Kantonspolizei Bern Fussgänger Fussgängerstreifen tot Polizeimeldung

So berichtete die Kantonspolizei Bern. Niemand ahnt, dass der Mann auf dem Fussgängerstreifen überfahren wurde. © Kantonspolizei Bern

Das verschweigt die Polizei (1)

Marco Diener /  Im Kanton Bern sind in drei Wochen vier Personen auf Fussgängerstreifen überfahren worden. Einer ist tot. Die Polizei verharmlost.

«Bätterkinden: Mann nach Verkehrsunfall verstorben.» Unter diesem Titel berichtete die Kantonspolizei Bern am 16. Dezember über einen Unfall. Was passiert ist, bleibt im Dunkeln. Der Mann könnte selber einen Unfall gebaut haben. Sein Auto könnte mit einem anderen kollidiert sein. Niemand kann ahnen, was wirklich passiert ist.

Dass der Mann nämlich ein Fussgänger war. Dass er, wie die Kantonspolizei Bern erst nach längerem Anlauf endlich schreibt, «beabsichtigte, einen Fussgängerstreifen zu überqueren, als er von einem Auto erfasst und schwer verletzt wurde». Mit anderen Worten: Er ist auf dem Fussgängerstreifen von einem Auto überfahren worden. Inzwischen ist er tot. So lautet leider der Klartext.

Wer streift wen?

Skurril auch der Titel «Thun/Zeugenaufruf: Fussgängerin nach Streifkollision leicht verletzt» in der Meldung vom Heiligabend. Wer wen gestreift hat, lässt die Polizei in ihrem Titel offen. Dabei geht die Polizei selber davon aus, dass «zwei Fussgängerinnen den Fussgängerstreifen zu überqueren beabsichtigen, als eine der beiden Frauen von einem Auto angefahren wurde. Die Lenkerin oder der Lenker des Autos fuhr weiter, ohne sich um die verletzte Frau zu kümmern.» Auch hier: Im Titel steht kein Wort vom Fussgängerstreifen. Und auch nicht von der Fahrerflucht.

Zwei Stunden gesperrt

Ein bisschen weniger beschönigend war der Titel der Meldung vom 16. Dezember: «Ostermundigen/Zeugenaufruf: Fussgängerin von Auto erfasst und verletzt.» Laut der Polizei war ein Autofahrer auf der Bernstrasse unterwegs. «Zur gleichen Zeit beabsichtigte eine Fussgängerin, die Strasse auf einem Fussgängerstreifen zu überqueren. Dabei wurde sie vom Auto erfasst und verletzt.» Der Verkehr musste zwei Stunden lang wechselseitig geführt werden. Das deutet auf aufwendige Bergungsarbeiten und einen ziemlich schweren Unfall hin.

Wieder auf dem Fussgängerstreifen

Ähnlich lautete die Meldung vom 14. Dezember: «Studen/Zeugenaufruf: Fussgängerin von Auto angefahren.» Passiert war Folgendes: «Eine 15-jährige Fussgängerin war im Begriff, den Fussgängerstreifen zu überqueren als sie von einem dunklen Auto angefahren wurde.» Und weiter: «Die Lenkerin des Autos sprach die Jugendliche an, verliess den Unfallort aber, ohne dass die Beteiligten die Personalien ausgetauscht hatten.» Nun sucht die Polizei nach ihr.

Mindestens vier Unfälle

Möglicherweise gibt es weitere Fälle, von denen die Polizei nichts weiss oder über die sie keine Polizeimeldung verfasst hat. Die obigen Fälle zeigen aber: Innert dreier Wochen sind im Kanton Bern mindestens vier Menschen auf Fussgängerstreifen verletzt oder gar getötet wurden. Die Polizei erwähnt die Fussgängerstreifen nur beiläufig irgendwo im Verlaufe ihrer Polizeimeldungen. Nie im Titel. Und auch nie in der Einleitung. Warum eigentlich nicht?

Die Kantonspolizei Bern sagt: «Bei Medienmitteilungen zu Verkehrsunfällen geben wir jeweils neutral den Sachverhalt wieder. Wir gehen nie auf die Schuldfrage ein, da deren Klärung nicht Sache der Polizei, sondern der Justiz ist.» Dass die Polizei die Schuldfrage nicht klärt, ist richtig. Aber die Aufgabe der Medienstelle wäre es, den Vorfall möglichst genau zu schildern — auch im Titel. Und sie müsste alles vermeiden, was einen falschen Eindruck erwecken könnte.

Nur touchiert?

Alle obigen Beispiele stammen von der Kantonspolizei Bern. Das heisst allerdings nicht, dass nur sie schlecht informiert. Die Aargauer Kantonspolizei schrieb im Oktober: «Nach einem Fahrfehler prallte ein Vespa-Fahrer gegen ein korrekt entgegenkommendes Auto und touchierte danach eine Fussgängerin.» Erst ganz am Schluss der Meldung kam heraus, dass es wohl mehr als nur eine «Berührung» war: «Die Fussgängerin, wie auch der Verursacher wurden leicht verletzt und mussten durch eine Ambulanz betreut werden.»

Basler sind präziser

Es geht auch anders. Die Basler Kantonspolizei meldete im September: «Fussgänger mit Personenwagen angefahren – Lenker/in fuhr weiter.» Damit war alles klar. Zum Beispiel wer in wen geprallt war. Und dass der Autofahrer oder die Autofahrerin darauf Fahrerflucht begangen hatte. Genau so macht es auch die Bündner Kantonspolizei. Der Titel «Samedan: Mann auf Fussgängerstreifen angefahren» beschreibt ganz klar, was passiert ist.

Samedan Fussgängerstreifen Unfall
Polizeimeldungen können auch so formuliert sein: «Samedan: Mann auf Fussgängerstreifen angefahren.» Und alles ist klar.

Gang und gäbe

Die drei Wochen, die Infosperber betrachtet hat, sind übrigens kein Ausreisser. Schon im November hatte die Berner Kantonspolizei eine Meldung mit dem Titel «Belp: Mann nach Kollision schwer verletzt – Autolenker angehalten» veröffentlicht. Erst im letzten Abschnitt steht, dass der Autofahrer den Fussgänger rückwärts überfahren und danach Fahrerflucht begangen hat.

Ebenfalls im November meldete dieselbe Kantonspolizei: «Rubigen: Fussgänger von Auto erfasst und verstorben.» Wo das passiert ist? Auf dem Fussgängerstreifen.

Und – wir sind immer noch im November – da titelte die Kantonspolizei: «Niederönz: Fussgängerin von Auto erfasst und schwer verletzt.» Wo? Natürlich auf dem Fussgängerstreifen.

Auch in Zeitungen und Online-Portalen

Sonderlich kritisch sind die meisten Medien nicht, wenn sie Polizeimeldungen veröffentlichen. Wenn die Polizei schreibt, «Mann nach Verkehrsunfall verstorben», dann steht in der Jungfrau-Zeitung ebenfalls «Mann nach Verkehrsunfall verstorben». Sinngemäss übernahmen auch Neo1.ch, bluewin.ch, nau.ch, die Berner Zeitung und der Berner Oberländer den Titel.

Die Schlagzeile «Fussgängerin nach Streifkollision leicht verletzt» haben unter anderen radiobeo.ch, baerntoday.ch und headtopics.ch genau so übernommen. Die Jungfrau-Zeitung schaffte es sogar, noch einen harmloseren Titel zu setzen: «Fussgängerin von Auto gestreift.»


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12 Meinungen

  • am 3.01.2023 um 11:37 Uhr
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    Eigentlich wären präziesere Überschriften schon nötig um Aufmerksamkeit zu erregen und die Sensibilität von Fahrzeugführern und Fussgängern im Bereich von Fussgängerüberwegen zu erhöhen. Überhaupt ist mir allgemein aufgefallen das immer weniger wahrgenommen wird was am Fahrbahnrand passiert.
    Schade um die verpasste Chance die trotz des geringen Aufwandes, also mal kurz darüber nach zu denken was man da schreibt, nicht wahrgenommen wird.

  • am 3.01.2023 um 11:41 Uhr
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    Was für eine Tragödie, auch für die Angehörigen, wenn ein Mensch einfach so aus dem Leben gerissen wird. Präzise Informationen könnten weitere Unfälle derselben Art vermindern. Haben diese Art der Unfälle zugenommen? Was für Ursachen kommen in Frage? Haben auch andere Unfälle zugenommen? Wenn ja, warum? Gibt es ein Interesse, von woher auch immer, präzise Unfallhergänge zu veröffentlichen? Danke für den Bericht.

  • am 3.01.2023 um 12:41 Uhr
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    Vielerorts wird das Problem einfach dadurch «gelöst», indem Fussgängerstreifen «rückgebaut» sprich entfernt werden. Damit hat der Fussgänger kein Vortrittsrecht mehr. Und Fahrzeugfahrer können dann noch leichter sagen, sie hätten den Fussgänger «übersehen».

    https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20143720#:~:text=die%20Entfernung%20eines%20Fussgängerstreifens%20ist,den%20Fussgängern%20der%20Vortritt%20entzogen.

    • am 5.01.2023 um 10:17 Uhr
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      Entgegen der allgemein üblichen Interpretation nützt es gar nichts die Fussgängerstreifen rückzubauen. Ein Fussgänger auf der Fahrbahn hat immer Vortritt. Es ist nur so, dass der Fussgänger keinen Vortritt erzwingen darf, das heisst er darf die Fahrbahn nicht betreten, wenn ein Fahrzeug kommt, aber befindet er sich auf der Fahrbahn hat er Vortritt. Am Fussgängerstreifen muss das Auto dem Fussgänger auch am Strassenrand den Vortritt lassen. Aber ich bezweifle, dass ein Autofahrer den Unterschied von einem Fussgänger auf der Fahrbahn und dem Fussgänger am Fahrbahnrand kennt. Wieder einmal ein Problem von Gesetzen die gemacht wurden von Bürokraten, die den Verkehr auf dem Schreibtisch überprüfen, statt auf der Strasse.

  • am 3.01.2023 um 13:55 Uhr
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    Es war eine der dümmsten Entscheidungen der zuständigen Verkehrskommission das «Handzeichen geben Klarheit» am Fussgängerstreifen abzuschaffen. Denn die Technokraten wollten per Gesetz die schweizerische Mentalität der Rechthaberei zementieren und haben deshalb wissentlich (!) die dem Menschen innewohnende Unberechenbarkeit ausser Acht gelassen. Ergo: Wem das Leben lieb ist, der hält am Fussgängerstreifen inne, so wie man uns Primmelischülern es beigebracht hat: «Schau links, schau rechts», blicke fest auf den Autofahrer (und Autofahrerin) am Steuer, um sicher zu gehen, dass der einen sieht und hebe seine Hand. Dies ist das ultimative Sicherheitsgebot, um nicht auf dem Streifen totgefahren zu werden. Mir hilft nicht, wenn das Gesetz auf meiner Seite ist, aber auf dem Streifen gebe ich für meine Gesundheit Handzeichen!!!

    • am 5.01.2023 um 12:08 Uhr
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      Ich gebe Ihnen recht, dass Selbstschutz die beste Lösung ist, aber da stehen Fussgänger bis in ihr Rentenalter am Strassenrand. Aber warum ich schreibe, finden Sie es sinnvoll die Fussgänger zu massregeln, damit die Autofahrer sie nicht überfahren. Wäre es nicht sinnvoller, den Autofahrern die Verkehrsgesetze einzutrichtern, damit sie den Fussgänger auch als Verkehrsteilnehmer anerkennen? Ich sehe da eine viel grössere Reduktion von Verkehrsunfällen.

  • cropped-CHRISTOPH_MG_9177-bearb.png
    am 3.01.2023 um 23:44 Uhr
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    Besten Dank, dass der Infosperber dieses Thema aufnimmt. Ich wohne in Freiburg und mir ist aufgefallen, dass nicht nur – wie beschrieben – die Unfälle mit Fussgängern/Velofahreren verharmlost, sondern z.T. offenbar gleich ganz unterschlagen werden: Am 11. Oktober gab es im Abendverkehr vor dem Bahnhof Freiburg einen vermutlich schweren Unfall. Beim Vorbeifahren sah ich einen mit Thermofolie abgedeckten Körper am Boden und einige Meter daneben ein E-Bike liegen, die Ambulanz rückte gerade an, im Bahnhofbereich staute sich deswegen der Verkehr und es gab Dutzende von Schaulustigen. Anderntags fand sich in keinem der drei Regionalmedien eine Meldung, was auch viele Bekannte von mir sehr erstaunt hat. Auf Nachfrage hatte die Kantonspolizei angeblich keine Kennntnis von diesem Unfall, die Ambulanz hat zum Vorfall keine Auskunft erteilen wollen und bei Freiburger Busbetrieben, die vermutlich involviert waren, wurde eine entsprechende Anfrage ebenfalls mit «no comment» abgetan.

  • am 4.01.2023 um 08:01 Uhr
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    Ich sehe das Problem nicht im Verschweigen, das Problem ist dass die neuen Strassenverkehrsgesetze entgegen dem Strassenverkehr sind. So zum Beispiel Geschwindigkeitsbegrenzungen vor einer Kreuzung oder Kreisel aufzuheben statt nach der Kreuzung. Oder Verkehrssituationen doppelt signalisieren. Ebenso irrsinnig sind Verkehrssignale auf der falschen Strassenseite. Oder eine Hauptstrasse, die laut Signalisation eine Autobahn ist. Wie soll sich ein Autofahrer an die Gesetze halten, wenn die Gesetze gegen die physikalischen Gesetze sind. Ich sehe die falschen Signale, scheine aber der einzige zu sein. Also kann man Verkehrsteilnehmer nicht verantwortlich machen, was die Gesetze falsch anweisen. So ist Autofahren sich bewegen in einem rechtsfreien Raum des Stärkeren wo nur ein Faktor es zulässt, dass man keinen Unfall baut: Glück

  • am 4.01.2023 um 12:49 Uhr
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    Sehr oft findet sich auch die (zynische) Formulierung, dass «sich ein Fussgänger verletzt habe» bei einer Kollision mit einem Auto.

  • am 4.01.2023 um 23:48 Uhr
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    Titel: «Velofahrer nach Unfall verstorben»

    Text: «Gegen 17.30 Uhr fuhr ein 43-Jähriger auf der Ebertswilerstrasse von Hausen Richtung Ebertswil. Als er für ein Überholmanöver ausschwenkte, kollidierte er frontal mit einem Velofahrer, wie die Kantonspolizei in einer Mitteilung schreibt. Der 26-jährige Zweiradlenker wurde dabei schwer verletzt. Trotz Reanimierungsmassnahmen durch Polizeipatrouille und Rettungsdienst erlag der Velofahrer seinen schweren Verletzungen noch auf der Unfallstelle. Die genaue Unfallursache wird durch die Kantonspolizei und die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl ermittelt. (red.)»

    Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern, 8. Okt. 2021

    Er erlag seinen Verletzungen? Er wurde getötet! Strassen sind Schlachtfelder. Ganz legal. Ausser den Panzerfahrenden hat dort niemand etwas zu suchen.

  • am 4.01.2023 um 23:55 Uhr
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    Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern, 24. September 2021.

    «In Mettmenstetten wurde am 20. September um 7.30 Uhr ein 14-jähriges Mädchen von einem PW-Lenker angefahren, das im Begriff war, die Zürcherstrasse via Fussgängerstreifen zu überqueren – unvermittelt und unvorsichtig, wie die Kapo anfügte.»

    14-jähriges Mädchen? Morgens auf dem Schulweg? Mitten im Dorf? Auf dem Schulweg? PW-Lenker? Wer genau war da unvorsichtig? Wem gehört die Strasse mitten im Dorf? Den Gepanzerten natürlich. Wir lernen das schon als Kleinkind.

    • am 5.01.2023 um 11:23 Uhr
      Permalink

      Das scheint mir jetzt doch etwas gar einseitig. Natürlich sind Fussgänger die ’schwächeren› Verkehrsteilnehmer als Autofahrer und deshalb besser zu schützen. Es gibt aber durchaus beides: unvorsichtige Autofahrer UND auch unvorsichtige Fussgänger.

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