NZZ

Fordert von der Redaktion Arbeitszeiterfassung mit «Vernunft und Augenmass»: NZZ-Hauptsitz an der Falkenstrasse in Zürich © cc-by-sa-4 Matthias Süssen

Anzeige gegen NZZ: Redaktion leistet Gratis-Überstunden

Pascal Sigg /  Der Berufsverband Impressum zeigte die NZZ wegen ungenauer Arbeitszeiterfassung an. Nun hat das Arbeitsinspektorat interveniert.

Gegen die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) läuft eine Untersuchung des Zürcher Arbeitsinspektorats. Dahinter steckt eine Anzeige wegen mutmasslicher Verletzung von Bestimmungen über die zulässige Höchstarbeitszeit und die Aufzeichnung der Arbeitszeit aus dem Arbeitsgesetz. Dies bestätigt Impressum, der Berufsverband für Medienschaffende.

NZZ weiss seit zwei Jahren von der Anzeige

«Wir haben die NZZ bereits Ende 2020 beim Arbeitsinspektorat angezeigt», sagt Impressum-Geschäftsführer Urs Thalmann auf Infosperber-Anfrage. Damals habe man auch die NZZ über die Anzeige informiert. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit wollte aus Datenschutzgründen keine Angaben zum Fall machen.

Das Arbeitsgesetz schreibt vor: Die Arbeitszeit muss so erfasst sein, dass Dauer, Beginn und Ende der geleisteten täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit (inklusive Ausgleichs- und Überzeitarbeit) sowie die Pausen von einer halben Stunde und mehr ersichtlich sind. Der Arbeitgeber kann jedoch mit der internen Arbeitnehmendenvertretung eine vereinfachte Erfassung vereinbaren. Der Arbeitgeber muss aber mindestens die Dauer der täglich geleisteten Arbeit aufzeichnen.

Keine präzise Erfassung der täglichen Arbeitszeit

Eine Quelle aus der NZZ bestätigt die Darstellung von Impressum. Demnach wurde die Arbeitszeit nicht in allen Ressorts einheitlich erfasst. Zumeist wurde sie bisher zwar systematisch, aber nicht präzise registriert. So sei in einem Erfassungsprogramm einfach standardmässig pauschal das Tages-Soll eingetragen worden. Ein- oder auszustempeln brauchte niemand. Einzig zur Verbuchung von Ferientagen mussten die Einträge angepasst werden. Dies verbunden mit der unausgesprochenen Erwartung, dass Überstunden nicht systematisch erfasst, geschweige denn vollumfänglich kompensiert werden. So habe unter vielen Redaktionsmitgliedern in den letzten Jahren die nicht kompensierten Überstunden tendenziell zugenommen.

Die NZZ wollte Detailfragen zur Anzeige nicht beantworten. «Wir sind mitten in der Überarbeitung des Themas Arbeitszeit für das gesamte Haus. Weitere Angaben in diesem Zusammenhang machen wir nicht», hiess es auf Anfrage. Die NZZ sagt, sie würde die Gesundheit der Angestellten nicht vernachlässigen. Man nehme das Thema im gesamten Unternehmen sehr ernst.

Zwei Tage nach Eingang der Infosperber-Anfrage, informierte die NZZ-Personalabteilung die NZZ-Redaktion. Aufgrund gesetzlichen Drucks müssten die Angestellten ab 1. Januar 2023 täglich die Summe der geleisteten Stunden selber ins Erfassungssystem eintragen. Verbunden damit war die Aufforderung, diese Vorgabe «mit Vernunft und Augenmass» umzusetzen. Zudem würden von nun an vom jährlichen Stundensaldo die ersten 100 Überstunden gestrichen und der Rest ausbezahlt. Inwiefern und unter welchen Umständen das Gesetz dies erlaubt, hängt von der vertraglich festgelegten Arbeitszeit ab. Dabei können zum Beispiel für Kadermitglieder andere Regeln gelten als für RedaktorInnen.

Wir glauben, dass die Probleme der Arbeitslast und des Produktionsdrucks in vielen Redaktionen, nicht nur bei der NZZ, ein übermässiges Ausmass annehmen.

Urs Thalmann, Geschäftsführer Impressum

Impressum-Geschäftsführer Thalmann findet: «Jeder Arbeitgeber müsste wissen wollen, wie viel die Angestellten arbeiten. Das Unternehmen trägt eine Verantwortung für die Gesundheit der Angestellten. Wir glauben, dass die Probleme der Arbeitslast und des Produktionsdrucks in vielen Redaktionen, nicht nur bei der NZZ, ein übermässiges Ausmass annehmen. Dies schadet letztlich den Unternehmen ebenso wie den JournalistInnen. Darum müssen gemeinsame Lösungen gesucht werden. Ein Gesamtarbeitsvertrag, der für die ganze Branche gilt und verhindert, dass mit den Arbeitsbedingungen eine Konkurrenz nach unten entstehen kann, wäre ein sehr geeignetes Mittel dazu.»

Im Zusammenhang mit hoher Arbeitslast haben JournalistInnen in letzter Zeit wiederholt auf Gesundheitsrisiken wie Burnout und andere Stresssymptome in der Branche hingewiesen. Vor einem Jahr warnte die Organisation «Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz» (JJS) mit der Kampagne «Mental Health im Journalismus». JJS-Co-Präsidentin Simona Boscardin wiederholte die Forderungen nach faireren Arbeitsbedingungen vergangene Woche am Branchentreffen «Journalismustag» in einem Vortrag und sagte entschieden: «Arbeit ist nicht unser Leben.»

Ringen um Gesamtarbeitsvertrag

Bereits 2014 zeigten die JournalistInnen-Gewerkschaften Impressum und Syndicom im Rahmen einer konzertierten Aktion grosse Medienunternehmen wie die NZZ, Ringier, Tamedia oder AZ-Medien wegen ungenügender Arbeitszeiterfassung an. Der Anzeige gegen Tamedia war ein Protestschreiben von 121 RedaktorInnen vorausgegangen. Darin war von regelmässigen 60-Stunden-Wochen und 12-Stunden-Tagen die Rede. Auf Druck des Arbeitsinspektorats führte Tamedia ein Zeiterfassungssystem ein. Später einigte sich ein Arbeitgeber-Dachverband mit dem Gewerkschaftsbund auf die neue Verordnungsgrundlage. Diese wurde in der Folge dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) als gemeinsamer Vorschlag unterbreitet. Das SECO nahm ihn in seiner Verordnungskompetenz an und fügte ihn in die Arbeitsgesetz-Verordnung ein.

Ein Gesamtarbeitsvertrag fehlt im Deutschschweizer Journalismus seit 2004. 2016 nahmen die Gewerkschaften einen letztlich erfolglosen Anlauf. Gemäss Impressum finden zwischen den Parteien gegenwärtig wieder Gespräche statt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

Eine Meinung zu

  • am 2.12.2022 um 14:24 Uhr
    Permalink

    Die NZZ als Sprachrohr der deregulierten und neoliberalen Elite,lebt diese Werte auch im Innern! Dabei sind die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte,die Sorgfaltspflicht und die korrekte Erfassung und Abgeltung der Überzeiten als Überbleibsel der sozialen ( sozialistischen! ) Seite des überflüssigen Staates angesehen!
    Ein GAV ist da so überflüssig wie der empathische und respektvolle Umgang mit den rar gewordenen Fachkräften.Bin eigentlich froh, dass die NZZ nicht zu meiner Pflichtlektüre gehört und wünsche doch wirklich gute Genesung von dem bösen Leiden!

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