overdose

Überdosen verursachen viel Leid in den USA. © Georgetown Behavioral Hospital

Zahl der Drogentoten in den USA auf historischem Höchststand

Christa Dettwiler /  Hauptsächlich häufigere soziale Isolation wegen Corona und wirtschaftliche Not lassen Leute zu Opioiden und Methamphetamin greifen.

Die US-amerikanischen Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention (Centers for Disease Control and Prevention) melden neue Höchststände bei Drogentoten. Rund 108’000 Menschen sind im letzten Jahr an einer Überdosis gestorben. Eine Reportage der New York Times nennt als Hauptursachen das Opioid Fentanyl, das oft mit anderen Drogen konsumiert wird, sowie das Aufputschmittel Methamphetamin

Drogen forderten im Jahr 2021 in den USA mehr Opfer als AIDS, Verkehrsunfälle und Schussverletzungen zusammen – etwa ein Viertel so viele Tote wie Covid-19. Laut den Nationalen Gesundheitsinstituten haben sich die Todesfälle durch Meth-Überdosen zwischen 2015 und 2019 verdreifacht. 

Synthetische Opioide waren 2021 verantwortlich für 71’000 Tote (13’000 mehr als im Jahr zuvor), Aufputschmittel wie Methamphetamin haben 33’000 Opfer gefordert (8’000 mehr als im Jahr zuvor). Der Anstieg von 15 Prozent folgt einem doppelt so hohen Anstieg im Jahr 2020. 

Fentanyl ist ein weisses Pulver, das problemlos mit anderen Drogen kombiniert werden kann, etwa mit Heroin, mit Meth oder Kokain. Deshalb tauchen auch häufig gefälschte Tabletten auf, die – kombiniert mit Antidepressiva wie Xanax – tödliche Wirkung haben können. Zudem zeichnet sich ein Trend zu sogenannten «speedballs» ab, eine Kombination aus Stimulanzien und Opioiden. Im US-Bundesstaat Vermont, das einen der stärksten Anstiege an Überdosen verzeichnet, werden 93 Prozent der Opioid-Toten Fentanyl zugeschrieben.

Dan Ciccarone, Professor für Familien- und Gemeindemedizin an der Universität von Kalifornien in San Francisco, ist besorgt: «Wir sind mit einer nie dagewesenen Epidemie konfrontiert, die synthetische Mittel mischt. Nie zuvor wurde ein so starkes Opioid wie Fentanyl mit dem ebenfalls potenten Methamphetamin kombiniert», sagte er zur New York Times.

Präsident Joe Biden ist der erste US-Präsident, der eine Drogenstrategie vorlegt, die den Fokus darauflegt, Risiken zu minimieren, statt Abstinenz zu predigen. Zum Beispiel sollen sterile Nadeln abgegeben werden sowie Testinstrumente für Fentanyl. Rahul Gupta, Bidens Drogenzar, ist der erste Arzt, der im Büro des Weissen Hauses die nationale Drogenkontrolle leitet. Er sagt: «Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass wir rund um die Uhr alle fünf Minuten ein Leben an eine Überdosis verlieren.»

Die Gründe für den enormen Anstieg sind vielfältig. Dennoch sind Suchtexperten überzeugt, dass nicht nur Covid-19 schuld ist, weil die Zahl der Überdosen schon vor dem Ausbruch der Pandemie anzusteigen begann. Die zunehmende soziale Isolation und wirtschaftliche Not haben aber wesentlich dazu beigetragen. Kommt dazu, dass die Shutdowns im Jahr 2020 Hilfszentren für Drogenabhängige dazu zwang, ihre Türen zu schliessen. 

Regina LaBelle, Expertin für Suchtpolitik an der Georgetown Universität sagt, erste Untersuchungen zeigten, dass das Lockern von Regeln – etwa die Mitnahme von Methadon – hilfreich gewesen seien, ebenso wie die Behandlung via Telemedizin. 

Bedenklich ist, dass immer mehr Fentanyl auf den Markt kommt. Nur schon winzige Unterschiede in der Formel können den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Eine neue Untersuchung von gefälschten Pillen ergab, dass ein Grossteil der als OxyContinXanax oder Aderall gegen Aufmerksamkeitsdefizite verschriebenen Medikamente Fentanyl enthielten. Diese illegalen Mittel könnten der Grund für den starken Anstieg an Überdosen bei Teenagern sein. 

Selbst Kinder ab 12 Jahren gelten als Hochrisiko-Abnehmer von gefälschten Pillen mit Fentanyl. Und Oberschülerinnen sterben an Überdosen, weil sie glauben, sie nehmen ein Schmerz- oder ein Beruhigungsmittel ein. Kelly Dougherty, stellvertretende Gesundheitsministerin von Vermont, warnt denn auch: «Geht einfach davon aus, dass es überall drin ist.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Drogen

Drogen verbieten oder legalisieren?

Der Drogenkrieg ist ein Fiasko, sagen die einen, keine weiteren Drogen neben Alkohol und Tabak die andern.

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5 Meinungen

  • am 2.06.2022 um 12:49 Uhr
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    Ohne Dr. Sackler und seiner «Schmerz Therapie» (OxyContin) hätte sich die Opiat Sucht nicht so schnell verbreiten können. Umfragen in San Francisco ergeben, dass 75% der Süchtigen den Arzt als «Anfixer» nennen.

  • am 2.06.2022 um 14:17 Uhr
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    Der Welt grösste Droge ist der Alkohol. Alkohol ist ein pharmakologisches Rätsel und bringt Stoffwechselexperten wie Psychotherapeuten immer wieder zum Staunen. Der Alkohol und seine Schäden kosten in der Schweiz fünf mal soviel wie alle anderen Drogen zusammen. Es war der grösste Fehler, die anderen Drogen unter dem Druck der USA in Europa ebenfalls zu verbieten und aus den Apotheken zu entfernen. Noch 1918 machte ein Papst auf Plakaten Werbung für kokainhaltigen Rotwein. Danach, ca 1923, wurde Kokain verboten, obwohl Sigmund Freud darin ein wertvolles Medikament gegen Depressionen sah. Drogen gehören in die Apotheke, mit Beratung und Beipackzettel, sauber hergestellt, in der Menge begrenzt, um Überdosen vor zu beugen. Bleiben sie illegal, werden dreckige Drogen, gestreckt, verunreinigt, sogenannte Nierenkiller, in Hinterhöfen gekocht, und auf der Szene erzeugen diese Krüppel mit Organschäden, und die kriminelle Energie nimmt zu. Seltsamerweise fliessen oft Drogengelder nach Oben.

  • am 3.06.2022 um 02:23 Uhr
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    Drogen zu verbieten oder zu legalisieren ist nicht zielführend. Viel mehr müsste man sich die Frage stellen, warum immer mehr Menschen – von Junkies bis zu Topverdienern – überhaupt Drogen konsumieren? Dahinter verbirgt sich ein gesellschaftliches, politisches, wirtschaftliches und soziales Problem. Es ist die Sucht nach Macht, Geld, Gewinn, Anerkennung auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Mangel an Perspektiven, Zukunftsaussichten und erreichbaren Lebenszielen. Nicht Drogen sind das Problem, sondern unser asoziales Wirtschaftssystem. Für mich macht es keinen Unterschied, ob in angesagten Nobelhotels Drogen auf dem WC konsumiert werden, oder von Randständigen auf einer Parkbank. Wer ein erfülltes und zufriedenes Leben in geschützter Umgebung führen kann, der braucht keine Drogen, denn Sinn-erfüllt leben und sich entfalten können bringen Stimulation genug. Wenn man das Leben als Beruf sehen würde, wären die Lehrlinge nicht zuunterst, sondern zuoberst auf der Skala.

  • am 3.06.2022 um 09:31 Uhr
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    Als ich Mitte der 90iger ein Austauschjahr in den USA verbrachte, sah ich viele Menschen die bereits in ihren Fünfzigern verkrebst waren, mit künstlichem Darmausgang, Sauerstoffgeräten, Übergewicht und schweren Herz-Kreislauferkrankungen, sehr viele Alkoholiker, Kinder mit schweren Aggressionen und ADHS, die Zahngesundheit hatte mittelalterliches Niveau; sowas war mir aus Deutschland völlig unbekannt. Ein Kulturschock. Die städtischen Strassen sahen genauso schlecht wie bei uns im Osten. Öffentlicher Nahverkehr wurde, wenn vorhanden, nur von allerärmsten Armen benutzt. Das Trinkwasser hätte man bei uns nicht einmal zum Waschen genommen. Trotz sehr motivierter, liberaler und freundlicher Lehrer und bereits damals reichlich mit Computern ausgestatteten Schulen galt Bildung bei vielen Jugendlichen als vernachlässigbares Gut. Die Leute waren krankhaft hypersexualisiert und gleichzeitig unglaublich prüde und bigott. Ein verdrehtes Land.

    • am 5.06.2022 um 07:54 Uhr
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      Ich könnte mir vorstellen dass diese Umstände heute noch schlimmer sind. Sind die USA auf dem Weg zu einem Entwicklungsland ? Sind sie nach «Bonanza» oder «Dallas» einfach stehen geblieben? Haben sie die Indianermassaker und die Sklavenhaltung noch nicht überwunden ?

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