NAZ_8299-140424

Die «Welt am Sonntag» zeigt das Ausmass der Probleme in der Herzchirurgie des Universitätspitals Zürich. © usz.ch

Schreckens-Report: Unispital-Herz sorgt für Panik-Schübe

Lukas Hässig /  24 Experten zeigen auf, wie Chef Maisano vier Jahre lang gewütet hat. Gesundheitsdirektorin Rickli: Angriff auf «Welt am Sonntag».

Seit Sonntag ist im Skandal um 150 unnötige Tote und unzählige Geschädigte an der Herz-Chirurgie des Unispitals Zürich nichts mehr wie vorher. Auslöser ist ein langer Artikel der «Welt am Sonntag». Dieser jagt einem kalte Schauer über den Rücken. Die Herz-Chirurgie des Unispitals Zürich war unter der alten Leitung zur Todesfalle geworden.

Fieberschübe bei Rickli

Brisant sind Passagen im Artikel, die sich auf einen bis dato unbekannten Bericht stützen. Der sorgt jetzt für Fieberschübe bei der zuständigen Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli. Die Chefbeamten der SVP-Regierungsrätin gingen nach Erscheinen der Story sofort auf die Verfasserin los. Von ihr und der «Welt am Sonntag» forderten sie eine Berichtigung.

Die Journalistin liess sich nicht einschüchtern, sondern drehte den Spiess um. Sie verlangt nun Auskunft von Rickli und ihrer Gesundheitsdirektion, wann diese von den Missständen erfahren und was sie danach dagegen unternommen hat. Inzwischen hat die Zeitung die Aussage, der Bericht stamme aus der Rickli-Küche, korrigiert. Die Autoren sind mehrheitlich Kaderleute vom Spital.

Das Duell Rickli gegen «Welt am Sonntag» ist der jüngste Höhepunkt einer Affäre, die Zürich im Kern erschüttert. Was im bisher unbekannten Bericht unter dem Titel «Interdisziplinäre Task Force HTG (Herz-Gefäss-Thorax)» zum Vorschein kommt – enthüllt just von einer deutschen Zeitung –, stellt alles Bisherige in den Schatten.

Leben wurden zerstört

Auf gut 30 Seiten schildern 24 Experten vom Unispital, von der Universität und von der Gesundheitsdirektion ein Grauen, das sich keiner in seinen wildesten Albträumen vorstellen konnte. Das Leben vieler Patienten, das kaum gefährdet gewesen wäre, wenn sie die angezeigte Behandlung erhalten hätten, wurde zerstört. Jenes der Angehörigen ebenso.

«Der menschliche, berufsethische, professionelle, finanzielle, forschungs-, ausbildungs- und imagemässige Schaden dürfte für schweizerische Verhältnisse einmalig sein», schreiben die Autoren des Berichts als Fazit.

In der vorliegenden Version fehlt ein Datum, auch ist nicht klar, wer alles den brisanten Bericht zugestellt erhielt. Adressat ist die «Subkommission der Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit» des Zürcher Kantonsrats. Diese bestand zum wahrscheinlichen Zeitpunkt des Berichts, irgendwann in der zweiten Hälfte 2022, nicht mehr. Somit müsste er an die «Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit» gegangen sein.

Politikerinnen blieben stumm

Dort blieben die zwei zuständigen Politikerinnen stumm, die ehemalige und die aktuelle Präsidentin. Raffaela Fehr, die im 2023 übernahm, bat um Zustellung des «Welt-am-Sonntag»-Artikels, danach meldete sie sich nicht mehr.

Bei der Gesundheitsdirektion meinte gestern Abend ein Sprecher: «Der Regierungsrat hat weder eine ‹interdisziplinäre Arbeitsgruppe› ins Leben gerufen noch einen entsprechenden ‹Abschlussbericht› in Auftrag gegeben.“ Und weiter: «Wir haben uns – wie ich Ihnen gestern telefonisch mitgeteilt hatte – diesbezüglich mit der ‹Welt am Sonntag› in Verbindung gesetzt, um zu erfahren, wie diese falsche Textpassage zustande gekommen ist.»

Was aus diesem Bericht wurde, wer ihn erhalten hatte und was dann unternommen wurde oder nicht, das soll jetzt rasch aufgedeckt werden. Hinter den Kulissen laufen entsprechende politische Vorstösse.

Hohe Sterberate

Der Bericht der 24 Experten deckt erstmals mit harten Zahlen auf, wie stark die Sterberate unter Herzchirurgie-Chef Francesco Maisano von 2016 bis 2020 hochgeschossen war und wie sein Nachfolger Paul Vogt diese danach ins Lot brachte. Unter «ACBP-Chirurgie» als eine der vielen Therapie- und Operationsarten «lag die Sterberate in der Herzchirurgie des USZ 10 bis 15 Mal höher als in vergleichbaren Kliniken in der Schweiz oder in Deutschland», steht im Bericht.

Davon wusste die Öffentlichkeit dank eines «Tages-Anzeiger»-Artikels bereits 2018, als die Zeitung von einer Mortalität von 6.5 Prozent schrieb. «Interessanterweise notierte die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich sogar eine operative Mortalität von 11,2 Prozent für diese Operationsart», steht im jetzt bekannt gewordenen Bericht.

Was unternahmen Rickli und ihre Leute, als diese unglaubliche Dimension auf dem eigenen Tisch lag?

Nachdem Paul Vogt am 1. Juli 2020 notfallmässig das Steuer in der USZ-Herzchirurgie übernommen hatte, sank die Mortalitätsrate schnell und rapide ab. Unter «Status heute» steht im Bericht (also wohl um Mitte 2022 herum): «Nach dem Weggang des Klinikdirektors M. betrug die Mortalität der elektiven Bypass-Operation zwischen dem 1. September 2020 und Ende 2021, respektive Ende (sic!) 31. Mai 2022 0 Prozent (bei teilweise schwierigem Hospitalisations-Verlauf).»

Rasche Besserung – ohne Maisano

Von 11,2 auf 0 in anderthalb Jahren – Maisano-Entfernung sei Dank. In vielen weiteren Operations- und Einsatzarten sieht das Bild ähnlich aus. Während unter Francesco Maisano die Todeszahlen und die notwendig gewordenen Nachoperationen in die Höhe schossen, kamen sie unter Vogt schnell wieder ins Lot. Oft waren Vogts Resultate sogar deutlich besser, als aufgrund des Gesundheitszustands der Patienten und dem Risiko der angewendeten Behandlungsart (sogenannter Euro-Score) zu erwarten gewesen wäre.

Unter Maisano wurde nicht nur beim Operieren gepfuscht, sondern auch bei der Hygiene. Unter «Infektrate in der Herzchirurgie» halten die Experten in ihrem Bericht Folgendes fest: Laut Swissnoso betrug sie 2018 in der Herzchirurgie 7,3 Prozent, das war das Doppelte des schweizerischen Durchschnitts.» Und weiter: «Status heute: Seit der 2. Hälfte 2020 traten bei 2 eigenen, im USZ operierten Patienten Wundinfektionen im Sternum-Bereich auf. Die Infektrate nach medianer Sternotomie liegt somit bei 0,4 Prozent.»

Für die Professoren des USZ, die ihren Beitrag zum Bericht beigesteuert haben, ist klar: «Der beunruhigende Anstieg der Mortalitätsrate fällt vollumfänglich in die Phase, nachdem Klinikdirektor M. in die Leitungsposition am USZ gewählt worden war.» Weiter steht da: «Die Zäsur, die eine eindrückliche Verbesserung der Gesamtsituation brachte, fand ab dem 1. Juli, respektive dem 1. September 2020 mit der Einsetzung (vorerst a.i.) des neuen Klinikdirektors Prof. Paul Vogt statt.»

Lob für Maisano

Maisano wurde Mitte 2020 abgesetzt und verliess danach das USZ Richtung Mailand, von wo er 2013 nach Zürich gekommen war. Im Abschiedscommuniqué lobte das USZ den Italiener in den höchsten Tönen. Laut dem Befund im neuen Bericht hätte er hingegen gar nie zum Leiter der Herzchirurgie gekürt werden dürfen.

«Es war ein singulärer Vorgang, dass mit der Wahl von med. pract. Maisano ein Arzt ohne Dissertation und ohne Habilitation eine ordentliche Professur (Lehrstuhl für das Fachgebiet) mit Fakultätssitz erhielt – und das nicht nur aus Schweizer, sondern auch aus internationaler Perspektive.» Und: «Die Universität begründet diese Ausnahme damit, dass dieser mit seiner reichhaltigen wissenschaftlichen Publikationsliste die Bedingungen bereits zum damaligen Zeitpunkt erfüllt habe.»

Die Universität Zürich, die Maisano zum Professor gekürt hatte, gerät damit ebenfalls in den Verdacht, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben. Sie hat sich offensichtlich blenden lassen. Dazu heisst es im Bericht: «Zu dieser ‹reichhaltigen Publikationsliste› ist zu sagen, dass med. pract. Maisano per September 2014, also zum Zeitpunkt seiner Berufung zum Ordinarius für Herzchirurgie am USZ, gerade einmal 3 (drei) wissenschaftliche Arbeiten publiziert hatte, die als Originalarbeiten gelten können und für die er als Erstautor zu zeichnen berechtigt ist.»

Das Cardioband

Maisano zeigte laut dem Bericht wenig Interesse an herkömmlichen, erprobten Behandlungs- und Operationsmethoden. Er «pushte» vielmehr das Cardioband und ein weiteres Implantat, an deren Rechten er partizipierte. Beim Verkauf des Cardiobands strich Maisano denn auch laut Bericht 7 Millionen Dollar ein, und zwar in «‹2 Tranchen à 3,5 Millionen›, was er im klinischen Betrieb Mitarbeitern auch offen mitteilte». Der Erfolg des Cardiobands blieb aus. «Als akzeptabel erwies sich das Implantat überhaupt nur bei zehn Prozent der Patienten», schrieb die «Welt am Sonntag» in ihrer Story.

Umgekehrt starben am USZ unter Maisano von 36 Patienten deren 9, 4 weitere brauchten einen «stabilisierenden Clip», 5 mussten «notfallmässig» nachoperiert werden – «offen». Sprich mit durchgesägtem Brustbein und geöffnetem Brustkasten, was Erregern Tür und Tor öffnete.

Und die Strafbehörden?

Die jetzt in ihrer vollen Tragweite zum Vorschein kommenden Schreckens-Jahre am Unispital blieben bisher von den Strafbehörden ungeahndet. Auf wiederholte Fragen, ob die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eröffnet, gab es bisher keine abschliessende Antwort.

Wie Maisano seinen Job erledigte, von dem Menschenleben abhingen und das Schicksal ganzer Familien für immer bestimmte, illustrieren diese Passagen im Bericht der 24 Zürcher Experten: «Als er (Maisano) sog. Transplantations-Dienst hatte und ein Spenderherz angeboten wurde, stellte sich telefonisch heraus, dass der Klinikdirektor nicht vor Ort, sondern in Griechenland war. Da vom übrigen Team niemand transplantieren konnte, empfahl der Klinikdirektor, das dem USZ angebotene und vom USZ akzeptierte Spenderherz abzulehnen – und das angesichts des weltweit bekannten Mangels an Spenderorganen. Die Kardiologen wandten sich dann an den Chefarzt der Kinderherzchirurgie des Kinderspitals Zürich, der die Transplantation erfolgreich durchführte.“

Kinderchirurg zusammengestaucht

„Der Kardiologie, der es ‹gewagt hatte› den Chefarzt der Kinderherzchirurgie aufzubieten, wurde später vom Klinikdirektor M. massiv angegangen.“ Der Retter kriegte einen Anschiss, der Despot wütete weiter, die Vorgesetzten schauten zu, die Politik legte ihre Hände in den Schoss, die Justiz verschloss die Augen.

Welcome to Zurich, Ihre Vorzeige-Stadt an der schönen Limmat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor ist Redaktor und Inhaber des Portals Inside Paradeplatz, auf dem dieser Beitrag zuerst erschien.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Arztfehler_Schere

Vermeidbare Arzt- und Spitalfehler

In Schweizer Spitälern sterben jedes Jahr etwa 2500 Patientinnen und Patienten wegen vermeidbarer Fehler.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

3 Meinungen

  • am 5.07.2024 um 09:46 Uhr
    Permalink

    PaulVogt ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Googeln lohnt sich.

  • am 5.07.2024 um 12:27 Uhr
    Permalink

    Durchaus möglich, dass ich absolut falsch liege mit der Betrachtung, dass immer mehr versucht wird, schwierige und/oder gar schlechte Situationen (gleich welcher Art) schön zu reden und/oder gar zu deckeln. Es wirkt unbehaglich zu wissen wie selten, wirklich gute Berichte zu finden sind, welche sich der Anliegen der Menschen annehmen. Solche Beiträge bzw. deren Autoren, scheinen immer rarer zu werden! Schön zu wissen, dass es sie noch gibt!

  • am 5.07.2024 um 12:50 Uhr
    Permalink

    Danke Infosperber, was für eine Bereicherung in der Medienlandschaft sie sind, ist kaum zu beschreiben. Bravo, ihr Bericht ist ein Volltreffer. Auch in anderen Staedten gab es in den letzten zwei Jahrzehnten Skandale, aber keinen mit einem so grossen Ausmass, bis auf den einen Skandal, über den man nicht schreiben darf, da bei uns das Geld und dessen Macht die Politik und Rechtsprechung nicht immer, aber oft, zu unrecht kontrolliert. Kämpfe um medizinische Märkte auf Kosten von Menschenleben wurde zur Tagesordnung. Ein Freund von mir, in bester gesundheitlicher Verfassung, erlitt nach der letzten großen Gesundheitskrise einen Turbo-Blasenkrebs. Nach der gesicherten Diagnose ging er aufrechten Hauptes mit Exit über die Schwelle. Seine Worte waren: Unser Gesundheitssystem ist dermassen korrupt, desolat und Gewinnorientiert geworden, dass was jetzt kommt, tue ich mir nicht an. Leiden bis zum sicheren Tod, damit Reiche reicher werden, nein Danke.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...