Berlin, Kontrolle von Trinkwasser

Trinkwasserkontrolle in Berlin 1977 © cc-by-sa-3 Deutsches Bundesarchiv

TFA: Wieder ein neues PFAS-Gift im Trinkwasser  

Daniela Gschweng /  Die Fluorchemikalie TFA belastet zunehmend Grundwasser und Flüsse. Fachleute sind alarmiert und fordern verbindliche Grenzwerte.

Die Nationalrätin Martina Munz (SP) hat am 18. September eine Interpellation zu Trifluoracetat (TFA) im Nationalrat eingereicht. Munz verlangt, dass der Bund Rechenschaft darüber ablegt, wo Trifluoracetat in der Schweiz vorkommt. Sie will weiter, dass Messungen über die Konzentration der Chemikalie im Schweizer Wasser baldmöglichst veröffentlicht werden und vor allem: dass der Bundesrat Auskunft darüber gibt, wie TFA zukünftig reguliert sein soll. Die Angelegenheit sei dringend.

«Dringend» ist im politischen Gebrauch keine seltene Vokabel. In diesem Fall könnte es aber tatsächlich so sein.

Worum geht es, warum jetzt, und was ist Trifluoracetat?

TFA, Trifluoracetat, Perfluoracetat oder Trifluoressigsäure ist eine farblose Fluorchemikalie, die zu den PFAS gehört. Die gut wasserlösliche Chemikalie kommt nicht natürlich vor und ist schwer bis gar nicht abbaubar. TFA ist in der Umwelt seit langem messbar und galt bisher als ungiftig. Diese Einschätzung hat sich nun geändert.

Wo kommt TFA vor?

Weltweit fast überall in unterschiedlichen Konzentrationen, vor allem in Boden und Wasser. «SRF Kassensturz» hat 2022 Trink- und Flaschenwasserproben aus der Schweiz untersucht und fand in allen TFA (als YouTube-Video hier).

2022-Kassensturz-TFA-Leitungswasser
SRF Kassensturz testete 2022 das Wasser aus zehn Schweizer Gemeinden auf Trifluoracetat (TFA).

Die Organisation Global2000 hat 2024 Oberflächen- und Brunnenwasser aus ganz Europa auf TFA getestet. Die Chemikalie fand sich in allen Proben in Konzentrationen von 0,4 bis 3,3 Mikrogramm pro Liter. Die am meisten belastete Probe stammte aus der Elbe in Deutschland, die sauberste aus der Salzach in Österreich

Über Wasser gelangt TFA auch in den Körper. In einer Studie in den USA wurde Trifluoracetat in Staub, Wasser und in drei Viertel von 81 Blutproben aus Haushalten in Indiana gefunden. Bei einem kappen Drittel der Probandinnen und Probanden fand sich die Chemikalie auch im Urin.

Warum ist TFA problematisch?

TFA ist eine PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanz), also eine künstliche Ewigkeitschemikalie. Sie kann ein Zerfallsprodukt anderer Chemikalien sein, baut sich aber selber nicht ab. Nur bei hohen Temperaturen wird TFA zerstört. Ein Stoff, den man mit vertretbaren Mitteln nicht mehr loswird, findet sich in der Umwelt, speziell im Wasser und auch im Körper – allein das sollte Besorgnis auslösen.

Und es gibt immer mehr davon. Eine Studie aus den USA hat errechnet, dass die Menge Trifluoracetat, die sich aus nur einem bestimmten Kältemittel bildet, binnen 50 Jahren von jetzt 0,01 bis 0,05 Mikrogramm pro Liter auf durchschnittlich 1 bis 15 Mikrogramm pro Liter in Oberflächengewässern ansteigen wird, mit örtlichen Spitzenwerten bis zu 200 Mikrogramm pro Liter.

TFA aus Wasser zu entfernen, ist nur mit grossem Aufwand möglich. Von Aktivkohlefiltern, wie sie sonst bei PFAS zur Anwendung kommen, wird nur sehr wenig TFA erfasst.

Wie giftig ist TFA?

Die bisher im Wasser gemessenen TFA-Konzentrationen galten als ungiftig. Da TFA nicht zerfällt, steigen sie aber immer weiter an. In Deutschland, das mit der Schweiz etwa vergleichbar ist, habe sich die Konzentration in Regenwasser in zwanzig Jahren etwa verfünffacht, so der Öko-Consultant David Behringer im Mai zum «Guardian». In Chinas Oberflächengewässern gebe es nun 17-mal mehr TFA als noch vor zehn Jahren.

TFA beeinträchtigt Wasserorganismen, soviel ist seit Langem bekannt. Für Menschen ist Trifluoracetat nicht sofort giftig und galt bisher als wenig schädlich. Versuche mit Ratten zeigten, dass TFA die Leber beeinflusst, das war alles.

Eine Studie des Bayer-Konzerns von 2021, die im Juni bekannt wurde, änderte diese Einschätzung. Sie zeigte, dass Kaninchen-Embryos Schäden davontragen, wenn die Mütter mit TFA gefüttert werden. Deutschland setzt sich nun bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA dafür ein, dass TFA als «reproduktionstoxisch» eingestuft wird, und hat dazu im Juni einen Vorschlag eingereicht. Damit zum Punkt: Wo kommt das Zeug her?

Wo kommt Trifluoracetat oder TFA her?

  • Grösste Quelle sind Pestizide in der Landwirtschaft, sagt das deutsche Umweltbundesamt, das eine ausführliche Dokumentation zu TFA erstellt hat.
  • TFA stammt zunehmend auch aus Kühlmitteln, die sogenannte F-Gase enthalten. Diese steigen in die Atmosphäre auf und spalten dort TFA ab. Durch Regen gelangt die Chemikalie dann wieder zur Erde.
  • Aus Industrieabwässern: TFA wird auch bei Fertigungsprozessen in der Industrie verwendet. Aus deren Abwässern gelangt es ins Oberflächenwasser.
  • Aus Medikamenten, und
  • zu einem kleinen Teil aus Abbauprodukten anderer PFAS. Da diese ebenfalls zu den «Ewigkeitschemikalien» gehören und sehr langsam zerfallen, passiert das relativ selten.

Welche Grenzwerte gelten für TFA?

Bisher ist TFA kaum reguliert. In der Schweiz gilt der generelle Grenzwert von 10 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser für unbekannte Chemikalien oder solche aus Pestiziden.

Deutschland kennt einen Leitwert von 60 Mikrogramm TFA pro Liter Trinkwasser. Es handelt sich dabei laut Umweltbundesamt um die «toxikologisch tolerierbare Konzentration für das Trinkwasser». Grundlage: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, legt eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge von 0,05 mg TFA pro Kilogramm Körpergewicht und Tag fest.

Dieser Höchstwert wurde in den vergangenen Jahren sogar mehrmals erhöht. Was mehr oder weniger die Folge einer permanenten und grösseren TFA-Einleitung in den Fluss Neckar war, die ein Doktorand zufällig entdeckte. Sie stammt von einem Unternehmen namens Solvay, das in Folge die oben erwähnte Studie mit Ratten beauftragte. Die ganze Geschichte findet sich in der «Kontextwochenzeitung».

Dazu gilt in Deutschland der pauschale Schwellenwert von 10 Mikrogramm pro Liter für Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln wie in der Schweiz – was ein Ziel-, aber kein Grenzwert ist.

Welche Folgen hätte eine Regulierung?

Die Liste der Umweltchemikalien, die sich erst nach längerer Zeit als schädlich herausgestellt haben, ist lang. PCB und DDT kennt heute beispielsweise jeder als üble Umweltgifte.

Auch bei PFAS mussten Regulierungsbehörden weltweit ihre Massnahmen schon mehrmals anpassen. Reguliert sind bisher nur längerkettige PFAS, die sogenannten C8-Gifte. Dass kurzkettige PFAS ebenfalls innere Organe schädigen, Hormonsystem und Fruchtbarkeit stören, Krebs auslösen und das Immunsystem beeinträchtigen können, stellte sich erst in den letzten Jahren heraus. Ein Komplettverbot der gesamten PFAS-Stoffklasse steht im Raum.

Grundsätzlich gelten bei TFA wie bei jeder anderen Chemikalie das Vorsorge- und das Verursacherprinzip. Wenn man bereits weiss, dass TFA sich in der Umwelt anreichert, warum ist Chemikalie dann nicht längst reguliert? Das fragten bereits vor zwei Jahren ein Wasserversorger und ein Kantonschemiker im «SRF Kassensturz».

Wenn die EU-Chemikalienagentur ECHA dem Vorschlag Deutschlands folgt und TFA als reproduktionstoxisch einstuft, dürfte davon im Trinkwasser nur noch 0,1 Mikrogramm pro Liter vorhanden sein. Sämtliche TFA-Quellen müssten überprüft, eingeschränkt oder verboten werden. In der Schweiz beträfe eine solche oder ähnliche Regulierung 29 von etwa 300 verwendeten Pestiziden, hat der «Verein ohne Gift» recherchiert, der den Sachverhalt ebenfalls in einem ausführlichen Artikel erläutert.

Warum ist eine Regulierung von TFA dringend?

Ein solcher Grenzwert würde einen grossen Aufwand für die Wasserversorger bedeuten. Und natürlich auch für Unternehmen, die ihr Abwasser von TFA reinigen müssten. Ein Wert von 0,1 Mikrogramm pro Liter wäre möglicherweise gar nicht mehr erreichbar.

«Europaweit und auch in der Schweiz liegen die durchschnittlichen Werte heute bereits bei rund 0,7 µg/Liter in Grundwasser oder Oberflächenwasser, mit Spitzenwerten bis zu mehreren 10 µg/Liter. Tatsächlich ist es heute schon viel zu spät, um überhaupt innert absehbarer Frist die Belastungswerte wieder unter 0,1 µg/Liter zu senken», schreibt beispielsweise der «Verein ohne Gift».

Das Ausmass der TFA-Verschmutzung im europäischen Wasser sei «das Ergebnis eines politischen Versagens auf vielen Ebenen», schreibt Global2000, das in Zusammenarbeit mit vielen anderen Nichtregierungsorganisationen wie dem deutschen BUND und dem Pesticide Action Network (PAN) europäisches Wasser auf TFA getestet hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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2 Meinungen

  • am 10.10.2024 um 17:07 Uhr
    Permalink

    Wenn ich Beiträge solchen Inhalts lese, dann frage ich mich, wozu wir noch Kriege brauchen. Die Menschheit ist doch längst dabei, sich mit in Lebensmitteln, in der Luft, im Trinkwasser und anderswo vorhandenen Schadstoffen (Giften) selber ohne einen Schuss auszurotten bzw. degenerierten Nachwuchs zu zeugen (so lange die Spermien noch wandern können). Dieser Irrsinn wird durch die Regierungen und Kommissionen im Sinne des Unternehmensprofits noch gefördert, indem die Grenzwerte kontinuierlich nach oben verschoben werden. Nicht nur die Rüstungsindustrie wird gepampert, sondern auch die Chemieindustrie. Und dann kommen so komische Ratschläge, wie: Waschen Sie die Äpfel vor dem Verzehr gründlich ab. Was bewirkt das, wenn ein Apfelbaum von der Blüte bis zur Ernte 18mal gespritzt wird? Da ist doch das Gift längst im Apfel, nicht auf der Schale.

  • am 10.10.2024 um 19:14 Uhr
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    glas ist die lösung glas sondert keine giftigen chemikalien ab.

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