Wenn Tierversuche in die Irre führen: Der Impfstoff MVA85A
Red. Im ersten und zweiten Teil dieses Beitrags ging es um die Mängel bei Tierversuchen. Der folgende dritte Teil zeigt dies beispielhaft an einer Impfstudie.
«Im Juli 2009 begannen Forscher eine klinische Studie mit Babys in Südafrika. Sie testeten die neueste Hoffnung für einen verbesserten Impfstoff gegen Tuberkulose. Fast 2’800 Kinder nahmen teil.»
So fängt ein Artikel an, in dem die britische Ärztezeitung «BMJ» 2018 einen der grössten Flops in der jüngeren Impfforschung aufrollte. Die Eltern der Babys hatten dem Versuch zugestimmt. In den Informationen, die sie erhielten, stand, der Impfstoff sei an Tieren getestet worden und habe sich als sicher und wirksam erwiesen.
Entwickelt hatten den Impfstoff Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am renommierten «Jenner Institut» im britischen Oxford, das 2020 auch die AstraZeneca Covid-Vakzine hervorbrachte.
Tatsächlich hatten die Forschenden die neuartige Vakzine namens MVA85A an Mäusen, Meersäuli, Rindern und Affen getestet. MVA85A hätte als Booster nach einer vorgängigen, herkömmlichen Tuberkulose-Impfung den Schutz vor der Krankheit, an der jährlich mehr als Million Menschen weltweit sterben, erhöhen sollen.
Fünf von sechs Affen starben
Bei einem der Affenversuche aber war es zu einem Problem gekommen: Nur einer der sechs Affen, die mit MVA85A geboostert und anschliessend absichtlich mit Tuberkulose infiziert worden waren, überlebte. Die anderen fünf Affen hingegen erkrankten so schwer an Tuberkulose, dass sie eingeschläfert werden mussten. Es schien, als habe MVA85A ihren Niedergang noch beschleunigt, aber aufgrund der kleinen Fallzahl konnte man das nicht sicher sagen. Die Forschenden jedenfalls bestritten es im Nachhinein. Vielleicht war alles auch nur einem unglücklichen Zufall geschuldet.
Die Affenstudie endete im November 2007, 18 Monate bevor die grosse Studie an fast 2’800 Babys begann. Sie sollte beweisen, dass der Impfstoff sicher und wirksam ist. Mehr als 400 Menschen waren laut den Wissenschaftlern bis dahin mit MVA85A geimpft worden, um die Sicherheit der Vakzine zu prüfen.
An einem Kongress präsentierten die Forschenden 2008 Resultate der Affenversuche. Doch sie zeigten dort nur die Sterbekurven der Affen, die mit dem herkömmlichen Tuberkulose-Impfstoff geimpft worden waren, sowie die Sterbekurve der ungeimpften Affen. Die Sterbekurve der mit MVA85A geboosterten Affen fehlte.
Die Forschenden betonten nach aussen vor allem die positiven Wirkungen
Wann die Sponsoren und beteiligte Ethikkommissionen von dem Versuch und dem unglücklichen Ausgang erfuhren, darüber gehen die Meinungen der verschiedenen Beteiligten auseinander. Sicher ist laut dem «BMJ», dass ihnen die Resultate der Tierversuche nur mit Auslassungen, inkonsistent und verzögert gemeldet wurden, und dass die Forschenden für MVA85A günstige Resultate aus den Tierexperimenten weitaus stärker betonten als die ungünstigen.
Die Eltern der Babys erfuhren von dem fatalen Affenversuch gar nichts. Ihnen teilten die Forscher mit, der Impfstoff sei an Tieren getestet worden und habe sich als sicher und wirksam erwiesen. Die Ergebnisse der Affenstudie, die sie seit November 2007 kannten, veröffentlichten sie erst im August 2010 – als die Studie mit den Babys bereits seit über Jahr lief. Sie stuften den Affenversuch als wenig bedeutsam ein. Andere Fachleute hingegen sahen in der hohen Sterberate ein mögliches Warnsignal, das man ernst nehmen sollte.
Die Affenstudie wurde erst Jahre später publik gemacht
Die Daten aus Tierversuchen zu MVA85A beruhten auf 192 Tieren, darunter 40 Affen, wie sich später herausstellte. Kaum war der erste Tierversuch an Mäusen abgeschlossen und zur Veröffentlichung eingereicht, wurden bereits die erste Studien zur Sicherheit der Vakzine an Menschen durchgeführt. Die besagte Affenstudie begann erst mehrere Jahre später. Das zeigt eine Grafik des «BMJ» zum Ablauf der Dinge.
Was die Entwickler von MVA85A ebenfalls nicht erwähnten, aber das «BMJ» Jahre später: Die Vakzine hatten überhaupt nur in zwei von acht Studien an Tieren genützt. Doch ausgerechnet in diesen beiden Studien wurden die Tiere ganz anders geimpft als die Babys. Denn in einer dieser beiden Tierstudien erhielten Meersäuli die MVA85A-Vakzine in die Nase verabreicht. Im anderen Tierversuch wurden die Meerschweinchen zusätzlich mit einer zweiten Vakzine geboostert – den Babys aber wurde der Impfstoff gespritzt und sie bekamen ausschliesslich den MVA85A-Booster.
Was den Affenversuch betraf, gaben die Forschenden später an, es sei dabei gar nicht darum gegangen, die Wirksamkeit von MVA85A zu testen, sondern darum, ein neues «Tiermodell» zur Infektion mit Tuberkulose zu erproben. Belege dafür, dass dies wirklich von Anfang an so geplant und nicht nur ein nachgeschobenes Argument war, blieben sie gegenüber dem «BMJ» jedoch schuldig.
Unabhängige Prüfung deckt auf: Kein Nutzen erkennbar
Im Jahr 2015 überprüften unabhängige Wissenschaftler die acht Tierversuche, die den Forschenden vom «Jenner-Institut» als Beleg dienten, dass MVA85A sich bei Tieren als «wirksam und sicher» erwiesen hatte. Das Urteil dieser unabhängigen Wissenschaftler war vernichtend: Schlechte Qualität der Tierversuche. Kein Nutzen der Vakzine erkennbar.
Zum selben Resultat – kein Nutzen erkennbar – kam 2013 auch die von der Gates-Stiftung und dem «Wellcome Trust» mitfinanzierte Studie an den Babys. Die mit MVA85A geboosterten Kinder hatten zwar doppelt so oft lokale Nebenwirkungen – aber MVA85A schützte sie nicht besser vor der Tuberkulose als ein Placebo. MVA85A war in medizinischer Hinsicht ein totaler Flop. Ob es sich direkt oder indirekt finanziell lohnte für die Sponsoren und / oder die Forschenden, die teilweise Interessenkonflikte hatten, ist nicht bekannt.
«In diesen schwierigen Zeiten ist öffentliches Vertrauen wichtiger denn je zuvor»
Die damalige Chefredaktorin des «British Medical Journal» (BMJ), Fiona Godlee, fasste die Vorkommnisse so zusammen: «Diese Geschichte handelt von der dringenden Notwendigkeit, die Integrität der Tierversuchsforschung zu verbessern – ihre Verlässlichkeit, Reproduzierbarkeit, Analyse, Berichterstattung und Interpretation –, damit die Chancen steigen, dass sie zu wirklichen Verbesserungen der menschlichen Gesundheit führt.»
Und ein Editorialist bemerkte im «BMJ»: «Wenn Daten aus Tierversuchen zentral sind, um neue Behandlungen zu entwickeln, dann sollten wir insistieren, dass die Beweislage robuster ist, bevor wir weitermachen. […] In diesen schwierigen Zeiten ist öffentliches Vertrauen wichtiger denn je zuvor.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Tierversuche zu verbessern? Die Tierversuche wären besser gewesen, hätten die Macher ihre Arbeit wissenschaftlich präzise nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt und nicht um der Gewinnsucht, der Erfolgssucht willen. Der Graben zwischen Pharmaindustrie und Bevölkerung wird immer größer. Hätte dies nicht ein mächtiger Konzern veranstaltet, sondern eine Kleinfirma, hätte man womöglich diese wegen fahrlässiger Tötung verklagt. Wer schützt die Ahnungslosen vor solchem tun? Das ist nicht mehr seriöse Wissenschaft, sondern ein Pfusch am wertvollsten Gut der Menschen, ein Pfusch an der Gesundheit und am Leben. Das Leben ist heillig, den niemand vermag es zu erschaffen ausser das Leben selbst. Wie innerlich leer, kalt, würde und gewissenlos müssen angebliche Wissenschaftler sein, um mit dem Leben anderer Menschen zu spielen.