We Rich First – wir Reichen zuerst
Die Studiengruppe «German Foreign Policy» – für politisch Interessierte eine wichtige Informationsquelle – macht darauf aufmerksam, dass die westlichen Staaten sich gegen die Freigabe der «Patentrechte» an Pandemie-Impfstoffen wehren, was zu einer Erleichterung der Covid-19-Krise in den Entwicklungsländern führen würde:
«Deutschland und die EU sollen Massnahmen zur Versorgung ärmerer Länder mit Covid-19-Medikamenten und -Impfstoffen nicht mehr weiter verhindern. Dies fordern Menschenrechtsorganisationen vor der heute beginnenden Tagung des Allgemeinen Rats der Welthandelsorganisation WTO. Ursache für die Forderung ist, dass die reichen westlichen Staaten den Vorschlag Indiens und Südafrikas blockieren, die Patentrechte auf Covid-19-Impfstoffe während der Dauer der Pandemie auszusetzen. Beschlösse die WTO das, dann könnten ärmere Länder eigenständig die Vakzine produzieren, die sie dringend benötigen, die aber knapp sind: Der transatlantische Westen, darunter die Bundesrepublik, hat sich bereits vorab 85 Prozent der Produktion reserviert – viel mehr, als er für seine eigene Bevölkerung braucht. Beinahe leer gehen dagegen bisher die Entwicklungsländer aus. Freilich erhalten sie, anders als früher, diesmal Impfstoffe aus Russland und China. In Berlin heisst es mit Blick auf die politischen Folgen, man solle wenigstens etwas von den eigenen überzähligen Impfdosen abgeben und dies dann ‹gut kommunizieren›.»
«gut kommunizieren»
Es ist der pure Egoismus der reichen Länder, fast die ganze Produktion von – im Westen produzierten – Impfstoffen schon jetzt, also noch vor der rechtlichen Freigabe der Impfstoffe, reserviert bzw. gekauft zu haben. «We Rich First» – «Wir Reiche zuerst»: Was kümmern uns denn die Anderen? Nur: Dass deswegen Russland und China, die bereit sind, ihre Impfstoffe zu günstigen Bedingungen an ärmere Länder weiterzugeben, imagemässig oder gar politisch profitieren könnten, ist natürlich auch wieder nicht erwünscht. Deshalb der Hinweis auf die «Kommunikation».
Nicht erwähnt: die Schweiz
Im Bericht der Arbeitsgruppe «German Foreign Policy» wird die Schweiz nicht speziell erwähnt. Die Realität ist: Auch die Schweiz hat bereits 400 Millionen Franken bewilligt und damit Impfstoffe für schon mal 9,8 Millionen Impfungenreserviert, sicherheitshalber gerade von zwei verschiedenen Anbietern. Zurzeit ist sie mit einem dritten Anbieter in Verhandlung zur Reservation weiterer 1,5 Millionen Impfdosen. Diesen Luxus kann sich die Schweiz, eines der reichsten Länder der Welt, einfach leisten.
«Rhetorik und Praxis»
«German Foreign Policy» erlaubt sich, das Verhalten von Deutschland in dieser Sache näher zu beleuchten und die dahinterstehende Doppelmoral unter dem Titel «Rhetorik und Praxis» zu kritisieren.
«Während Berlin nach Optionen sucht, die sich abzeichnende Verschiebung politischer Loyalitäten weg vom Westen hin zu Russland und China zu stoppen, üben Menschenrechtsorganisationen scharfe Kritik – wegen der Blockade der Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte bei Covid-19-Impfstoffen durch die WTO. Die Pandemie sei ‹eine weltweite Notsituation›, heisst es in einer gestern publizierten Stellungnahme von Amnesty International: Deutschland und die EU müssten sich auf der heute beginnenden Tagung des Allgemeinen Rats der WTO dafür stark machen, dass, wie es Indien und Südafrika forderten, ‹der Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe, -Tests und -Behandlungen … so lange ausgesetzt› werde, ‹bis der Pandemienotstand beendet ist und alle geschützt sind›. Zwar werde ‹öffentlich› stets ‹von internationaler Solidarität gesprochen›; in der Praxis aber werde ‹zu wenig› für die ärmeren Staaten getan. Amnesty International gehört zu den Organisationen, deren Berichte und deren Urteil die westlichen Mächte gern zitieren, wenn es ihnen hilft, politische Aggressionen gegen gegnerische Staaten zu legitimieren. Richten Amnesty oder andere Menschenrechtsorganisationen hingegen ihre Kritik gegen Praktiken des Westens, bleiben Reaktionen gewöhnlich aus – so auch im Konflikt um die Verhinderung der erforderlichen Impfstoffversorgung des ärmeren, nichtwestlichen Teils der Welt.»
Dem ist für die Schweiz nur etwas beizufügen: Als sehr reiches und sogenannt neutrales Land sollte und könnte sich die Schweiz erst recht für die Interessen auch der ärmeren Länder einsetzen. Der Bundesrat ist gefordert, und zwar mit einem Engagement in der WTO zur Aufhebung des Patentschutzes und nicht nur mit 20 Millionen Franken, die er bisher für das internationale Impfprogramm Covax gesprochen hat.
Am 2. Oktober 2020 haben Indien und Südafrika gemeinsam einen Vorschlag eingebracht, der für die Dauer der Pandemie die Freigabe der Patentrechte an Pandemie-Impfstoffen vorsieht. Diesem Vorschlag haben sich inzwischen Kenia, Eswatini (ehemals: Swasiland), Pakistan, Mosambik und Bolivien in aller Form angeschlossen. Der Vorschlag wird von den meisten ärmeren Ländern unterstützt, von den westlichen Staaten jedoch entschieden zurückgewiesen – insbesondere von den USA, der EU, der SCHWEIZ und Großbritannien.
Die ‘Konzernverantwortungsinitiative’ lässt grüssen.
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