Das N-Wort nützt nichts
Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, hat sich Ende Juli in die kommunikationspolitischen Brennesseln gesetzt, als sie in einer Erwägung über Diskriminierung und Rassismus das Wort Neger aussprach. Das tat sie in einem Interview. Noch bevor dieses ausgestrahlt wurde, distanzierte sie sich davon: «Leider habe ich in der Aufzeichnung des Interviews in der emotionalen Beschreibung dieses unsäglichen Vorfalls das N-Wort zitiert.» Der Rückzieher schützte sie indessen nicht mehr gegen Schlagzeilen und empörte Kommentare. Der Kern der Kritik: Wer das Wort schreibt oder ausspricht, trägt dazu bei, rassistisches Denken zu reproduzieren.
Einen altgedienten Wissenschaftsjournalisten der «New York Times» traf es härter als Baerbock. Weil er das verpönte Wort in einem reflexiven Gespräch mit Studenten verwendet hatte, wurde er entlassen, wie Anfang Jahr bekannt wurde. Er war nicht der erste, der deswegen in den USA den Job verlor.
Gegen die Aufklärung
Die Kritik an Baerbock war keineswegs einhellig. Es gab Einwände, schliesslich hatte die Politikerin keine Beleidigung aussprechen, sondern über das Problem des Degradierens reden wollen. In der Tat widerspricht es der aufklärerischen Gesinnung, fragwürdige Begriffe und Worte zu tabuisieren im Glauben, man habe das Problem damit gelöst. Es kommt immer darauf an, in welchem Zusammenhang und in welcher Tonlage jemand ein Thema bespricht und Wörter verwendet. In einer reflexiven Darlegung muss es möglich sein, selbst schändliche Wörter auszusprechen. Doch derzeit scheint es so, dass eine rigorose Sprachkultur obsiegt. Wer mehr als das N-Wort verwendet, muss sogleich mit einem Shitstorm rechnen.
Damit lassen sich rassistisches und diskriminierendes Denken und Handeln nicht beseitigen. Ein Kommentator der «Berliner Zeitung» brachte es unfreiwillig auf den Punkt: «Zu den Dingen, deren Ausspruch als derart unanständig und beleidigend gilt, dass es keinen Platz im öffentlichen Sprachgebrauch haben darf, gehört das sogenannte N-Wort. Sogenannt deshalb, weil <N-Wort> nur ein Platzhalter für etwas anderes ist, von dem Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, ganz sicher wissen, was gemeint ist.» Ganz genau: Man liest das N-Wort, denkt sich unweigerlich die fehlenden Buchstaben dazu und aktualisiert damit die Wortbedeutung. Das abgekürzte Wort reproduziert jedoch nicht nur das, was die Sprachreiniger zum Verschwinden bringen wollen, sondern es lädt den Begriff überdies auf. Gerade die Tabuisierung fördert die Lust am Normenbruch – also die Lust, mit dem Verpönten zynisch zu spielen und zu provozieren. Die Sprach-Jakobiner erreichen das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen.
Globalisierung und Migration haben den kommunikativen Austausch anspruchsvoller gemacht. Einwanderer mischen sich vermehrt ein und wollen teilhaben am gesellschaftlichen und politischen Leben. Das schafft Konflikte, aber ebenso Chancen – der deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani hat den sozialen Umbruch vor drei Jahren in einem Buch mit optimistischem Blick interpretiert («Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt»). Das bedeutet aber auch: Alteingesessene können nicht mehr bloss über die anderen reden, sondern sie müssen mit diesen reden. Und umgekehrt. Herabwürdigende Worte haben da keinen Platz.
Damit dieses Gespräch gelingt, braucht es mehr als züchtige Wortverhüllungen. Hilflos ist beispielsweise auch dieser Versuch zur Komplexitätsreduktion: So soll für die äusserliche Beschreibung von aussereuropäischen Volksgruppen oder Personen das Adjektiv farbig nicht verwendet werden, weil es kolonialistisch und damit negativ gefärbt sei. Stattdessen empfiehlt man «People of color» – was eigentlich genau dasselbe bedeutet, einfach kaschiert hinter einem englischen Ausdruck. Das sind Spiegelfechtereien.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Empfehlenswerte Lektüre dazu: Pinker, Steven (2003): Das unbeschriebene Blatt die moderne Leugnung der menschlichen Natur. Berlin: Berlin-Verlag. Darin findet sich die – selbstverständlich nicht unumstrittene sprachwissenschaftliche Hypothese der «Euphemismus-Tretmühle»: https://de.wikipedia.org/wiki/Euphemismus-Tretm%C3%BChle
Ach Rainer, du sprichst mir ja so aus dem Herzen! Heutzutage darf ich zwar den politischen Gegner als Arschloch bezeichnen, aber einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe nicht mehr als Neger. Das führt dazu, dass letztlich jede Äusserung praktisch verboten ist in der ich sagen muss, dass ich einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe meine. Oder ich muss es umständlich erklären. Es ist die gleich idiotische Diskussion wie diejenige bei den Menschen mit von der Norm abweichendem Sexualleben. Und gleichzeitig haben wir gigantische Probleme von denen kein Mensch eine Ahnung hat, wie wir sie lösen können.
Ganz richtig. Ähnlich ist es mit den leidigen Stern * innen * chen.
Von extremen Ausnahmen abgesehen gibt es keine ‹beleidigende Wörter›, An ‹Neger›, ‹Zigeuner› oder dergleichen wertneutral beschreibender Begriffe gibt es nichts auszusetzen. Es gibt auch keinen Grund, Mimosenhaftigkeit zu bedienen.
Menschen sind suggestibel, wenn einer sagt, mich beleidigt das Wort X, darf man davon ausgehen, dass dieses Beleidigt Sein zuvor suggestiert wurde. Um ein Wort aus der Sprache auszuklammern, bedarf es einer objektiven, keiner subjektiven Begründung. Alles Subjektive ist konstruiert, ist eingeredet. Subjektive Argumente benutzt man nur privat, nicht öffentlich.
Die sogenannt politisch korrekte Sprache muss beherrschen, wer Karriere machen will. Sie kann überdies dazu dienen, Wahrheit zu verschleiern und Verwirrung zu stiften. Das Schlimme daran kann sein, wenn die Mehrheit meint, es wäre für die Verständigung gut, nicht mehr echt das zu sagen, was gefühlt und die Wahrheit ist. Eine wahrhaft inklusive Gesellschaft ist nur möglich, wenn auch Unterschiede, die konfliktträchtig sind, zur Sprache kommen und einen Rahmen finden können, in dem alle und alles ohne Gleichmacherei einen gleichwertigen Platz hat. Davon sind wir in der Regel weit entfernt!
Es gibt noch ein paar andere Sprachen. Salafisten — auch westlicher Prägung — müssen sich für die Sprache des zur Exegese unterbreiteten Textes aussprechen. Die ganze Diskussion der «okzidentalen Wertegemeinschaft» hat die Bodenhaftung verloren.
Etwas mehr an kultureller Bescheidenheit und Akzeptanz eigener Ignoranz könnte wohl auch hier etwas weiterhelfen.
Sauglattismus ist für die «Saure-Gurkenzeit» ok, für das normale Leben bringt das nichts.
Das ebenso läppische wie anmassende Getue der auch hierzulande amoklaufenden selbsternannten Sprachpolizei nervt gewaltig. Dass sich jetzt auch noch unser Radio- und Fernsehen bemüssigt fühlt, auf diesen Zug aufzuspringen und beflissen bei diesem Mist mittut, von Heimwerker:innen (inklusive dem trennenden Rülpser vor :innen), PoCs und dergleichen plappert und sich dabei bloss lächerlich macht, gerät allmählich zur Peinlichkeit. Zum Fremdschämen !
Sehr treffende Bild und Legende, liebe Bildredaktion!
„Ebony and ivory live together in perfect harmony
Side by side on my piano keyboard, oh Lord, why don’t we?“
( Paul McCartney und Stevie Wonder)
Weglassen, Abkürzen, Kaschieren – tatsächlich ein sinnloses und manchmal kontraproduktives Spiegelgefecht auf Wortebene. Wer aber (dies an die Adresse mancher Kommentierenden) daraus schliesst, das Denken hinter den hässlichen Begriffen sei damit also ok, irrt gewaltig. Verwenden soll diese Wörter nur, wer auch zur Reflexion fähig ist. Für alle andern ist das Verwendungsverbot oft die einzige Möglichkeit, ihnen deutlich zu manchen, dass der Gedanke hinter einem Wort falsch ist. Indem man das Wort dafür zum Unwort erklärt, verhindert man immerhin, dass die niederen Gedanken schamlos und unüberlegt ihren Ausdruck finden. Nur mit Abkürzungen oder englischen Ersatzbegriffen erreicht man dieses Ziel eben gerade nicht. Lebten wir in einer Welt voller reflektierender und kluger Menschen, müsste man weder über politische Korrektheit noch Gendersternchen reden. A propos: die mündliche Version von letzterem ist kein Rülpser, sondern ein Glottisschlag oder glottaler Plosiv. Nicht ganz dasselbe.
So muss also heute ein Mensch zur Klasse der reflektierenden und klugen Menschen gehören, dass er die Sprache ohne Hindernisse benutzen kann!?
Woher kommt denn diese Abgehobenheit, die daraus ein Recht begründen soll, dass man Worte auch ohne negative und verabscheungswürdige Hintergedanken verwenden dürfe sofern man zur obigen Klasse gehört?
Auch sehr reflektierende Menschen mit akademischem Hintergrund können bewiesenermassen rassistisch sein.
Geschätzter Herr Knutti
Sie haben insofern recht, als Reflektieren nicht ‹hinreicht›. Es ist dabei eine ’notwendige› Bedingung für aufgeklärtes Selbstbewusstsein. Und Sie haben auch recht, dass dieses Notwendige in allen Schichten der Gesellschaft fehlen kann. Es ist in der Tat keine «Klassenfrage».
In einigen deutschen Bundesländern verwenden die Verkehrsbetriebe nicht mehr den Begriff «schwarzfahren», vor allem auf Betreiben der Grünen. Stattdessen ist u. a. vorgeschrieben «Fahren ohne gültigen Fahrschein».
Das zeugt von der Dummheit der Veranlasser, denn «schwarzfahren» hat nun gar nichts mit der Hautfarbe zu tun. Bekanntlich fahren auch Weiße schwarz. Vermutlich stammen solche Begriffe eher aus einer Handlung, die sich im Dunklen, Verborgenen vollzieht (vgl. auch schwarzbrennen).
Jürgen Schiebert, dass «Schwarzenfahren» zu «Fahren ohne gültigen Fahrschein» wird, hat mich zur Wortspielerei geführt, ob «schwarzmalen» vielleicht «malen ohne Pinsel» sein könnte… 😀
Aus der Sicht eines fremdsprachigen Touristen ist «schwarzfahren» nicht verständlich, ebenso wenig wie Schwarzgeld oder Schwarzarbeit. Da ist der Hinweis auf die illegale Handlung sicher angebracht und bestimmt nicht auf dem Mist der Grünen gewachsen. Vielleicht liegen denen alternative Überlegungen (nicht Fakten) näher als den – oh, oh! – Schwarzen, politisch betrachtet, meine ich jetzt.