Corona Pandemie Social Distancing

Es gab keinen Zusammenhang zwischen der Übersterblichkeit und wie streng die Anti-Corona-Massnahmen waren. © AndreyPopov / Depositphotos

Übersterblichkeit: «Die meisten waren keine Corona-Toten»

Martina Frei /  Der Versicherungsmathematiker Matthias Reitzner analysiert die Übersterblichkeit während der Pandemiejahre.

Der Mathematik-Professor Matthias Reitzner und der Psychologie-Professor Christof Kuhbandner berechneten die Übersterblichkeit in Deutschland und Österreich. Im ersten Teil dieses Interviews erläuterte Matthias Reitzner die Resultate, die er so nicht erwartet hatte. Im dritten Pandemiejahr verstarben in Deutschland mehr Menschen als im ersten und zweiten Pandemiejahr zusammen. Und je mehr geimpft wurde in den Bundesländern, desto höher stieg dort die Übersterblichkeit an. Hier der zweite Teil des Interviews.

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Das Forschungsinstitut der «Barmer»-Krankenkasse hielt Ihre früheren Berechnungen für «nicht haltbar». Es wies zum Beispiel darauf hin, dass die Grippe Ende 2022 viele Todesfälle verursacht habe. Die starke Grippe hat auch laut der (von Ihnen im ersten Teil des Interviews erwähnten) Studie in «The Lancet Regional Health – Europe» im Jahr 2022 zur Übersterblichkeit beigetragen.

Die medizinischen Gründe für die Übersterblichkeit können aus den uns vorliegenden Daten nicht abgelesen werden. Eine Grippewelle erscheint mir als Erklärung unwahrscheinlich, da selbst schwere Grippewellen normalerweise höchstens 25’000 Tote verursachten – im dritten Pandemiejahr hatten wir aber eine Übersterblichkeit von 78’000 Toten. Bei den Krankenversicherungen gibt es unendlich viele Daten. Ich verstehe nicht, warum man die nicht ergebnisoffen auswertet, wenn man die Ursachen der Übersterblichkeit bestimmen möchte.

Die erwähnte Studie in der Fachzeitschrift «The Lancet Regional Health – Europe» fand wie Sie keinen Beleg, dass die Anti-Corona-Massnahmen die Übersterblichkeit beeinflussten. In zwei anderen Punkten kommt diese Studie aber zu ganz anderen Ergebnissen als Sie: Die Übersterblichkeit in Europa sei im Kalenderjahr 2021 am höchsten gewesen und danach gesunken. Zweitens sank die Übersterblichkeit hochsignifikant dort am stärksten, wo viele Menschen vollständig geimpft waren. Was sagen Sie dazu?

Zunächst ist die Berechnung der Übersterblichkeit in dieser Studie sehr ungenau. Für Deutschland und Österreich jedenfalls steigt die Übersterblichkeit von 2020 bis 2023 durchgehend an. Wir haben die Ergebnisse dieser Studie dann trotz der ungenauen Rechnungen selbst analysiert. 

Mit welchem Resultat?

Diese Studie stellt dasselbe fest wie wir: Die Übersterblichkeit bis Mitte 2020 korreliert statistisch mit der Impfquote im zweiten Jahr. Das würde bedeuten: Je mehr Menschen im Jahr 2021 geimpft wurden, desto weniger starben im Jahr zuvor. 

Zur Person

Professor Dr. techn. Matthias Reitzner
Professor Dr. techn. Matthias Reitzner

Professor Dr. techn. Matthias Reitzner (58 J.) studierte Technische Mathematik an der TU-Wien, danach Versicherungsmathematik und ist anerkannter Aktuar. Nach Aufenthalten in Freiburg und Salzburg wurde er 2009 auf den Lehrstuhl für Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik an der Universität Osnabrück berufen und leitet seit 2011 das Institut für Mathematik an der Universität Osnabrück. Der gebürtige Österreicher ist gegen alles geimpft und wollte sich auch gegen Covid-19 impfen lassen – bis er gesehen habe, «dass es in Deutschland im Jahr 2020 allen aufgeregten Meldungen zum Trotz keine Übersterblichkeit gab, und dann ab Mitte 2021 die Aufforderung zum Impfen in einem unfassbar ausgrenzenden Ton vorgetragen wurde, der an dunkle Zeiten in Deutschland erinnerte». Seitdem beschäftigt sich Reitzner kritisch mit der Übersterblichkeit während der Pandemiejahre.

Die Impfung kann aber doch nicht rückwirkend schützen?

Genau. Also muss da ein weiterer Faktor hineinspielen. Ab Mitte 2020 bis Ende 2021 findet man in dieser Studie ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Impfquote und Übersterblichkeit, wie man ihn erwarten würde: Je höher die Impfrate, desto weniger Übersterblichkeit. Aber ab dem Jahr 2022 kehrt es auch dort um: Je höher die Impfrate, desto mehr Übersterblichkeit. Betrachtet man den Anstieg der Übersterblichkeit, so stellt man fest, dass ab Mitte 2021 ein hochsignifikanter Zusammenhang besteht: Je höher die Impfrate, desto stärker steigt die Übersterblichkeit. Wir haben die Autoren und die Zeitschrift darauf hingewiesen.

Die Autoren dieser Studie schreiben, «die Gründe für die Übersterblichkeit im Jahr 2022, sogar in Ländern mit hohen Impfraten, sind schwierig zu erklären und könnten teilweise mit der Wirkung von Covid-19 auf andere Krankheiten zusammenhängen». Wie haben sie auf Ihre Kritik reagiert? 

Der Gutachter fand unseren Hinweis fragwürdig und einer der Autoren teilte uns mit, er denke nicht, dass es eine Studie brauche, welche die Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe in Frage stelle. Soviel zur wissenschaftlichen Unvoreingenommenheit und Neugierde.

Könnte die sehr ansteckende Omikron-Virusvariante, die sich ab Ende 2021 verbreitete, der unbekannte Faktor sein, der dazu führte, dass die Übersterblichkeit derart stieg? 

Dazu kann ich als Mathematiker nichts sagen. Man müsste erstens prüfen, ob «Omikron» sich überall dort «zurückgehalten» hat, wo wenig geimpft wurde. Und zweitens, ob «Omikron» durch die Tests nicht entdeckt wurde. Denn die beobachteten Covid-19 Todesfälle erklären die Übersterblichkeit nicht.  

Gab es innerhalb der drei Pandemiejahre bestimmte Zeiträume, Faktoren oder Altersgruppen, in denen sich Todesfälle besonders häuften?

Ja. Im ersten Pandemiejahr starben um die Weihnachtszeit massiv mehr Menschen über 70 Jahre. Das war einer schweren Grippewelle vergleichbar und ging mit der Zunahme an positiven Corona-Tests einher. Das waren eindeutig Corona-Todesfälle. Ab dem Sommer 2021 stieg die Übersterblichkeit in sämtlichen deutschen Bundesländern ständig weiter, und sie betraf nun überraschenderweise alle Altersgruppen mit einer Ausnahme: Die 50- bis 60-Jährigen blieben verschont. Das war übrigens auch in Österreich so und hat mich sehr überrascht. 

Was macht Sie sicher, dass die von Ihnen gefundenen Zusammenhänge nicht einfach Zufälle sind? Weniger Störche und weniger Geburten hängen ja auch nur scheinbar miteinander zusammen.

Mit dem Argument des «Zufalls» kann man alles in Frage stellen, auch die Zulassungstests von Medikamenten, die ebenfalls nur Korrelationen messen. Fakt ist: Im ersten Pandemiejahr korrelierte die Übersterblichkeit am stärksten mit der Anzahl der Covid-Todesfälle. Im dritten Pandemiejahr aber war die Impfquote der Faktor, der am stärksten mit der Übersterblichkeit Hand in Hand ging. Es war nicht die unterschiedliche Altersstruktur der Bevölkerung in den Bundesländern, nicht das Bruttosozialprodukt, nicht die Anzahl der Pflegefälle, nicht die Strenge der Massnahmen und nicht die Armutsrate. Das haben wir alles geprüft. Ausserdem fanden wir die gleichen Zusammenhänge – mehr Übersterblichkeit trotz höherer Durchimpfung – auch in Österreich und als wir Deutschland getrennt nach West- und Ostbundesländern auswerteten. 

Was sagt die Todesursachenstatistik?

Das wäre interessant, aber wir haben sie nicht ausgewertet. Denn die Angaben auf Totenscheinen widerspiegeln die wahren Todesursachen nicht zuverlässig. Auch Studien, bei denen anhand der Antikörper im Blut untersucht wurde, ob jemand schon eine Sars-CoV-2-Infektion hatte oder nicht, wären interessant. Aber ich kenne keine solche Studie, bei der das auf Bundesebene flächendeckend untersucht wurde. Solche Studien fanden nur punktuell statt. 

Sie schreiben in Ihrer Studie selbst, dass ein unbekannter, dritter Faktor die Sterblichkeit hochgetrieben haben könnte. Dann wäre der Zusammenhang mit den Impfungen nur ein scheinbarer.

Ja, dieser unbekannte Faktor müsste jedoch mehrere Bedingungen erfüllen: Er müsste im Verlauf des zweiten Pandemiejahres plötzlich auftauchen und er müsste sich in genau den Bundesländern am stärksten auswirken, die bis dahin die geringste Anzahl an Covid-Infektionen hatten. Ausserdem müsste er zu den Zeiten am deutlichsten zu Tage treten, als am intensivsten geimpft wurde. Es dürfte schwierig sein, einen Faktor zu finden, der alle diese Bedingungen genauso erfüllt wie die Covid-Impfungen. 

Es gab diverse Unterschiede in den Jahren 2020, 2021 und 2022: Andere «Massnahmen», neue Impfstoffe, neue Virusvarianten, wieder aufflackernde Infektionskrankheiten wie Grippe oder RSV … Trotzdem vermuten Sie, dass die Impfungen der springende Punkt sind bei der Übersterblichkeit. Warum?

Weil ich bisher ausser den Impfungen keine andere, halbwegs vernünftige Erklärung gesehen habe, die alle Befunde erklären könnte. 

Die grossen Impfstudien der mRNA-Hersteller kamen zum Zwischenergebnis, dass es sich um hochwirksame Impfstoffe handle. Und Sie schlussfolgern, dass es zwischen den Covid-Impfstoffen und der massiven Übersterblichkeit im zweiten und vor allem im dritten Pandemiejahr einen auffälligen Zusammenhang gibt. Wie passt das zusammen? 

Ich kann nicht sagen, was genau die Übersterblichkeit erhöht hat. Ob das die mRNA-Impfstoffe betrifft, weiss ich nicht. Theoretisch wäre es auch möglich, dass beispielsweise massenhaft verunreinigte Spritzen das Problem waren oder Verunreinigungen im Impfstoff. Aus den Daten geht bloss hervor, dass es einen starken Zusammenhang mit den verabreichten Impfungen gibt. Wenn man aber die Gesamtsterblichkeit in den grossen hersteller-gesponserten Impfstudien betrachtet, sieht man, dass in der Impfgruppe und in der Placebogruppe anfangs praktisch gleich viele Menschen starben. Dann wurden in diesen Studien schnell auch alle in der Placebogruppe geimpft. Damit war ein Vergleich des weiteren Verlaufs nicht mehr möglich. 

Was bleibt nun zu tun?

In Deutschland sind etwa 127’000 Menschen mehr gestorben als sonst, und die meisten waren keine Corona-Toten. Das ist verheerend. Und wo mehr geimpft wurde, stieg die Übersterblichkeit. All das schreit danach, das weiter zu untersuchen – aber es scheint hier niemanden zu interessieren. Man könnte zum Beispiel analysieren, ob bestimmte Impfstoffe einen stärkeren Zusammenhang mit der Übersterblichkeit haben als andere. Ich wünschte, es gäbe mehr Untersuchungen von unabhängigen Wissenschaftlern, die dem Ganzen weiter nachgehen. Es wäre mehr als dringend nötig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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