Sperberauge
«Tageskritik»
- Die Amsel hält auf dem Gartenzaunpfahl Ausschau, ob ihr die Natur des Menschen etwas weniger in die Quere kommt.
- Die Solidarität mit Italien ist umgehend streng rationiert worden, weil zu viel auf dem Spiel steht.
- Auf der Insel der Glückseligen steht ein einsamer alter Mann, während die stummen Schreie der Schiffbrüchigen über die Meereswogen gellen.
- Der viel zu frühe Frühling fürchtet sich vor einer Infektion, womit er den Sommer anstecken könnte.
- Der unsichtbare Tod zieht als Warteschlange von Fall zu Fall.
- Das Ladensterben hat ab sofort bis Mitternacht geöffnet.
- Im Supermarkt wird das Aktions-Angebot von dreissig Prozent Rabatt auf mexikanisches Corona-Bier umständehalber ausgesetzt.
- Die ungelesenen Bücher warten in den Regalen hoffnungslos auf ihre Auferstehung.
- Die zur Solistin aufgestiegene Baumsäge bricht die amtlich verordnete Grabesruhe.
- Die Schweizer hamstern Klopapier. Die Franzosen leeren Weinregale. Die Niederländer erhaschen Marihuana. Die Amerikaner decken sich mit Waffen ein.
- Die Beamten legen pflichtgetreu das öffentliche Leben still. Im Anschluss daran summieren sie die neuen Fallzahlen je nach Gewicht eines Papierstapels.
- «Was Sie hören, sehen, lesen, ist nicht das, was passiert.» Warnte der amerikanische Präsident vor seinen eigenen Lügen mit bestürzend kurzen Beinen.
- Der weissrussische Diktator versichert den einheimischen Fussballfans in der Halbzeit über die Stadionlautsprecher, dass es sich bei der «Panikmache» im Ausland um «eine absolute Dummheit» handle.
- Auf den Kanälen des Misstrauens und der gegenseitigen Schuldzuweisung spielen die Autokraten einander in die eigenen Karten.
- Am Ende einer totalen Ausgangssperre würde die Virennachhut wieder Millionen Menschen kolonisieren, rechnen uns Statistiker vor, deren Zahlen für einmal nicht lügen mögen.
- Der Mähroboter kappt pflichtbewusst die Halme auf dem Rasen, weil ihm niemand mitgeteilt hat, dass das letzte Fussballspiel längst aus ist.
- Kunst und Wirtschaft gehen nun Hand in Hand beim Staat zu Brot. Was für ein Stück sich die beiden je abschneiden können, wird die Macht des Stärkeren weisen.
- Die Propaganda erklärte der Information den Krieg. Dies wäre nicht nötig gewesen, da ihr jene die Feder schon vor einiger Zeit aus der Hand gerissen hatte.
- Die Schweiz ächzt unter dem Mangel an Klopapier. Den Ortsunkundigen müsste erklärt werden, was dieser Umstand für eine Tragweite hat, wo es keine Telefonbücher und viel zu wenige Printmedien mehr gibt.
- Wenn jede und jeder sich sozial vollständig in sich selbst zurückgezogen haben wird, gibt es nichts mehr, wovon man sich distanzieren kann – es sei denn von sich selbst.
- Der Schreiner häuft Sägemehl an. Der Zahnarzt hat mehr Notfälle. Der Gärtner wiederholt den Winterschnitt. Der Pilot übt im Simulator Ernstfälle. Die Juwelierin poliert ihre Lagerbestände. Die Friseurin schneidet täglich ihr eigenes Haar. In diesem Umfang hält man die Vollbeschäftigung am Leben.
- Weniger Freiheit – mehr Staat. So ändern sich die Zeiten.
- Wann beginnt der Ausnahmezustand? Welche Empfehlungen hochhalten? Was für Regeln beachten? Wie wird die Freiheit die Normalität überleben?
- Das Boot ist dank der Ausgabenbremse randvoll mit Geld. Die Banken sollen es unter das Volk verteilen, damit es schnell wieder an sie zurückfliesst.
- Das Seniorenehepaar hat Enkelbesuch, um die Weisungen spielend aufzuwiegen.
- Ein Fussballer sagte einst: «Wir sollten jetzt nicht den Sand in den Kopf setzen!» Dieser Satz ist hochaktuell, weil auch dessen Umkehrung nach wie vor zutrifft.
- Die geschlossene Gesellschaft sollte radikal unsere Köpfe öffnen, ist in der Zeitung zu lesen. Wie wörtlich dies zu verstehen ist, bleibt unklar.
- Der Globalisierung soll die Luft ausgehen. Nun stellt sich die Frage nach dem Schicksal ihrer bisherigen Kritiker.
- Die weltweiten Virenexperten sind potenziell interessengesteuert. Wer schliesst aus, dass die Politiker in einem völlig anderen Boot sitzen?
- Die Zahl der Coronaviruspropheten steigt an. Ärztinnen, Biologen, Mathematikerinnen, Historiker und Ökonominnen balgen sich um einen Platz in den Medienkanälen. Gleichzeitig vermehrt sich auch deren Anhängerschaft proportional. Die Meinungsvielfalt bleibt also gewährleistet.
- Der Greis geht mit seiner Tochter zusammen einkaufen, um seinen Solidaritätsbeitrag zu entrichten.
- Der Anwalt mit dem lungenkranken zehnjährigen Sohn zu Hause trifft sich mittags bei einem Klienten zum Essen. Dies nennt er Business as usual.
- Im Supermarkt schnappt sich eine Kundin von einer anderen hinterrücks ein Paket Seife aus dem Einkaufswagen. Sie will ihre Hände um diesen Preis in Unschuld waschen.
- Die Kassiererinnen im Lebensmittelmarkt kommen nicht nach, den überschäumenden Mehrwert der sich auftürmenden Ware abzuschöpfen.
- «Unbeschwert in den Frühling» verheisst das Möbelversandhaus dem, welcher Ordnungsboxen kauft. Das wachsende Angebot an Stimmungsaufhellern dieser Art tut dem Land gut.
- In Grossbritannien springen die Trittbrettfahrer-Unternehmer auf. Mitarbeiterinnen, die sie noch halten könnten, werden in der Krise freigestellt, damit deren Löhne vom Staat teilfinanziert werden. So festigt man den Neoliberalismus.
- Die Menschheit hatte noch nie so saubere Hände wie heute. Nun stellt sich die Frage, ob dies auf Kosten der Unschuld geht.
- «Warte nur», sagt die Ausgangssperre zum Kontaktverbot, «du wirst mich nicht überleben!»
- Der ungarische Autokrat will verlauten lassen, dass er sich nach Absprache mit seinem Parlament ab sofort zum Diktator ernennt.
- Ob man die Wirtschaft oder die Menschen zuerst runterfährt, ist Gegenstand laufender Verhandlungen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
41. Tageskritik: Weisheit kommt von Journalisten und nur von INFOsperber. Alles andere sind alternative Fakten.
42. Das Klosettpapier rollt sich ab, am Angstschiss der Völker, besonders der Allesfresser.