiben also nicht, wie sie sind. Schon heute fehlen ja in den gedruckten Zeitung oft Berichte darüber, was am späteren Abend passiert ist – zum Beispiel von Champions-League-Fussballspielen. Zudem ist davon auszugehen, dass Tamedia die Zeitungen noch stärker angleichen wird, als das heute schon der Fall ist. Schon heute gleichen sich die folgenden Zeitungen sehr stark: der «Tages-Anzeiger», die «Berner Zeitung», die «Basler Zeitung», der «Bund», der «Landbote», die «Zürichsee-Zeitung», der «Zürcher Unterländer», das «Thuner Tagblatt», der «Berner Oberländer», das «Langenthaler Tagblatt» und wie sie sonst noch alle heissen. Für die «24 heures» und die «Tribune de Genève» werden schon heute Texte aus den Deutschschweizer Tamedia-Zeitungen übersetzt.

Da stand auch: «Die Qualität steht für uns zuoberst. Umfassende Recherchen, Porträts und Reportagen, interaktive Karten, Ticker zu relevanten Ereignissen, präzise Einordnungen der politischen Aktualität auf allen Ebenen sowie praktischer Service machen unsere Angebote einzigartig. Diese wollen wir laufend ausbauen.»

Dabei baut Tamedia – wie erwähnt – 90 Vollzeitstellen in der Redaktion ab. Wie da ein Ausbau möglich sein soll, bleibt ein Rätsel. Fünfmal braucht Bärtschi den Begriff «Qualitätsjournalismus». Dazu bemerkt ein Kommentator bloss: «Vielleicht einfach auch mal Qualitätsjournalismus machen, anstatt darüber zu reden.»

Da stand ferner: «Wir werden uns in den Redaktionen noch mehr Gedanken dazu machen, welche Art von Journalismus Sie von uns erwarten.»

Dabei schreibt der Publizistische Leiter und ehemalige Chefredaktor der Berner Zeitung so, wie es allenfalls Investoren wünschen, aber sicher nicht die Leser und die Leserinnen: «Abonnements und die Werbevermarktung sind gleichwertige Säulen in der neuen Monetarisierungsstrategie.» Darum geht es also: Nicht um die Bedürfnisse der Leser und der Leserinnen, sondern um die «Monetarisierungsstrategie».


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2 Meinungen

  • am 28.08.2024 um 14:55 Uhr
    Permalink

    47 Jahre war der Tagi «meine» Zeitung.
    Früher unbestechlich, bspw. gegenüber der Autoindustrie mit Inserateboykott und immer darauf bedacht, pro und kontra zu berücksichtigen.

    Schon vor Corona immer mehr «Marktreportagen», die besonders online oftmals erst nach genauerem Hinsehen, als solche erkannt wurden.

    2020 mit Corona der totale Absturz, Regierungsblatt sozusagen.
    Jeder mRNA- und massnahmenkritische Kommentar wurde zensiert, auch wenn gut begründet und im Nachhinein dank RKI-Files sogar bestätigt.
    Kommentare, die ab ca. 2023 wieder ohne weiteres publiziert wurden.

    Im Ukrainekrieg ging es gleich weiter, jeder kritische Kommentar betreffend Ukraine wird gnadenlos zensiert.
    Total einseitige Berichterstattung. Auch wenn sie jetzt langsam merken, dass die Dinge viel differenzierter sind und es keineswegs nur Gute und Böse gibt.

    Womit der Tagi für mich seit 2020 als Wiederholungstäter gestorben ist.
    NZZ nur bei Corona leicht besser, Ukraine auf selbem «Niveau»…

  • am 29.08.2024 um 07:10 Uhr
    Permalink

    Im Westen nichts neues.
    Diese Entwicklung war abzusehen und zeichnete sich auch schon länger ab. Scheinbar wollen vielen Menschen aber genau das bzw es interessiert sie nicht, da der Konsum gedankenlos ist.

    Dieses Vorgehen ist auch nicht neu: unliebsames zusammenfassen und dann gesammelt entsorgen. Das ganze schön verpackt als Fortschritt oder Strategie verkaufen.

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