UK: «Ich habe Angst, jemals wieder ins Spital gehen zu müssen»
Red. – Im ersten Teil dieses Artikels berichtete Infosperber über die Zustände im britischen Gesundheitsdienst NHS. Im Folgenden schildert eine Britin ihre Erlebnisse. Sie ist der Redaktion namentlich bekannt. Da sie im Fall einer Erkrankung auf den NHS (National Health Service) angewiesen wäre und Nachteile befürchtet, möchte sie anonym bleiben.
«Ich bin mein ganzes Leben lang sehr gesund gewesen, abgesehen von meiner Arthrose. Vor einigen Jahren habe ich eine neue Hüfte bekommen, nachdem ich zwei höllische Jahre lang auf der Warteliste gestanden hatte. Die Operation fand in einem der besten Lehrkrankenhäuser des Vereinigten Königreichs statt und war ein voller Erfolg.
Aber die Tage im Krankenhaus waren katastrophal. Tagsüber gab es nicht genügend Pflegepersonal auf der Station, und nachts war nur eine Pflegekraft für drei Stationen zuständig. Ich habe mich schliesslich selbst entlassen, weil ich realisierte, dass ich im Krankenhaus gefährdet und zu Hause besser aufgehoben war.
Seither war ich mehrmals im Krankenhaus, wegen Komplikationen nach einer früheren, missglückten Operation. Ich hatte auch Pech: Ein Termin für eine Revisionsoperation im April 2020 platzte, weil wegen Covid die chirurgische Abteilung geschlossen und das gesamte Personal in den Coviddienst versetzt wurde. Als ich 2021 endlich operiert wurde, war ich ein Wrack.
Morgens um Schmerzmedikament gebeten, abends erhalten
Im Jahr 2022 war ich in einem anderen grossen Lehrkrankenhaus zu einer Revisionsoperation, um die Folgen der vorherigen Revisionsoperation zu beheben. Mir fiel damals auf, wie sehr das Gesundheitswesen noch weiter zusammengebrochen war: Es herrschte ein enormer Mangel an Pflegepersonal und diesmal auch ein gravierender Mangel an Ärzten.
Ein Beispiel: Patienten auf meiner Station baten um 9 oder 10 Uhr morgens um Schmerzmittel. Aber sie brauchten dafür Rezepte, und es war kein Arzt verfügbar – alle Ärzte waren in Ambulanzen tätig und konnten nicht auf die Station kommen, bis die Sprechstunden dort endeten, vielleicht um 17 Uhr.
Zum ersten Mal bemerkte ich auch den Mangel an Medikamenten. Eines Nachts hatte ich starke Kopfschmerzen und bizarre Halluzinationen. Da ich schwach und wackelig war, konnte ich nicht herausfinden, was los war. Ich hatte grosse Angst. Als endlich eine Krankenschwester kam, sagte ich ihr, dass ich dachte, ich hätte Migräne, und beschrieb ihr, was passiert war. Sie sagte sofort: ‹Nein, das ist keine Migräne. Ich weiss, was los ist: Es ist eine Reaktion auf die Antibiotika-Infusion.›
Ich wies sie darauf hin, dass ich dieses Antibiotikum schon mehrere Tage lang bekommen hatte, ohne eine solche Reaktion. Sie erwiderte: ‹Nein, DIESES Antibiotikum ist ausgegangen, in der Apotheke ist keines mehr da, also habe ich stattdessen ein anderes angehängt, und die Halluzinationen sind eine bekannte Reaktion bei manchen Menschen!› Sie entschuldigte sich, nahm die Infusion sofort ab und versprach, alle Stationen des Spitals anzurufen, um zu sehen, ob sie das richtige Antibiotikum besorgen könne, bevor sie am Morgen ihren Dienst beendete. Danach bin ich ziemlich schnell nach Hause gekommen.
Termine aus eigener Tasche bezahlen
Ich habe keine private Krankenversicherung, ich habe mich immer für den NHS eingesetzt. Aber zweimal, als ich eine Notfallkonsultation brauchte und im NHS nichts bekommen konnte, habe ich private Termine bei meinem NHS-Berater gebucht, um von ihm privat behandelt zu werden. Innerhalb weniger Tage wurde ich behandelt, was jedes Mal 350 £ kostete.
Ich habe jetzt Angst und Schrecken davor, jemals wieder ins Spital gehen zu müssen. Dabei kann ich mich noch nicht einmal beschweren, weil ich ja zu den Glücklichen gehöre: Ich bin in den letzten Jahren in Spitälern ein- und ausgegangen und kann von Glück sagen, dass ich noch am Leben bin!
Jetzt streiken die Krankenwagenfahrer und Sanitäter und – zum ersten Mal in der Geschichte des NHS – auch die Pflegekräfte. Trotz des Schreckens und der Unannehmlichkeiten unterstützt die Öffentlichkeit die Streiks.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors. Übersetzung mit Hilfe von deepl.com
Danke für den Bericht. Auch ich habe Angst. Einerseits von den vielen Operationen, wo nicht immer alles gerade ging, und noch mehr seit den letzten 2 Jahren. Meine sterbende Mutter sowie Bruder durfte ich nicht besuchen, dazu kam die Angst, mit irgendeinem Spitalkäfer angesteckt zu werden, oder mich einem minderwertigen Test beugen zu müssen per Befehl. Als ich am Unterkiefer eine kleine Kieferknochen-Nekrose erlitt, als die Influenza grasierte, und der Knochen durch das Zahnfleisch sichtbar wurde, habe ich mit fotografischer Dokumentation das Knochenstück selber extrahiert (1.3 cm breit, 5mm tief ) desinfiziert und die kleine Wunde verklebt. Meine Knie haben gezittert. Da ich medizinisch nicht unerfahren bin, war dies möglich. Die Dokumentation ging an meinen Hausarzt, welcher später die Selbst-Op überprüfte. Was noch kommt, ist ein Knochenscann, wenn die Grippewelle vorbei ist, um zu sehen ob noch irgendwo was davon übrig ist. Ich lerne, mit Angst zu leben und vorsichtiger zu sein.
Schweiztypisch sind die hohen Preise. Aber ist es besser?
Blick titelt (29.12.2022): «Überfüllte Spitäler, fehlende Medikamente, kein Personal – das Gesundheitswesen in der Schweiz scheint selbst zum Patienten zu werden. Die Gründe liegen tiefer als in der Corona-Krise und reichen weit zurück.» und schreibt: «Wer sich in diesen Tagen in ein Schweizer Spital verirrt, wähnt sich in einer Dokumentation über das marode Gesundheitswesen in Grossbritannien oder schlimmer.»
Als ich akut krank (nicht Corona/Grippe) war Dezember (Bettruhe), fand ich praktisch niemand für Einkäufe etc. Beispiel 30.Dez. vormittags: mein Hausarzt nicht erreichbar; hausärztlicher Notfalldienst gemäss Website hätte Dienst, hatte aber nicht; Notfallaufnahme Kantonsspital, ich sage der Telefonistin ich will Arzt sprechen; es werde mir eine/r zurückrufen, «irgendwann», der Anruf kam nie. PS: Ich wohne in Chur, nicht auf dem Matterhorn.
Mit dieser Erfahrung sind Sie nicht die einzige Person. Das erste was ich als kleiner Knirps lernen konnte, ist der Druck von Oben, lösbare Probleme tot zu schweigen. Als Jugendlicher schien ich mich einem Zwangsenthusiasmus ausgesetzt, als wäre es ein fester Bestandteil der Mentalität. Macht man sich selbst daran, irgend einen Missstand konstruktiv an zu gehen, riskiert man noch als Bedrohung oder Nestbeschmutzer betrachtet zu werden. Totschweigen funktioniert aber nicht, wahrnehmbare Missstände sind Chancen, etwas zu verbessern.