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Baustoffe wie diese MDF-Holzfaserplatte geben krebserregendes Formaldehyd ab. © public-domain Andrew Pertsev, Wikimedia Commons

Schutz vor Krebs: Schweiz will strengere Regeln für Formaldehyd

Daniela Gschweng /  In der Schweiz sind PFAS, Mikroplastik und Formaldehyd weniger streng reguliert als in der EU. Das soll sich ändern.

In der Schweiz sollen die Vorschriften für PFAS-Ewigkeitschemikalien und Mikroplastik verschärft werden. Sie sollen an die strengere EU-Regulierung angeglichen werden. Die Regeln für Formaldehyd, synthetische Treibhausgase und einige andere Umweltchemikalien sollen ebenfalls verschärft werden.

Das hat der Bundesrat Anfang Dezember angekündigt. Die Vernehmlassung läuft bis Ende März 2025. Für Formaldehyd könnte das bedeuten, dass EU-Grenzwerte für Holz und Holzprodukte, die ab 6. August 2026 verschärft werden, auch in der Schweiz gelten werden.

Das ist begrüssenswert. Neben der aktuellen Diskussion über PFAS sind «etablierte» Schadstoffe wie Formaldehyd etwas in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht – Formaldehyd ist einer der bedenklichsten Luftschadstoffe. Das in niedrigen Konzentrationen geruchlose Gas ist giftig, krebserzeugend und erbgutschädigend. Formaldehyd wird in zahlreichen Alltagsprodukten verwendet. Das Gas findet sich in Innen- und Aussenräumen. Formaldehyd ist daher in vielen Ländern reguliert. 

Die Menge macht das Gift

Formaldehyd entsteht in sehr kleinen Mengen auch im menschlichen Körper und in der Natur. Jeder Mensch ist geringen Mengen ausgesetzt. In höheren Mengen und in der industriell verwendeten Form ist Formaldehyd aber sicher gesundheitsschädlich.  

Formaldehydquellen gibt es einige – zum Beispiel Spanplatten und Sperrholz. Die gelöste Chemikalie wird in Klebern und Baumaterialien verwendet, aus denen sie dauerhaft austritt. Beschichtungen können das Ausgasen aus Holzprodukten zwar abbremsen, aber nicht ganz verhindern. Aus unversiegelten Kanten tritt bei Möbeln dennoch Formaldehyd aus. Und zwar so lange, bis sich der Kleber aufgelöst hat und die Spanplatte wieder zu Schnitzeln zerfallen ist.  

Sperrholz, Zigaretten, Motoren, Duftkerzen

Formaldehyd entsteht auch bei Verbrennungsvorgängen, beispielsweise in Zigaretten und Verbrennungsmotoren. Auch beim Abbrennen von Räucherstäbchen und Duftkerzen kann es frei werden. Gelöstes Formaldehyd kann in Desinfektions- und Reinigungsmitteln enthalten sein.

Formaldehyd reizt in höheren Konzentrationen Augen und Atemwege, verursacht bei längerer Einwirkung Kopfschmerzen, Müdigkeit und Übelkeit. Auch Nasenbluten kann zu den Auswirkungen gehören. Formaldehyddämpfe können Allergien auslösen, Asthma verstärken, andere Atemwegserkrankungen auslösen und das Gewebe in den Atemwegen schädigen. Es reichert sich im Körper nicht an.

Derzeitige und geplante Formaldehyd-Grenzwerte

Für Wohn- und Aufenthaltsräume legt die Schweiz einen Richtwert von 0,1 ppm (Parts per Million) oder 125 Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft an. Diese Konzentration ist eine Empfehlung, kein Grenzwert. Sie sei auch nicht mit einer guten Raumluftqualität gleichzusetzen. Ist die Formaldehydkonzentration in der Luft höher, ist laut BAG von einer «Schwelle zu einer Gesundheitsgefährdung» auszugehen, bei der Massnahmen angezeigt sind.

Deutschland legt derzeit einen Grenzwert von 124 µg/m³ fest, was ebenfalls 0,1 ppm entspricht.

Die neue EU-Regelung lässt nur noch halb so viel Formaldehyd in beziehungsweise als Emission von Holzprodukten sowie 80 µg/m³ für andere Produkte zu. Ab August 2027 gilt der Grenzwert von 62 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht nur in Innenräumen, sondern zusätzlich auch in Autos.

Die Sache mit den Formaldehydabspaltern

Formaldehyd ist auch dort, wo es niemand erwartet. Das deutsche Konsumentenmagazin «Öko-Test» testet Produkte regelmässig auf Formaldehyd und fand die Chemikalie in den vergangenen Jahren unter anderem in Selbstbräuner, Kinderknete, Anti-Schimmel-Farben, Melamin-Geschirr, Gesichtscreme und Parfüm.

Kosmetika sollten nur sehr wenig Formaldehyd enthalten. Es können sich aber Formaldehydabspalter darin befinden, das heisst: Chemikalien, aus denen sich Formaldehyd bildet. Der Grenzwert für solche Inhaltsstoffe wurde in Deutschland 2022 von 0,05 auf 0,001 Prozent des Produkts gesenkt. Ältere Produkte dürften laut «Öko-Test» bis Ende Juli 2026 abverkauft werden.

«Öko-Test» warnt in diesem Zusammenhang vor den Inhaltsstoffen mit den Namen DMDM Hydantoin, Imidazolidinyl Urea, Diazolidinyl Urea, Bronopol, Quaternium-15, Sodium Hydroxymethylglycinate, Methenamine, 2,4-Imidazolidinedione und Bronidox.

Gesetzeslage in den USA und Europa klafft weiter auseinander

Auf der anderen Seite des Atlantiks gehen die Tendenzen bei den Grenzwerten in die umgekehrte Richtung – wenigstens, was Formaldehyd betrifft und vermutlich auch andere schädliche Chemikalien. Bereits in der ersten Amtszeit von Donald Trump wurden Chemikalienregulierungen abgeschwächt oder aufgehoben.

Das US-Medium «Pro Publica» macht sich beispielsweise Sorgen, dass die Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten bald noch dürftiger werden könnte, als sie jetzt schon ist.

Dabei sei die Formaldehyd-Regulierung jetzt schon unzureichend, schreibt das Medium unter Bezug auf Fachleute und eigene Messungen. Eine der befragten Expertinnen führt das auf «Feigheit» der Regulierungsbehörde EPA (Environment Protection Agency) zurück.

US-Behörde verschob Verschärfung immer wieder

Die EPA, so «Pro Publica», habe strengere Grenzwerte trotz deutlicher Hinweise in wissenschaftlichen Studien immer wieder verschoben. 320 Millionen US-Amerikaner und Amerikanerinnen seien schon in der Aussenluft einem Vielfachen der Formaldehydmengen ausgesetzt, die nach Einschätzung der EPA noch unbedenklich sind. In der Innenluft liege die Konzentration bei durchschnittlich mehr als dem Dreifachen der nach EPA unbedenklichen Menge.

Das letzte nationale Update der Formaldehyd-Regulierung im Toxic Substances Control Act (TSCA) für Holz und Holzprodukte in den USA trat 2018 in Kraft und musste durch ein Gericht erzwungen werden. Für Spanplatten ist seither ein Emissionsgrenzwert von 0,09 ppm vorgeschrieben, für Faserplatten 0,11 ppm (MDF) und 0,13 (Dünn-MDF), für Laubsperrholz 0,05 ppm. Das ist teilweise mehr als der jetzt in der EU gültige Wert von 0,1 ppm.

So vermeiden Sie Formaldehyd

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) rät unter anderem,

  • bei Spanplatten, Möbeln oder Ähnlichem auf formaldehydfreie oder -arme Platten zu achten. Der «chemische» Geruch, den viele Möbel anfangs ausdünsten, hat aber wenig mit Formaldehyd zu tun.
  • Produkte mit Zertifikaten wie natureplus oder dem Blauen Engel zu kaufen. Wegen der neuen Regeln wird es in der EU vermutlich auch noch neue Zertifizierungen geben.
  • keine Parkettversiegelung zu wählen, die Formaldehyd abgibt.
  • wasserbasierte Farben zu bevorzugen, weil diese beim Trocknen weniger Lösungsmittel abgeben.
  • Duftstoffe in Reinigungsmitteln, Raumlufterfrischern oder Kosmetika zurückhaltend zu verwenden.
  • Textilien, Teppiche, Vorhänge und Polstermöbel können ebenfalls Formaldehyd enthalten. Das BAG empfiehlt, diese möglichst zunächst zu waschen oder gut auszulüften. Das reduziert nebenbei auch die Menge anderer eventuell enthaltener Umweltchemikalien, wie Flamm- und Insektenschutzmitteln.
  • Klebstoffe achtsam zu verwenden.

Die gesamte Aufstellung findet sich hier.

Lüften und öfter mal nach draussen zu gehen, ist überhaupt eine gute Idee, vor allem im Sommer. Wärme und Feuchtigkeit begünstigen die Freisetzung von Formaldehyd und anderer Chemikalien (siehe auch: Infosperber – Umweltchemie: Nichts wie raus).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Sie machen wenig Schlagzeilen, weil keine «akute» Gefahr droht. Doch die schleichende Belastung rächt sich.

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Eine Meinung zu

  • am 28.12.2024 um 06:14 Uhr
    Permalink

    Apro pos Duftkerzen sollte man auch mal die chemischen, manchmal auch natürlichen Duftstoffe in Deos, Parfüms, Waschmitteln und Reinigern etc. an den Pranger stellen.
    «Sind Duftstoffe der neue Passivrauch?» fragte in einem Blog Dr. Hubertus Glaser und Dr. Sophie Christoph.
    Eine berechtigte Frage. «Eine Vielzahl giftiger Chemikalien, die wir regelmäßig einatmen oder über die Haut absorbieren, stammen aus synthetischen Duftstoffen und sind mit Risiken für die langfristige respiratorische Gesundheit, Krebs, Allergien und Reproduktionstoxizität assoziiert.»
    Hersteller müssen von Gesetz wegen keine Inhaltsstoffe deklarieren da die Zusammensetzung ein «Betriebsgeheimins» sein darf.
    Duftstoffe gehören zu den führenden Allergenen überhaupt. Kopfschmerzen, Schwindel, Fatigue, Schlafprobleme, Kurzatmigkeit, Übelkeit, grippeähnliche Symptome, Verschlechterung oder Auslösung asthmatischer Beschwerden und Hautirritationen bis hin zu Kontaktdermatitis können das Resultat einer Sensibilisierung sein

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