Das Geheimnis um den Druckbeginn
Schaffen sich die Schweizer Tageszeitungen gerade selber ab? Es sieht ganz danach aus. Schon immer hatten Zeitungen gegenüber elektronischen Medien einen zeitlichen Nachteil. Doch seit ein paar Jahren wächst der Nachteil an.
Sportteil voller Konserven
Das zeigt sich vor allem im Sportteil. Die Tamedia-Zeitungen berichten seit Saisonbeginn nicht mehr aktuell über Eishockey-Spiele. Stattdessen bringen sie im Sportteil lauter Konserven wie «40 Fakten über Cristiano Ronaldo», «Diese Fussballgrössen können Sie auf kleiner Bühne bewundern» oder «Was ist die Superbowl?».
Die 300’000-Franken-Uhr
Den Höhepunkt bot die «Berner Zeitung» kürzlich: Sie versäumte es, über den Radquer-Weltmeistertitel des Holländers Mathieu van der Poel zu berichten. Fünf Tage nach dem Rennen brachte sie stattdessen einen grossen Bericht darüber, dass van der Poel mit einer 300’000 Franken teuren Uhr gefahren sei.
Es ist traurig – aber es stimmt leider: Wer sich über Ereignisse vom Vorabend aus der Zeitung informieren möchte, muss den «Blick» lesen oder «20 Minuten».
Immer weniger Druckereien
Dass die meisten Tageszeitungen kaum mehr auf die Aktualität reagieren, hat einen einfachen Grund: In der Schweiz gibt es immer weniger Druckereien. Das führt dazu, dass die Druckereien mit dem Druck früher beginnen müssen, damit sie alle Zeitungen aneinander vorbeibringen. Und deshalb sind die Zeitungen gezwungen, den Redaktionsschluss vorzuverlegen.
«Blick» und «NZZ» bei Tamedia
Eng ist es zum Beispiel in den drei Druckzentren des Tamedia-Verlags in Bern, Zürich und Lausanne. Denn schon länger drucken die Tamedia-Druckereien neben den eigenen Zeitungen in Zürich auch den «Blick» und die «NZZ». Infosperber fragte deshalb bei grossen Schweizer Tageszeitungen nach:
- Wann ist Druckbeginn?
- Wann ist Redaktionsschluss für die Titelseite?
- Wann ist Redaktionsschluss für die drittspäteste, die zweitspäteste und die späteste Innenseite?
Die Medienstellen der befragten Verlage gaben sich nicht sonderlich auskunftsfreudig. Sie beantworteten nur einen Teil der Fragen:
- Für die Zeitungen des CH-Media-Verlags wie «Aargauer Zeitung», «Luzerner Zeitung» oder «St. Galler Tagblatt» liegt der Redaktionsschluss zwischen 22.50 und 23.30 Uhr. Die Zeitungen werden in eigenen Druckereien in Aarau und St. Gallen gedruckt.
- Bei der «Bündner Zeitung» ist um 21.45 Uhr Redaktionsschluss. Ein Teil der Auflage kann noch bis 23.30 Uhr aktualisiert werden. Zum Beispiel wenn der HC Davos spielt.
- Die «NZZ» nimmt Aktualitäten nach eigenen Angaben bis 22.00 Uhr in jedem Ressort noch auf. Druckbeginn ist um 22.45 Uhr, «bei angekündigten späten Ereignissen» kann er bis 23.30 Uhr hinausgeschoben werden.
- Beim «Blick» muss die letzte Seite um 23.10 Uhr im Druckzentrum sein. Es ist nicht zwingend die Titelseite.
- Die Gratiszeitung «20 Minuten», die meist ähnlich aktuell ist wie der «Blick», wird erst ab 24.00 Uhr in den Tamedia-Druckzentren in Bern und Zürich gedruckt. Redaktionsschluss ist um 23.15 Uhr.
- Ausgerechnet der Tamedia-Verlag, dem die Druckzentren gehören, redet gegenüber Infosperber bloss um den heissen Brei herum: «Die redaktionellen Abschlusszeiten der einzelnen Titel sind von unterschiedlichen Faktoren abhängig – dies sind insbesondere die Prozesse und Abläufe innerhalb der Redaktionen sowie die Andruckzeiten in den Druckereien.»
Das Herumgedruckse dürfte einen Grund haben, über den die Tamedia-Leute nicht gerne sprechen. Der Redaktion von Infosperber wurde zugetragen, dass der Redaktionsschluss beim «Tages-Anzeiger» schon um 21.00 Uhr sein soll. Dazu passt, dass Tamedia schreibt: «In unseren Printausgaben haben wir die Leserschaft über die Veränderungen in der Berichterstattung aufgrund der vorgezogenen Abschlusszeiten informiert.»
Offenbar haben die Tamedia-Zeitungen in den Tamedia-Druckereien nicht Vorrang. Es sieht ganz danach aus, als ob «Blick» und «NZZ» prioritär behandelt würden. Gut möglich, dass es für Tamedia einträglicher ist, wenn der Verlag für seine eigenen Zeitungen einen früheren Druckbeginn in Kauf nimmt.
Noch weniger aktuell
Klar ist: Viele Schweizer Tageszeitungen werden in den nächsten Monaten weiter an Aktualität einbüssen. Ende März wird das Centre d’Impression de Lausanne in Bussigny VD geschlossen. Das heisst: Die beiden welschen Tamedia-Zeitungen «24 heures» und «Tribune de Genève» werden ab April wohl in Bern gedruckt.
Gerne hätte Infosperber von Tamedia erfahren, wie sich das auswirken werde. Doch Tamedia antwortete bloss: «Sie haben sicher Verständnis, dass wir in dieser Phase keinen konkreten Druckbeginn sowie Abschlusszeiten kommunizieren.»
Bussigny ist erst der Anfang
Die Nervosität ist begreiflich. Denn die Schliessung in Bussigny ist nur das Vorspiel. Ende 2026 wird Tamedia auch das Druckzentrum in Zürich schliessen. Dann wird es im Druckzentrum Bern zeitlich noch enger werden.
Davon werden zum einen Tamedia-Zeitungen wie «Tages-Anzeiger» und «Landbote» betroffen sein, die gegenwärtig noch in Zürich gedruckt werden. Zum anderen auch «NZZ», «Blick» und «20 Minuten».
Unsicherheit allenthalben
Der «Blick» will zu diesem Thema gar nichts sagen. «20 Minuten» lässt verlauten, derzeit sei noch offen, «welchen Einfluss die Verschiebung auf den Druckbeginn haben» werde. Und die «NZZ» teilt mit: «Der Druck unserer Zeitungen ist über die geplante Schliessung der Tamedia-Druckerei Zürich hinaus sichergestellt. Unser bestehender Druckvertrag mit Tamedia läuft noch bis Ende 2027 und garantiert den Zeitungen der NZZ die bestehenden Druckfenster und Andruckzeiten.»
Über die Zeit ab 2028 laufen Verhandlungen. Die NZZ behält sich offenbar vor, ihre Zeitung anderswo als im Druckzentrum Bern drucken zu lassen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Warum macht man das?
Ich vermute, es ist günstiger, wenn man eine Druckerei gut auslastet, und man nimmt den Nachteil eines früheren Redaktionsschlusses in Kauf.
Herr Diener, ist das so, konnten Sie das herausfinden? Es nimmt mich echt wunder!
Danke!
Ja, es ist in der Tat günstiger, eine gut ausgelastete Druckerei zu betreiben als zwei mässig ausgelastete.
Wichtig ist allerdings auch, dass viele Druckereien ihre Rotationsmaschinen langsam ersetzen müssten. Aber diese Investition lohnt sich nicht mehr. Das dürfte nach dem Jahr 2030 auch beim Druckzentrum in Bern der Fall sein. Es ist anzunehmen, dass das Druckzentrum keine neue Rotationsmaschine mehr anschaffen wird und etliche Schweizer Zeitungen nicht mehr in gedruckter Form erscheinen werden.
Was den Tagi betrifft: fehlende Aktualität ist nur ein Kritikpunkt, den man sogar (falls die Qualität stimmt) ausblenden könnte. Leider ist die Qualität des Inhalts seit Jahren immer weniger geniessbar und das mit zunehmendem Trend nach unten. Grammatik-Fehler sind zudem eher die Regel als die Ausnahme. Und das von angeblichen Profi-Journis? Dazu kommt, dass der Umfang langsam aber sicher einem dünnen Süppchen – gekocht aus einem gerupften, mageren Hühnchen – gleicht. Auch das mit Tendenz zu noch weniger. Gleichzeitig scheffelt die TX Group Kohle bis zum Abwinken. Supino füllt jedes Jahr brav die Schatullen des Coninx Clans bis an den Rand. Die Redaktion des «Flaggschiffes» wird zu Tode gespart und der Tagi wird für die Abonnenten jedes Jahr teurer. Mehr Kohle für ständig weniger Leistung: wie lange geht das noch gut? Schon mal was von Marktwirtschaft gehört, oder was? Ich überlege mir nun echt ernsthaft, wie lange ich mir das Tagi-Abo noch leisten will.