Sperberauge

«Advertoriale» und die NZZ am Sonntag

Heinz Moser © zvg

Heinz Moser /  Im redaktionellen Teil von Qualitätszeitungen versteckt sich immer häufiger Werbung. Ein grosses Ärgernis.

In den Zeiten des Internets sind Informationen mit Vorsicht zu geniessen: Fake-News, Gerüchte oder verkappte Werbung finden sich überall, wo Nachrichten verbreitet werden. Gesponserte Inhalte spülen manchen Medienorganen erst die finanziellen Mittel ins Boot, welche das Überleben möglich machen. Eine strikte Trennung von Werbung und Information ist deshalb das Markenzeichen der Qualitätsmedien für die wir uns teure Abonnemente leisten.

Doch leider kommt auch der sogenannte Qualitätsjournalismus immer weniger ohne die Vermischung von Werbung und Information aus. Und das Verstecken der Werbung geschieht da oft noch viel raffinierter, als wenn «sponsored content» in den Boulevardmedien geschaltet wird. Das wurde dem Schreibenden bei der Lektüre der NZZ am Sonntag, dem 4. Dezember, bewusst. Das Potpourri auf der Seite 35, im «seriösen» Wirtschaftsteil der Zeitung, spricht Bände. Oben auf der Seite beginnt es mit einem kritischen Beitrag des Zürcher Wirtschaftsprofessors Tobias Straumann zur energiepolitischen Aufbruchsstimmung. Im Abschluss der Seite steht eine als Anzeige gekennzeichnete Werbung der Firma Kybun zu ihrem medizinischen Schuh. So weit ist alles gut und Werbung sowie redaktioneller Teil sind deutlich voneinander getrennt.

Doch auf derselben Seite äussert sich der «Thurgauer ETH-Ingenieur und Bewegungswissenschaftler Karl Müller» in einem Interview über eine halbe Seite fünfspaltig zu seinen Erfindungen für die Schuhindustrie. Übertitelt ist das Ganze mit «Der Pionier des Gesundheitsschuhs wird 70». Der interviewte Schuhpionier kommt dabei ins Schwärmen. So antwortet er auf die Frage, ob er noch mit 100 Fussball spielen werde: «Mit 70 geht das noch wunderbar. Auch Skifahren geniesse ich jeden Winter in vollen Zügen und ohne Einschränkungen. So Gott will, geht das auch noch mit 100 Jahren.» Und ganz unüblich endet das Interview mit einer tiefen Verbeugung: «Vielen Dank, Herr Müller, für Ihre Zeit und das sehr spannende Interview.» Was das Wichtigste an diesem Artikel ist, darauf macht der Interviewte gleich selbst aufmerksam: «Das Wichtigste hätte ich fast vergessen: Ich trage immer und überall Kybun-Schuhe. So Gott will, werde ich bis ans Ende meines Lebens beweglich bleiben und schmerzfrei gehen können.»

Dem Kybun-Schuh wird also auf dieser Seite nicht nur in der Schlussanzeige ein Denkmal gesetzt. Schon das Interview mit dem Schuhpionier ist auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt als die kommentierenden Äusserungen des Wirtschaftsprofessors zur Energiepolitik. Denn ganz klein steht neben der Titelzeile «Advertorial». Die Leistungen des Schuhpioniers, soll das wohl heissen, werden im Sinne eines Advertorials beschrieben, was uns Leserinnen und Lesern kaum auffällt.

Google sei Dank kann man sich im Netz auch gleich informieren, was ein solches Advertorial ist: Es kombiniert die Begriffe «Advertisement» (Anzeige) und «Editorial» (Leitartikel) – und das heisst nichts anderes, als dass Werbeanzeigen in der Form eines redaktionellen Beitrags erscheinen. Ein deutscher Anbieter für digitales Marketing hält in verdankenswerter Offenheit fest, was ein solches Advertorial soll: «Das Ziel eines Advertorials liegt darin, dem flüchtigen Leser eine Werbeanzeige zu präsentieren, die er nicht als Werbung sondern als glaubwürdigen redaktionellen Beitrag wahrnimmt.»

Problematisch ist an dem Beispiel nicht, dass in diesem Kontext am Schluss noch eine Anzeige geschaltet wird. Viel schwieriger ist es, dass im Gewand des Wissenschaftsjournalismus ein Erfinder und seine Produkte über den Klee gelobt werden. Anstatt einer kritischen Auseinandersetzung bleibt es bei einer Eloge an den Interviewten und einem Selbstlob der Schreibenden für ihr «spannendes» Interview. Und das alles bei einem Pressetitel, der sich in der Schweiz an der Spitze des Qualitätsjournalismus sieht.


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Keine
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3 Meinungen

  • am 10.12.2022 um 15:43 Uhr
    Permalink

    Mit Google findet man ja Erklärungen zu jedem Partyscherz.
    Im Duden Fremdwörterbuch hingegen existiert das Wort «Advertorial» nicht.
    Wäre das eventuell ein Fall für eine Formelle Beschwerde gegen die NZZaS?
    Werbung muss als solche gekenntzeichnet sein, und das darf nicht mit einem Wort geschehen, welches die Werbebranche kurz zuvor zu Täuschungszwecken selber erfunden hat.

  • am 10.12.2022 um 22:34 Uhr
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    Eine seriöse Zeitung sollte nicht nur materiell und faktisch auf «Advertisements» verzichten, sondern in aller Form deklarieren, dass sie so eine Rubrik nicht führt.

  • am 13.12.2022 um 15:03 Uhr
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    Noch schlimmer finde ich viele «richtigen» Artikel. Dass alles was mit Computer/Smartphone, Auto oder Reisen zu tun hat, problematisch ist, geben sogar die Redaktionen zu, machen aber unter dem Druck der Verlage trotzdem weiter. Es sind nicht mal «Advertorials», sondern Artikel von richtigen Journalisten (fast immer männlich), die wohlwollend über die Spielzeuge schreiben, die sie ausprobieren dürfen. Und sich auf die Popularität der Dinge beziehen. Ein Teufelskreis. Immerhin hat der «Bund» keine explizite Autoseite wie die anderen Tamedia-Blätter. Wohl aber «Bund Leserreisen» und ausführliche Reportagen über jedes neue Apple-Produkt.

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