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Recherche mit Velo, Zelt und Laptop: Florian Wüstholz östlich von Thessaloniki bei der Arbeit am Buch. © Martin Bichsel

«Dem Journalismus fehlt der Mut zur Offenheit»

Pascal Sigg /  Der Journalist Florian Wüstholz erstrampelte ein Buch zur Klimakrise. Das Interview über die Recherche aus dem Sattel.

Zusammen mit dem Fotografen Martin Bichsel fuhr Journalist Florian Wüstholz 4170 Kilometer von Bern in die Türkei – mit dem Velo. Das Buch ist keine Veloreisereportage. Es ist vor allem das Resultat journalistischer Ambition, die Erzählung einer immensen Recherche aus dem Sattel. Es zeigt, wie vermeintlich kleine ökologische Katastrophen in Italien, Slowenien, Bosnien, Griechenland oder der Türkei untrennbar mit der Klimakrise verbunden sind. Und dass diese in Europa bereits unzählige Menschen existenziell bedroht.

Florian Wüstholz, kritischen Journalismus aus dem Sattel zu machen, tönt ambitioniert. Bist du mit dem Erreichten zufrieden?

Ich setzte mir vielleicht ein zu hohes Ziel. Es ging ja nicht darum, bloss Reisecontent zu erstellen. Ich musste Geschichten planen, vorrecherchieren, hatte auch emotional schwierige Begegnungen. Dazu kommt: Die Veloreise an sich ist schon anspruchsvoll. Das beginnt damit, dass man vielleicht einen Tag lang von Hunden verfolgt wird, und endet damit, dass man herausfinden muss, wo man übernachtet, einkauft, was man isst. Ich konnte mit den Geschichten so natürlich keine Primeurs landen. Aber vielleicht zeigen, was hierzulande noch wenig bekannt ist. Und die Mischung, die wir dabei erreicht haben, ist, glaube ich, gelungen. So können wir Leute, die sich fürs Reisen interessieren, auf eine journalistische Reise mitnehmen, wo es um die Zukunft unseres Planeten geht.

Was war denn gleichwohl neu für dich?

Wie schlimm zum Beispiel die Plastikverschmutzung im Mittelmeerraum ist, wurde Martin und mir erst bewusst, als wir an einem Fluss voller Plastik in Bosnien-Herzegowina standen. Und dann sind Waldbrände zwar ganz offensichtlich eine Folge der Klimakrise. Aber meistens brennt es halt nicht dann, wenn man da ist. Wir kamen aber durch Zufall in Kontakt mit Menschen aus Euböa. Das ist eine Insel in Mittelgriechenland, wo es im August 2021 auf einer Fläche so gross wie der Kanton Baselland brannte. So entschieden wir uns, einen Umweg zu machen. Mit den Menschen vor Ort zu sprechen, die durch den Brand alles verloren haben, eröffnete uns eine ganz neue Perspektive.

Wie hattet ihr die Reise denn geplant?

Ursprünglich wollte Martin in die Mongolei radeln und suchte nach einer journalistischen Person, die mitkommen wollte. Ich sagte zu, unter der Bedingung, dass wir Journalismus machen würden entlang der Route. Von da an begannen wir zu recherchieren. Das Problem ist immer: Die Klimakrise ist nicht greifbar. Sie tritt vor allem über Naturkatastrophen wie Brände, Dürren oder Überschwemmungen zutage. Dies unterwegs zu zeigen, ist sehr schwierig. Also weiteten wir unseren Fokus auf grössere Umweltthemen aus wie Mining oder Umweltverschmutzung.

Und wie verlief die Arbeit am Buch?

Das Buch entstand etwa ein Jahr nach der Rückkehr. Unterwegs machte ich vor allem Notizen, führte Tagebuch und schrieb einzelne Artikel. Aber der grosse Bogen zeigte sich erst später. Unterwegs war ich häufig unsicher, ob das Material reicht. Viele der Geschichten würde man wohl nicht in einer Zeitung lesen, weil sie einem Redaktor zu beliebig erschienen. Aber in ein Buch, das die Geschichte einer klimajournalistischen Reise erzählt, passen sie.

Wie berichtet man denn richtig über die Klimakrise?

Wenn ich das wüsste! Im Grunde gibt es ja nur «Bad News». Die 1,5-Grad-Grenze zum Beispiel ist wohl schon überschritten. Natürlich gibt es kleine, positive Geschichten über lobenswertes Engagement. Die zeigen immerhin, dass es Leute gibt, die nicht aufgegeben haben. Aber das Problem sind ja die grossen ökonomischen Strukturen. Die werden dadurch leider kaum tangiert. Das ist sehr frustrierend. Ich muss zugeben, dass ich da auch etwas ratlos bin.

Auf der Reise hast du nichts darüber gelernt?

Ich realisierte, dass es im heutigen Journalismus schwierig ist, subjektive Perspektiven einzubauen. Also zum Beispiel gewisse Fässer zu öffnen aber nicht zu schliessen. Ich persönlich kann im Denken und Schreiben nicht jedes Problem lösen. Also müssen Dinge offenbleiben. Vielleicht kann ein:e Leser:in eine Assoziation weiterspinnen. In einem Buch geht das. In einem Zeitungsartikel geht das nicht. Dafür muss ich schlüssige Pakete schnüren und kann nicht in einem Nebensatz etwas andeuten. Dann kommt sofort ein Redaktionsmitglied und sagt: Das muss raus oder du musst es erklären. Aber manche Dinge kann ich eben nicht erklären.

Bräuchte der Journalismus mehr Offenheit?

Im Umgang mit dem Klima sicher. Das ist ein Thema, bei dem es oft keine einfachen Antworten gibt, die sich in einen 8000-Zeichen-Artikel packen lassen. Ich glaube, der Mut zur Unbestimmtheit fehlt, und das ist ein Problem. Für Leser:innen ist es vielleicht auch unbequem, wenn sie plötzlich merken, dass da jemand nicht mehr weiter weiss. Das kann bedrückend sein. Man erhofft sich ja eher eine Lösung. Aber immer Klarheit zu erwarten ist überzogen.

Was zeigt dir die Reise ins Ausland über die Schweiz? Bei uns zeigen sich ja ähnliche Herausforderungen.

Man merkt schnell, dass die Schweiz sehr dicht besiedelt ist. Deshalb funktioniert vieles ganz anders. Abgesehen von den offensichtlichen Wohlstandsunterschieden gibt es auch strukturelle Unterschiede: Die Schweiz hat zum Beispiel viele Gletscher und kann viele Pumpwasserkraftwerke bauen. Das kann man halt in Bosnien nicht im selben Mass. Andererseits haben wir in der Schweiz fast keine Freiflächen für Solaranlagen. In Griechenland sieht man die aber überall, weil das Land viel spärlicher besiedelt ist. So wird einem auch bewusst, wie spezifisch funktionierende Lösungen sein müssten. Albanien ist bezüglich Stromproduktion zum Beispiel fast unabhängig von fossiler Energie, erzeugt aber fast nur Wasserkraft. Andernorts sind Kohlekraftwerke sehr wichtig. Wie ersetzt man die? Es gibt keine Schablonenlösungen.

Würdest du die Recherchereise wiederholen?

Grundsätzlich ja, ich finde diese Art von Journalismus sehr schön. Aber sie funktioniert in unseren Strukturen nicht. Die wichtigste Ressource, die man als Journalist haben kann, ist Vertrauen; dass die Menschen, die du triffst, dir Erfahrungen, Wissen oder Geheimnisse anvertrauen. Damit muss man sorgsam umgehen. Und wenn man einfach wie ein Fallschirmjäger daherkommt und in ein Krisengebiet springt, dann spielen die Menschen bloss das Journalismusspiel, in dem sie Protagonisten sind, aber nicht Personen.

Wenn du mit dem Velo kommst, merken sie: Er meint es ernst?

Ja, genau. Dies fuhr mir am heftigsten ein in der Kleinstadt Bozkurt in der Türkei. Da waren bei einer Sturzflut 300 Menschen gestorben. Das war international bekannt. Und neun Monate später sagten sie uns da, wir seien die ersten internationalen Journalisten, die ins Dorf kamen. Und die ersten, die kamen, radelten mit dem Velo 4000 Kilometer aus der Schweiz. Das löste bei den Menschen schon etwas aus. Ich bin überzeugt, dass sie mir deshalb andere Dinge erzählten. Ich würde sehr gerne mehr so arbeiten, aber ich kann es nicht. Es kostet sehr viel Zeit und Geld. Das bezahlt niemand.

Das Buch

Wüstholz und Bichsel finanzierten die Recherche mittels Crowdfunding. Das Buch produzierten und vermarkteten sie selber. Soeben liessen sie zum zweiten Mal 500 Exemplare drucken. Am Dienstag, 5. November, liest Florian Wüstholz daraus in Zürich, Martin Bichsel zeigt Bilder von unterwegs (19.30 Uhr, Das Gleis).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.