Swissquote_Krebstherapie

Der Krebs ist nicht «bald besiegt», sondern ein «starker Wachstumsmarkt». © Swissquote

Wie Big-Pharma den Krebs besiegen und rentabilisieren will

Werner Vontobel /  Ist der Krebs bald besiegt? Das fragt das Swissquote-Magazin. Es sieht die ganze Welt durch die Brille des Anlegers.

Um es vorweg zu nehmen: Nein, der Krebs wird natürlich nicht besiegt. Das Anleger-Magazin Swissquote beschreibt zwar ausführlich die «5 vielversprechenden Therapien», welche «die Onkologie revolutionieren» werden. Es zitiert Professor Olivier Michielin vom Genfer Universitätsspital wie folgt: «Wir verfügen heute über ein immenses therapeutisches Arsenal gegen Krebs, das sich in den kommenden Jahren noch vergrössern wird.» Ferner ist von einem «totalen Paradigmenwechsel» die Rede. Und dann ist da auch noch dieses grosse, farbige Bild, das allen, die es bisher nicht glauben wollten, zeigt, wie «durch einen mRNA-Impfstoff gegen Krebs die Immunantwort ausgelöst wird». Krebs, wir haben Dich durchschaut.

Kein Sieg – sondern ein «starker Wachstumsmarkt»

Aber nein. Schon auf der ersten Doppelseite des Dossiers springt der Leserschaft eine Graphik ins Auge, die alle Hoffnungen knickt. Unter dem Titel «Starker Wachstumsmarkt» erfahren wir, dass «der weltweite Umsatz der Branche für Krebstherapie bis 2032 die 400-Milliarden-Dollar-Grenze erreichen wird.» Das ist mehr als eine Verdoppelung seit 2024. Sieht so ein Sieg gegen eine Krankheit aus? Wenn der Krebs besiegt wäre, müssten wir ihn doch nicht mit immer noch höheren Milliardenbeträgen bekämpfen. Was die Pharmaindustrie unter «Sieg» versteht, verrät dieses rot auf weiss gedruckte Zitat: «Man kann vernünftigerweise davon ausgehen, dass mehrere Krebsarten eines Tages zu chronischen Krankheiten werden.»

So macht es die Pharmaindustrie immer: Einmal erhöhte Blutdruckwerte, immer Blutdrucksenker. Einmal erhöhte Cholesterinwerte, immer Cholesterinsenker. Heilung ist nicht das Ziel. Das wäre geschäftsschädigend.

Besser ist es, akute Krankheiten zu chronischen Leiden zu machen. Beim Krebs ist man von diesem Ziel noch weit entfernt. 32 Prozent aller Patienten in der Schweiz sind fünf Jahre nach der Diagnose nicht mehr am Leben. Doch die Überlebensrate wird in den nächsten Jahren noch deutlich steigen. Dafür sorgen die neuartigen Früherkennungsdiagnosen, die seit kurzem auf dem Markt sind. Sie kosten 950 Dollar und beruhen darauf, dass Krebszellen Botenstoffe aussenden, die das Immunsystem aktivieren sollten. «Weg da!», scheint die Pharmaindustrie zum Immunsystem zu sagen, «das ist mein Krebs, den habe ich entdeckt und den behandle ich.» Marktführer ist «Guardant Health». Die Analysten seien «begeistert» und rieten  dringend zum Kauf der Aktie. Roche wolle jetzt auch in das Geschäft einsteigen.

Nur dem Immunsystem ein wenig «nachhelfen»

Das 40 Seiten starke Dossier mit zahlreichen Zitaten von Finanzanalysten gibt einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Krebsforschung. Diese ist offensichtlich zur Überzeugung gelangt, dass Krebs eine Krankheit des Immunsystems ist. Die Beschreibung der diversen Wirkungsmechanismen aller fünf vielversprechendsten Therapien machen auch dem Laien klar: Unser Immunsystem ist dafür geschaffen worden, Krebszellen zu erkennen und zu bekämpfen. Wir müssen ihm nur ein wenig nachhelfen, etwa indem wir der herkömmlichen Chemotherapie einen Antikörper beifügen, der hilft, die Krebszellen besser zu erkennen und gezielter zu bekämpfen. Oder indem wir die Enzyme ein- oder ausschalten, die unser Immunsystem blockieren oder aktivieren.

Doch der aufmerksame Laie wird sich auch fragen, warum das Immunsystem der meisten Menschen seine Aufgaben auch ohne fremde Hilfe erfüllt. Und warum der Anteil der immunschwachen Menschen stetig steigt. Schlucken sie vielleicht zu wenig Medikamente, oder hängt das vielleicht mit dem immer ungesünder werdenden Lebensstil zusammen? Das ist der Ansatz der Lebensstil-Medizin. Statt punktuell in das Immunsystem einzugreifen, versucht sie zu verstehen, wie das Immunsystem im Normalfall funktioniert und was diese Funktion beeinträchtigt. Zu wenig Bewegung etwa, zu viel Zucker und Kohlenhydrate. Sie weiss, dass alle Immunzellen Vitamin-D-Rezeptoren haben und auf eine ausreichende Zufuhr angewiesen sind. Dazu gibt es nicht nur viele Fallberichte, sondern auch zahlreiche Studien. Die Erfolgsquote liegt zwar bei weitem nicht bei 100 Prozent, aber die Nebenwirkungen sind selten und milde.

Weit davon entfernt, etwas zu verstehen

Das gilt leider nicht für die angepriesenen revolutionären Therapien wie etwa  ADC, eine Chemotherapie die dank Antikörper-Konjugaten die Krebszellen gezielter bekämpfen kann. Zu den heftigen und häufigen Nebenwirkungen gehören unter anderem Haarausfall, Fatigue, Appetitlosigkeit, Durchfall, Anämie, Taubheit (hier). Diese Reaktionen zeigen, dass bei den «gezielten» Eingriffen der Pharma-Industrie in das Immunsystem oftmals Zauberlehrlinge am Werk sind. Doch diese Problematik wird auf den 40 Seiten nur ganz versteckt angedeutet. Da liest man, dass es für einen Krebspatienten mehr als «2000 Milliarden Bytes an relevante Daten» gibt, die man nur durch künstliche Intelligenz einordnen könne. Im Klartext: Wir sind weit davon entfernt, das hoch komplexe Immunsystem zu verstehen.

Doch für die Pharmaindustrie und ihre Investoren sind solche Überlegungen geschäftsschädigend. Sie würden sehr viel Geld verlieren, wenn die Zweifel wachsen und wenn sich die Lebensstil-Medizin durchsetzen würde. Pfizer etwa hat erst vor einem guten Jahr für 43 Milliarden Dollar das auf ADC-Therapien spezialisierte Unternehmen Seagan gekauft. Dieses hat bisher nur Verluste gemacht, hat aber ihre Top-Manager mit dreistelligen Millionenboni verwöhnt. Bis dieses Investment rentiert, müssen die Krankenkassen weltweit noch weit über 100 Milliarden Dollar für die ADC-Therapien allein von Seagan ausgeben, von allen anderen Mitbewerbern ganz zu schweigen.

400 Milliarden Dollar will der «medizinisch-finanzielle Komplex» im Jahr 2032 mit Krebs-Medikamenten umsetzen. Nach einer anderen Quelle soll diese Grenze schon in drei Jahren erreicht sein. Damit es so kommt und bleibt, lohnt es sich, ein paar Prozent davon in das Narrativ zu investieren, wonach die Pharmaindustrie drauf und dran sei, den Krebs zu besiegen, dass damit allen Investoren gedient sei und dass allfällige Nebenwirkungen nicht der Rede wert seien.

Das Swissquote-Magazin hat gezeigt, wie man das macht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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2 Meinungen

  • am 12.07.2024 um 16:30 Uhr
    Permalink

    Ein wirklich «teures Magazin»… Kein Wort über die wirklichen Ursachen von «Krebs» die jeder wirklich biologisch denkende Mensch in unserer, durch Buchstaben und Zahlen, die es in der Natur gar nicht gibt, intuitiv, ununterbrochen beschäftigt, (Power-Stress) permanent versteht (nach Lösung ringend). Ca. 17500 Menschen in CH erhalten jedes Jahr eine Krebsdiagnose,
    Diagnose auf Deutsch = Diskriminierung = wertlos. Umsatz ca. 7 Milliarden…
    Habe vor mehr als 10 Jahren 3 Krebsdiagnosen erhalten und bin seit mehr als 9 Jahren nicht mehr zum Arzt gegangen, es geht mir gut, brauche aber viel Sonne, viele Eier und das Meer…
    Lese gerne die alten Bücher von
    Ivan Illich und 5BN von Marc Pfister ueber die Grundlage/Entstehung des

  • am 13.07.2024 um 11:54 Uhr
    Permalink

    Die Idee eines neuen Krebsverfahrens ist es, dass Krebszellen sich selbst zerstören. Forschende ziehen Vergleiche mit dem „trojanischen Pferd“.

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